Besuch bei altaQuito

Die Präsenz des Mythologischen

Von Olaf Veltekopie-vonaltaquito-2-2

Jetzt ist es also doch passiert. Und mit Glanz und Karacho. In wenigen Monaten ist es im Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) Karlsruhe zu sehen: Der Beat wird museal. Eine Kulturbewegung, die ab Mitte der 1950er Jahre zuerst Nordamerika in Unruhe versetzt hat und im Anschluss weite Teile der westlichen Welt. Dass sie auch uns in Deutschland erreicht, ist Ingrid und Reinhard Harbaum aus Göttingen zu verdanken. Sie haben mit ihren altaQuito-Publikationen die literarische Welt bereichert.

Besuch bei altaQuito

Was Ginsberg, Kerouac und Konsorten mit furioser Geste als Alternativen zur nachkriegskapitalistischen Stagnation anboten, war provokatives Aushebeln von Konventionen, gesellschaftlichen Übereinkünften. Ein durchaus revolutionärer Trieb, der neue künstlerische Ausdrucksformen auf den Weg gebracht und die Epoche der Jugendrevolten in Gang gesetzt hat. „On the Road“ heißt die zugehörige Bibel – Jack Kerouac hat sie auf Endlospapier und mit überhitztem Geist in die Maschine gehämmert. Dass der aufrührerische Atem nun still gestellt und zum Museumsstück wird, ist bitterer Witz und folgerichtig zugleich. Auch der ach so unzähmbare Punk ist ja mittlerweile archiviert und nach spätkapitalistischer Logik ordentlich verdaut. „Trendy“ ist das Wort dafür.

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Ingrid und Reinhard Harbaum an ihrem Arbeitsplatz in Nikolausberg. Fotos: Frank Hoppe

Wie sie aber weiterhin atmet, pulsiert und beißt, die Beat-Kreatur, kann erfahren, wer dem Ehepaar Ingrid und Reinhard Harbaum in Göttingen einen Besuch abstattet. Seit nunmehr 34 Jahren wird im Duo übersetzt und publiziert, was vor, während und nach der flammenden Epoche künstlerisch-kritische Geltung beanspruchen darf. Die bekannten Namen sind ihre Sache nicht. Im Mittelpunkt des jährlich um vier Neuheiten gewachsenen Programms stehen die noch lebenden Dichter Michael McClure und Gary Snyder – flankiert von verstorbenen Kollegen wie Kenneth Patchen, Kenneth Rexroth, Denise Levertov. Unübersehbar ist die Vormachtsstellung des US-Amerikanischen, einer geradezu grandiosen Vereinigte Staaten-Alternative.

Die Ausrichtung des im ersten Wohnhaus des nordöstlich von Göttingen liegenden Stadtteils Nikolausberg  agierenden Herausgeberpaares liegt – wie sollte es anders sein? – in den Anfängen begründet. Es ist das schicksalsschwere Jahr 1969, als der aus Osnabrück stammende Reinhard Harbaum erstmals die berühmt-berüchtigte „Beat Anthologie“ des Rowohlt Verlages aufschlägt. Derartiges ist dem 16-Jährigen vorher nicht unter die Augen gekommen. „Neuland für die Sprache und das Denken“, sagt er viele Jahre später, sitzend im Obergeschoss, inmitten von Büchern, Bildern, Beats. Der erste Oktobertag 2016 ist ein verhangener Tag mit schwer dräuendem Regengewölk, ein Tag für weißen Tee und das stundenlange Gespräch. Zeit genug, um das Gestern aufzurufen, die hinter sich gebrachte Strecke abzumessen.

 

Nachdem einhundert Jahre in uns geruht haben,

wird der Herbst noch immer die Berkshire Berge färben,

purpurgoldene Stürme werden weiterhin

über die Catskills treiben.

Man wird dann lange nach meinem Namen

suchen müssen in verstaubten Bibliotheken.

(Kenneth Rexroth)

 

Reinhard Harbaum ist den einfachen Weg gegangen, hat Briefe nach Amerika geschrieben, ist persönlich bekannt geworden mit den Poeten, von Mensch zu Mensch. Bis heute halten die Verbindungen, herrscht Vertrauen. In seinem Archiv unter der Dachschräge – dem einzigen Raum, in dem geraucht werden kann – stehen regalweit Ordner und Mappen: Korrespondenz aus vier Jahrzehnten, Zeugnisse deutsch-amerikanischer Kulturverbindung. Daneben die Dokumentationen der Übersetzerarbeit: Jeder Schritt von Roh- zur Endfassung ist nachlesbar, Tagebücher kreativer Prozesse, Tage und Wochen und Monate. „Es war nicht immer nur Spaß“, sagt Ingrid Harbaum. Auch im vertrauten Miteinander und am selben Schreib- und Arbeitstisch kann das Ringen um die angemessene Übertragung zu einer erbitterten Angelegenheit werden.

Erwachsen ist das Unternehmen altaQuito Publikationen aus einer Leidenschaft. Als „Initialzündung“ wird Michael McClures „Jaguarhimmel“ genannt – das erste Buch, das von den Harbaums in die Welt entlassen wurde. 1982. Seither sind über 160 Bände – oftmals Hefte, die das Volumen von zwei Dutzend Blättern nicht überschreiten – innerhalb verschiedener Reihen erschienen. 49 sind derzeit noch lieferbar, die aktuelle „Saxifraga“-Edition umfasst 51 Nummern. Dass nun eine Pause eingelegt werden und das jeweils Eigene stärker bearbeitet werden soll, ist verständlich – doch nicht zu akzeptieren. Was die Göttinger dem Lesepublikum – den so genannten „happy few“, einem internationalen Stammpublikum  – geliefert haben, darf als beispiellos gelten. Viele ihrer Autoren wurden erstmals für den hiesigen Markt übersetzt – Gedichte, Interviews, Aufsätze, die es nur bei altaQuito gibt. Vergleichbare Herausgeberwagnisse sind im deutschsprachigen Geviert rar: Ralf Zühlke mit seiner Stadtlichterpresse kann beispielhaft genannt werden, auch Peter Engstler und sein gleichnamiger, in der hohen Rhön beheimateter Verlag.altaquito-2-kopie

Als Verleger im klassischen Sinn können Ingrid und Reinhard Harbaum nicht fungieren. Keine Betreuung von Autoren ist vorgesehen, keine soziale Funktion. Selten, dass sie „ihre“ Schriftsteller treffen, Lesungen wurden nie veranstaltet. „Der Text steht absolut im Vordergrund.“ Radikal wird jenes praktiziert, was das Eigentliche von Literatur ist: Wörter, angeordnet in bestimmter Reihenfolge, die Zwischenräume, das Mysterium verdichteter Sprache. In diesem Universum haben Personenkult und medial gesteuerte Effekthascherei nichts zu suchen. Im World Wide Web ist altaQuito mit wenigen Hinweisen vertreten, eine eigene Seite existiert nicht. Dies sei, so Reinhard Harbaum, zu keiner Zeit eine Option gewesen. Für die Verbreitung der Bücher sorgt ein Netzwerk aus Beat-Enthusiasten, inspirierten Vermittlern und ausgesuchten Buchhandlungen. Alternative Gesinnung auch dies – seit fast 40 Jahren.

Weil altaQuito kein Wirtschaftsunternehmen ist, herrscht Freiheit in Nikolausberg. Ingrid Harbaum: „Der lange Atem ist nur möglich, weil wir unsere Brotberufe immer ausgeübt haben.“ Beide verdienen ihr Geld im wissenschaftlichen Betrieb der Universitätsstadt, müssen sich wie viele andere Leute mit allerlei profanen Fährnissen auseinandersetzen.  Welche Bedeutung aber hat die Poesie vor dem Hintergrund einer entzauberten, sich immer rücksichtsloser gebärdenden  Moderne? „Um mit Robert Bertholf zu sprechen: Die Präsenz der Mythologie im Alltag“, sagt Reinhard Harbaum.

 

Riech den verbrannten

Diesel

im Nebel.

Wir

sind

in

einer

ROMANTISCHEN

LANDSCHAFT

an der steilen Flanke

von Dogen Creek

nicht weit von den graffitibesprühten

Kaufhäusern

und Stimmen

aus dem mystischen Wald.

(Michael McClure)

 

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Work in Progress auf dem Sofa der Harbaums. Der Mann auf dem Foto ist Michael McClure, der einst gemeinsam mit Bob Neuwirth den „Mercedes Benz“-Song für Janis Joplin geschrieben hat. Foto: Frank Hoppe

Es ist Abend geworden unter der alten Klosterkirche. Der Ort hat Geschichte, ist reich an Anekdoten. „Ulrideshusen“ nennt sich die Hauptstraße, Erinnerung an frühere Namensgebung. Vor Jahrhunderten sollen die Gebeine des Heiligen Nikolaus hier geborgen gewesen sein. Sie sind nicht mehr da, die Nische in dem gotischen Gotteshaus ist leer. Auf Pilgerreisen waren einst – es ist verdammt lange her – die Herzogin Margarete von Braunschweig-Lüneburg, sogar Ludwig, Landgraf von Hessen. Haben sie die Reliquien gesehen, Gedichte gelesen? Heute wissen wir nur, dass die „Straße der Romantik“ vorbei zieht, Kriminalromane gerne gekauft werden, es Long- und Short-Listen gibt, irgendwer irgendwo noch poetisch denkt, die Welt mitsamt innewohnendem Leben anders ist, als Facebook uns glauben machen will.

Die Übersetzergemeinschaft Harbaum ist eigenen Ideen gefolgt. Ihre kreative Zuwendung hat bei den übersetzten Dichtern für Staunen gesorgt. Das ist viel. Sie haben neu angeordnet, das Werk sortiert. Essays sind wichtig, Selbstauskünfte, Werkstattberichte. Gespräche mit Autoren. Einige Bände sind dem großen Frager und Kenner Eliot Weinberger gewidmet – „Feldnotizen zur Dichtung“ ist das wunderbar-tief schürfende Gespräch mit Gary Snyder überschrieben. Darin der Satz: „In der historischen Dimension meint Anarchismus nicht Chaos, sondern bedeutet Selbstverwaltung.“

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Gary Snyder, hier bei einem Vortrag an der Columbia University 2007 Foto: Fett

Also Snyder, 1930 geboren, in der Sierra Nevada lebend. Freigeist, Holzfäller, Buddhist, Familienvater, Naturdenker, Dichter. Ein Mann, der die Orte des Natürlichen verteidigt und schützt, aber zugleich imstande ist, ein Reh zu erlegen und auszunehmen. Dass er einst von und bei Indianern gelernt hat, spielt in diesem Zusammenhang keine kleine Rolle. Der erste Gedichtband, 1959 erschienen, ist „Riprap“ überschrieben – was gleich zu Beginn des Bandes erklärt wird: „Riprap: Auf steilen glatten Felsen aufgetragene Steinschicht als für Pferde begehbarer Bergpfad“. Dieses poetische Verdichten des – auf den ersten Blick –  Unspektakulär-Alltäglichen hat Snyder durch sein gesamtes Schaffen bewahrt.

In der so folgenreichen Anthologie „Beat“ von 1962 ist er mit zwei Gedichten vertreten. Eines davon trägt den Titel „T-2 Tanker Blues“: Großartige Momentaufnahme aus seiner Zeit als Seemann auf einem Öl-Frachter.

 

Kopf wimmelnd von Bildern, Schund-Magazinen, besoffenem Streit,

Schmökern und Tagen zur See; Hass auf Maschinen und Mammon

& das Huren von Händen und Rücken um dies

militärische Öl zu verfrachten

(Gary Snyder)

Beileibe kein „typischer“ Beat-Autor (wenn es denn überhaupt Typisches in dieser so uneinheitlichen Szene gegeben hat) – wahrscheinlich nur der Bewegung zugeschlagen, weil der viel gelesene Kerouac ihn als Heldenfigur in seinem Roman „Dharma Bums“ modelliert hat.

Ähnlich die Beat-Vereinnahmung des 1932 geborenen Michael McClure – in der besagten Anthologie unter anderem mit einem „Peyote-Gedicht“ vertreten: Seit den Anfangstagen im Umfeld der „San Francisco Renaissance“ ist er weit über das Hipster-Ideal hinausgelangt und zu einem öko-rebellischen Poeten eigenwilliger Ausprägung geworden. In den ihm gewidmeten Heften von altaQuito ist dieser Weg dokumentiert. Dass fast alle Autoren des Göttinger Übersetzerpaares neben dem literarischen auch im musikalischen Sektor unterwegs waren (Lyrik mit Jazz kombinierend, zusammen mit Musikern auf der Bühne), sei hier am Rande erwähnt: Ein nicht zu unterschätzendes Element der jeweiligen Rhythmus-Arbeit. (Wussten Sie, dass Janis Joplins großer Hit „Mercedes Benz“ von McClure stammt? Dass der Mann enger Vertrauter von Jim Morrison und den Doors war?)

Ein gutes Beispiel für das, was die Harbaum‘sche Publikationsarbeit so einzigartig macht, ist die Nummer 49 innerhalb der „Saxifraga“-Edition. Da wird Snyders Langgedicht „Geist der Berge“ erstmals ins Deutsche geholt. Ein Text, der dem Leser einiges abverlangt („…steht altes Wissen der amerikanischen Indianerlegenden von wilden Geistern Seite an Seite mit Erkenntnissen der Geologie“, hat der Autor dazu vermerkt) und in den 1990er Jahren entstanden ist. Doch Ingrid und Reinhard Harbaum belassen es dabei nicht. Flankierend ist der Essay „Geist der Berge / Wahre (Nicht) Natur“ abgedruckt – auf Basis eines Vortrages, den Snyder im Dezember 2002 in Paris gehalten hat.

Während der Dichter das „Rad des Lebens ohne Anfang ohne Ende“ aufruft, seinen Weg ins Hochgebirge nachzeichnet – „Ich bin ein Reisender/und will den Weg wissen zu/den White Mountains/& den Langlebigen Kiefern“, – spricht der Vortragende über die „Ideologie der Globalisierung“, Umweltzerstörung, „selbst konstruierte Weltbilder“ und die Kraft von Imagination und mythischer Überlieferung. Es ist ein waghalsiger Ritt durch Kulturen und Zeiten, hin zu dem denkwürdigen Schlusssatz „Die Macht der Regierung reicht nicht bis in die Berge“.

Der Glaube an den Fortschritt ist nur ein Glaube

Mit ihren Publikationen haben die Literaturvermittler Harbaum das wilde Feld der Poesie auf eigensinnige Weise bereichert. Ihre ganze Aufmerksamkeit gilt dem Vers, der dichterischen Formung. Unpolitisch ist dies keineswegs. Was Gary Snyder sagt, kann im ersten Haus von Nikolausberg unterschrieben werden. „Die Idee immerwährenden materiellen Fortschritts in Kombination mit einem unkritischen technologischen Utopismus ist wahrscheinlich der universelle Glaube der fortschrittsgläubigen Welt.“

Draußen, vor dem großen Fenster, stehen Bäume, ziehen Wälder bis zum Horizont, queren die Hügelketten. Es ist Abend. Die letzten Vögel des Tages segeln durchs Blickfeld. Seit nunmehr zehn Jahren schreibt Reinhard Harbaum an seiner „Haiku West Kartographie“. Für jeden Tag einen Haiku. Gerade liegen seine „Zwölf Variationen über den Zaunkönig in neununddreißig Zeilen“ auf dem Tisch. So mag es enden. Der Winter ist nicht mehr weit.

 

Diese Bohlen fürs

Feuer, überm kalten Rauch

ein Zaunkönig singt

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