Ilja Richter über Karl May

„Vergesst Winnetou“

Von Klaus Nissen

Karl May hat viel mehr zu bieten als allein seinen Vorzeige Indianer Winnetou, meint Ilja Richter. Der Schauspieler und frühere „Disco“-Moderator hat eine Hommage an den meistgelesenen deutschen Schriftsteller aller Zeiten (Auflage: 200 Millionen Exemplare) verfasst.  Am Theater Altes Hallenbad In Friedberg war seine dramatische Lesung mit Plauder- und Gesangseinlagen am 12. Mai 2018 zu sehen. Im Laufe des Jahres tritt Richter mit dem Programm auch in Berlin, Köln, Prag, Basel, Hannover und Frankfurt auf. Hier einige Eindrücke und Erkenntnisse zu Karl May und Ilja Richter.

Ilja Richter über Karl May

Fotos: Klaus Nissen. Foto Karl May: Wikipedia

Ilja Richter stand mit neun  Jahren zum ersten Mal auf der Bühne: 1961 im Berliner Renaissance Theater. Ab 1969  moderierte der schlaksige Teenager im ZDF die Pop-Show „Hot and Sweet“, den Vorläufer der  legendären “ Disco“.  Momentan befasst sich der Berliner mit Karl May.  Er hält den 1912 verstorbenen Groß-Schriftsteller (1842-1912) für einen Verkannten. Hier einige Erkenntnisse aus dem Bühnenprogramm.

Über Authentizität

Karl May sah sich gern als Old Shatterhand. Er ließ seinen Helden in „Ich-Form“ die spannenden Geschichten erzählen. Und der berichtete sogar, wie Winnetou einmal seinen besten Freund Scharlieh daheim in Radebeul bei Dresden besuchte. Kritiker tadelten das als Flunkerei. Ilja Richter zitiert dazu Walter Benjamin: „,Es kommt nicht darauf an, dass eine Geschichte wahr sei, sondern nur darauf, ob sie stimmt.` Ob sich nun eine Bärentöter-Geschichte wirklich in Alaska abgespielt hat oder nur im sächsischen Wald oder möglicherweise nur in Karlchens Kopf – das ist doch so unbedeutend wie die Tatsache, dass die deutschen Karl May-Verfilmungen über den Wilden Westen in Jugoslawien gedreht wurden.“

Über Religion

Der „sächsische Prärie-Goethe“ träumte von einer alle Religionen einschließenden Weltreligion. Trotzdem landete er immer wieder beim Christentum. Als Old Shatterhand den sterbenden Winnetou in den Armen hält, sagt dieser: „Ich glaube an den Heiland. Winnetou ist ein Christ.“

Über den Nahen Osten

Bis heute prägt Karl May die Vorstellung der Deutschen über den Nahen Osten, behauptet Ilja Richter. Die Romane „Von Bagdad nach Stambul“, „Durch die Wüste“ und „Durchs Wilde Kurdistan“  erschienen  1892 und werden heute noch gelesen. Kara Ben Nemsi und sein Diener Hadschi Halef Omar kämpften auf Seiten kriegerischer Kurden gegen die Türken – und stiften später mit Hilfe der geheimnisvollen Mata Durimeh Frieden unter den miteinander verfeindeten Kurdenstämmen…

Hitler war May-Fan

In der Home-Story einer Illustrierten aus dem Jahre 1933 ist auf einem Foto Hitlers Bücherregal zu sehen. Und da stehen die drei Winnetou-Bände  – gleich neben den Büchern über Kriegskunst und Schäferhund-Zucht. Dabei übersah Hitler, dass Karl May in seinen Büchern oft pazifistischen Ansichten huldigte. Die Friedens-Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner war begeistert darüber. Und wenige Tage vor seinem Tode verlas Karl May anno 1912 in Wien vor großem Publikum ein eigenes Manifest für den Frieden. Es blieb erfolglos. Zwei Jahre später brach der Erste Weltkrieg los. Und Hitlers Generäle forderten 1944 von den alten deutschen Volkssturm-Männern, sie sollten sich bei den Kämpfen in den Ruinen der deutschen Städte so listenreich verhalten wie die Apatschen von Winnetou.

Zuckmayer war ebenfalls May-Fan

Der große Schriftsteller Carl Zuckmayer war genau wie sein politischer Gegner Hitler ein begeisterter May-Fan. Er kannte angeblich dessen gesamtes Werk beinahe auswendig und taufte seine erste Tochter nach einer Romanfigur von May. Winnetou Guttenbrunner-Zuckmayer lebt heute 92-jährig im österreichischen Waldviertel.

Über Sexualität

Die beiden Ehen des Großschriftstellers blieben kinderlos. Zwischen May und seinen Frauen prickelte es wohl nicht besonders, vermutet Ilja Richter. „Der Meister empfing in seinem Haus Verehrer – und Gattin Emma ebenso.“ Übrigens: „Frau May liest nicht. Schon gar nicht die Bücher ihres schreibenden Gatten. Vielleicht hasst sie sie sogar.“ Der Mann konnte ganze 16 Stunden am Stück arbeiten – da blieb nicht viel Zeit für erotische Energie. Überhaupt: Die Helden in seinen mehr als 70 Romanen waren stets Männer. Weibliche Figuren blieben farblos. Allerdings soll der junge May eine Affäre mit der Ehefrau seines Verlegers gehabt haben. Nach heutigen Maßstäben nichts Schlimmes, meint Richter: „Das Karlchen May war zwar kein Einstein – aber nicht so`n Schwein wie Weinstein!“

Über Rollenspiele

Karl May war Sohn eines armen Wegers aus Hohenstein-Ernstthal im Erzgebirge. Um sich aus den prekären Lebensverhältissen zu befreien, entwickelte der junge Mann bald eine Lust an der Verkleidung – der Camouflage. Er gab sich als Augenarzt Dr. Heilig aus, ließ sich einen Pelzmantel schneidern und floh schließ bei der letzten Anprobe mit dem nagelneuen Outfit aus der Werkstatt des Schneiders. Weitere Betrügereien brachten May mehrfach ins Gefängnis – zuletzt von 1870 bis 1974. Den ehrlichen Kauf teurer Kleidungsstücke konnte er sich erst viel später leisten. Möglicherweise hat der große Carl Zuckmayer den jungen Karl May vor Augen gehabt, als er 1931 die Geschichte des entlassenen Sträflings Wilhelm Voigt aufschreibt, der beim Schneider eine Uniform stiehlt und sie nutzt, um als „Hauptmann von Köpenick“ die Stadtkasse zu stehlen. Das ging zwar nicht gut aus, doch allgemein praktikabel und anerkannt ist trotzdem der Satz: Kleider machen Leute.

Die Termine der May-Show von Ilja Richter stehen hier.

Mehr über das Theater Altes Hallenbad in Friedberg findet sich hier.

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