Charlie Watts

Der Stone mit der Kuhglocke

von Jörg-Peter Schmidt

Zwei Mal hat Landbote-Autor Jörg-Peter Schmidt den Schlagzeuger Charlie Watts mit den „Rolling Stones“ live erlebt. Watts ist am 24. August 2021 in einem Londoner Krankenhaus im Alter von 80 Jahren verstorbenen. Schmidt erinnert sich an den Drummer im Hintergrund, der sich persönlich zwar nie in den Vordergrund gedrängt hat, aber musikalisch gar nicht im Schatten der anderen „Steine“ stand:

Beamen wir uns zurück in die 1960er Jahre:  Am Landgraf-Ludwigs-Gymnasium in Gießen wurde in den Pausen immer wieder darüber gestritten, wer jetzt eigentlich der beliebteste und beste der „Stones“ ist (von den „Beatles“ wurde in meiner Klasse mit den vielen Musik-Experten weniger gesprochen, eher von Van Morrison und den „Them“ sowie der Blueslegende John Mayall ). Mick Jagger war Favorit – ich selbst fand Keith Richards am besten, weil der mir so lässig erschien. Dann kam schon Charlie Watts (wobei ich an der Schule nicht allein war) vor Brian Jones  (als vielseitiger Musiker von so manchen Fans auch heute noch unterschätzt) und Bill Wyman (auch unterschätzt).  Damals wagte ich gar nicht zu träumen, dass ich die „Stones“ mal live erleben würde. Irgendwie hatte ich als Schüler das Gefühl, an Tickets  gar nicht erst ran zu kommen und dass das Taschengeld nicht reichen würde (was wohl ein Trugschluss war).

Charlie Watts und sein Kumpel Ronnie Wood. (Quelle: Wikipedia, StonesLondon220518-117)

Charlie und seine ruhige Art

Viele Jahre später erfüllte sich für mich dann doch noch der Traum. Meine Frau hatte mir zum „ 50.“ Karten für Mick Jagger & Co 2003 im Oberhausener Visionpark in Nordrhein-Westfalen geschenkt. Mit einem langjährigen Kumpel und dessen Sohn erlebte ich zwar großartige „Stones“, aber irgendwie wurden sie vor 65.000 Fans quasi  zur Nebensache.  Denn zum Auftakt heizte niemand Geringes als „AC/DC“ ein!!! Stichwort: AC/DCGlocke!

Ich erinnere mich, dass Charlie Watts  in Oberhausen so auftrat, wie man ihn vom Fernsehen und von Videos her kannte: Er strahlte absolute Ruhe aus, prägte dennoch deutlich, aber nicht unnötig dominierend den Rhythmus bei den Rockklassikern wie „Satisfaction“ und hatte seinen Spaß, als ein eingängiger Blues  in der Kombination „Stones“ plus AC/DC erklang und die 65.000 im Blues-Takt glücklich hin und her schaukelten. Aber im Visionpark stand bei einem Titel der Schlagzeuger  dann  doch im Mittelpunkt.

Charlie und sein Markenzeichen

Das war 2017 auf der Festwiese im Hamburger Stadtpark nicht anders: In dem Moment, als bei diesem fantastischen Konzert Charlie die Kuhglocken antippte, tobten die Fans, weil sie wussten, was jetzt kommt: „Honky Tonk Women“, mitgesungen von 80.000 Leuten!

Charlie und die Kuhglocke: Dieses Markenzeichen wurde der gebürtige Londoner nie los. Ich glaube, man könnte so manchen Fan ganz schlimm foltern, wenn man 50 Mal hintereinander nur die ersten Takte des 1969 entstandenen Superhits  (die besagte Kuhglocke also) anspielt, aber nicht den Rest des Songs dahinter. Das tut und wagt aber glücklicherweise niemand… 

Charlie und seine zweite Chance

Meine Frau und ich konnten – auch dank der Übertragung riesiger Live-Aufnahmen auf Großleinwand  über der Bühne  in Hamburg – Mick Jagger, Ronnie Wood, Keith Richards und Charlie Watts  bei ihrem Auftritt in aller Ruhe beobachten – der Drummer (schick im blütenweißen Hemd) lächelte so vor sich hin. Er schien mit der Welt und sich zufrieden. 2004 hatte er den Kehlkopfkrebs besiegt; auch ein Rockgigant  lebt dann sozusagen ein zweites Leben. Bis 2021 konnte er seine zweite Chance zu leben und andere Menschen mit seiner Musik zu erfreuen, genießen.
Charlie, der auch als Jazzer sehr erfolgreich war,  starb jetzt überraschend, weil es in den Medien doch hieß, er habe eine wichtige OP gut überstanden.   Der Familienmensch   –  seit 1964 blieb seine Frau Shirley an seiner Seite  (und umgekehrt) – sei im Kreis seiner Lieben friedlich eingeschlafen, heißt es in den Presseberichten.


P. S. Wenn man außer „Honky Tonk Women“ noch ein anderes Beispiel für einen „Stones“-Klassiker hören will, bei dem Charlies Schlagzeug gleich zu Beginn nicht nur die Band mitreißt und anspornt,  sollte man sich „Get off of my cloud“ mal wieder anhören…

Titelbild: Charlie Watts, so wie man ihn kannte. (Quelle: Wikipedia, 
FlickrThe ABC & D of Boogie Woogie (Herisau, 13. Januar 2010)

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