Traktoren rattern durch Gießen
Von Jörg-Peter Schmidt
Die Initiative „Land schafft Verbindung“ hat am Freitagabend (17.Januar 2020) eine Protestfahrt von rund 200 Traktoren durch die Gießener Innenstadt organisiert. Stephanie Schreiner, Landwirtin aus Laubach-Altenhain (Kreis Gießen) und eine der Hauptorganisatorinnen, hatte bereits während der ganzen Woche Zustimmung von Bäuerinnen und Bauern vornehmlich aus den Kreisen Vogelsberg, Wetterau und Gießen erhalten – mit der jeweiligen Ankündigung: „Wir sind auf jeden Fall dabei!“.Keine billigen Rohstofflieferanten
Die Aktion fand in der mittelhessischen Universitätsstadt im Rahmen der bundesweiten Proteste zu Beginn der „Internationalen Grünen Woche“ in Berlin statt. „Wir fordern eine Abkehr von einem falschen Bild, wonach die Landwirtschaft als billiger Rohstofflieferant der Lebensmittelindustrie gesehen wird“, lautet die Kritik auf einem Flyer, der während der Fahrt des Korsos unter anderem in der Gießener Licher Straße, Grünberger Straße, dem Ludwigsplatz und bei der Abschlusskundgebung auf dem Limeshof in Pohlheim-Watzenborn-Steinberg verteilt wurde. Ausgedrückt wurde die Existenzangst aufgrund „bürokratischer Vorschriften von Ämtern und Regierungen“. Viele Landwirte fühlen sie nicht ernst genommen, obwohl sie doch einen sehr großen Anteil daran haben, dass die Bevölkerung Butter, Brot und Milch hat, wie es auch auf einigen Transparenten stand. Versammlungsort zum Auftakt war in der Europastraße in der ehemaligen Bundeswehrkaserne in Gießen. Nach und nach trafen die kleineren oder größeren ratternden Nutzfahrzeuge ein. Nach einer kurzen Besprechung mit der Polizei, die den Straßenverkehr regelte, erfolgte gegen 17.35 Uhr der Start und der Lindwurm setzte sich in Richtung Licher Straße in Bewegung.
Die Organisatorinnen und Organisatoren fassen in einer Presseerklärung zusammen, was den bäuerlichen Betrieben zu schaffen macht: „Die anstehenden politischen Entscheidungen, beispielsweise zum Thema Düngeverordnung, sind praxisfern, kontraproduktiv und in der Konsequenz klimaschädlich. Es steht zu befürchten, dass im Falle einer Durchsetzung in den kommenden drei Jahren bis zu 30 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe aufgeben müssen. Wir stellen fest, dass die Maßnahmen durch die Düngeverordnung 2017 greifen und ein Monitoring in der Zwischenzeit nicht ausreichend stattgefunden hat. Daher ist eine Verschärfung nicht nachvollziehbar. Zudem sind die Nachteile und Zielkonflikte nicht ausreichend dargelegt. Wenn es zum Beispiel längere Sperrzeiten bei der Ausbringung von Gülle gibt, steht dies im Konflikt damit, dass keine Baugenehmigungen für Güllelager erteilt werden. Aber wir wollen unserer Verantwortung für sauberes Grundwasser nachkommen. Wir wollen unseren Beitrag leisten, um Einträge von Nitrat aus der Landwirtschaft in unsere Gewässer zu vermeiden. Dazu müssen die getroffenen Maßnahmen allerdings praktikabel, umsetzbar und sinnvoll sein.“
Für faire und verantwortungsvolle Landwirtschaft
Weiter heißt es in der Pressemitteilung: „Das Mercosur-Handelsabkommen gefährdet durch Billigpreise importierter Waren die Versorgung mit sicheren, qualitativ hochwertigen und geprüften Lebensmitteln aus der Region. Wir fordern unter anderem Verhandlungsgespräche zwischen Landwirten, den beiden Bundesministerinnen für Landwirtschaft sowie Umwelt, Julia Klöckner und Svenja Schulze. Wir sind für fairen Freihandel und Warenaustausch – aber nicht auf Kosten der Landwirte, egal ob in Deutschland oder Südamerika. Für Lebensmittelimporte nach Europa sollten europäische Standards gelten, denn nur so bleibt unsere Landwirtschaft wettbewerbsfähig. Mit der aktuellen Politik zerstören wir bäuerliche Existenzen und Naturräume auf der ganzen Welt. Wir Landwirte in Deutschland tragen eine besondere Verantwortung für hochwertige und gesunde Nahrungsmittel, für die einzelnen Regionen, für Insekten- und Naturschutz, für sauberes Grundwasser und eine klimaschonende Landwirtschaft. Bereits heute führen die Landwirte eine Vielzahl von Aktivitäten durch, um Tierwohl sowie Insekten- und Naturschutz nachhaltig und auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse weiterzuentwickeln. Landwirte sind bereit, weitere Maßnahmen umzusetzen, wenn diese mit uns Praktikern besprochen werden, einen Nutzen für Insekten, Grundwasser, Tiere und unsere Böden stiften und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stattfinden. Eine faire und verantwortungsvolle Landwirtschaft ist in Deutschland möglich, wenn alle Partner daran mitarbeiten.“
Während die Traktoren durch die Innenstadt rollten, gab es Zustimmung in der Bevölkerung, aber auch Kritik, wonach die Landwirte die hauptsächlichen Verursacher erhöhten Nitratgehalts in den Gewässern seien – und dies seit vielen Jahren. Eine Position, die auch der Landesverband der Energie- und Wasserwirtschaft Hessen/Rheinland-Pfalz (LDEW) vertritt. Auf diese Kritik sprach der „Landbote“ einige Teilnehmer der Protestaktion in Gießen an. Sie wiesen darauf hin, dass man die Düngeverordnungen nicht quasi innerhalb etwa eines Jahres umsetzen könne. Dieser gesetzte Zeitraum sei zu kurz. Dennoch sollte man die Landwirte nicht falsch verstehen: „Wir wollen auch unseren Beitrag leisten, die Umwelt zu schonen.“