In diesen Tagen wurde dem Ortsnamen in Vollnkirchen wieder alle Ehre gemacht. Am Heiligen Abend war die Kirche bei Krippenspiel und Andacht voll. Doch wieder war einer nicht dabei, der eigentlich einen Ehrenplatz verdient gehabt hätte. Der alte Taufstein musste auch an Weihnachten draußen bleiben.
Taufstein als Pflanzkübel
Seit Jahrzehnten muss sich der Taufstein mit einem bescheidenen Platz vor der Kirche in dem kleinen Ortsteil der Gemeinde Hüttenberg begnügen. Seiner ursprünglichen Funktion beraubt, muss das Becken, in dem über Jahrhunderte Generationen von Vollnkirchener Kindern getauft wurden, als Blumenkübel herhalten. Je nach Jahreszeit darf der Stein entweder Primeln, Stiefmütterchen oder Heidekraut präsentieren. Mit grauem Zement sind Sprünge in dem Becken aus dem so genannten Lungstein notdürftig und unfachmännisch repariert worden. Vor dieser stiefmütterlichen Behandlung war das sakrale Gefäß einst ein wertvoller Ausstattungsgegenstand der Kirche. Der Stein stammt aus der Spätromanik, wurde zwischen 1170 und 1180 angefertigt. Der Stein ist mit etwa einem Meter Durchmesser auch deshalb so groß, weil bis zum Ende des Mittelalters die Kinder noch ganz in dem Becken eingetaucht wurden.
Die Taufe ist eine der Grundlagen des Christentums, gilt in den beiden großen Kirchen als Sakrament. Allein schon vor diesem Hintergrund scheint es kaum verständlich, dass das steinerne Becken aus der Kirche befördert wurde. Aber dem Gotteshaus, in dem es einst gestanden hatte, war es seinerzeit noch schlechter ergangen. Mitte der 50-er Jahre wurde die alte Dorfkirche abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Vorausgegangen war dem Abriss ein heftiger Streit zwischen der damals noch selbstständigen Gemeinde Vollnkirchen, der Kirchengemeinde und dem Landeskonservator. Letzterer nämlich wollte das uralte Kirchlein aus dem 12. Jahrhundert erhalten und musste sich dann dem Landrat beugen, der den Abriss schließlich anordnete.
Dem Museum mochte die Gemeinde den Stein nicht gönnen
Zuvor wurden Orgel, Turmuhr und Glocke zwecks Wiederverwendung im Neubau aus der alten Kirche geholt. Der Taufstein muss bereits Jahrzehnte vor dem Abbruch vor der Kirche gestanden haben. Es gibt nämlich ein Sitzungsprotokoll des Presbyteriums in Vollnkirchen vom 19. Juli 1925. Darin heißt es: „Das Presbyterium beschließt, dem Ersuchen des Prof. Dr. Gloël, Wetzlar um leihweise Überlassung eines der Kirchengemeinde gehörigen alten Wasserbeckens für das städtische Museum in Wetzlar nicht folgezuleisten, da die Absicht besteht, das Becken als Blumenbehälter vor dem Kircheingang aufzustellen.“ So wurde es dann gemacht und dabei ist es dann bis heute geblieben. Auch die 90-Jährige Elfriede Friedrich aus Vollnkirchen erinnert sich nicht, den Stein jemals in der Kirche gesehen zu haben: „Der hat immer draußen gestanden.“
Auch in der neuen Herberge – der 1957 eingeweihten neuen Kirche – war für den altehrwürdigen Taufstein kein Platz vorgesehen. Die Taufen in Vollnkirchen werden heute mit einem kleinen Taufbecken vollzogen.
Nicht nur als liturgisches Gut ist der dunkle Taufstein aus Londorfer Basaltlava wertvoll. Allein als „Antiquität“ stellt das gewichtige Stück einen Wert dar. Eigentlich ist es ein Wunder, dass er nicht schon lange bei Nacht und Nebel von Spitzbuben, Mittelalter-Fans oder Kunstliebhabern mit dem Tieflader abtransportiert worden ist. Deswegen steht der mit einem Bogenfries verzierte Stein auch in den Landesdenkmaliste.
Beim Landesdenkmalamt ist man wenig begeistert davon, dass der Stein seit Jahrzehnten der Witterung ausgesetzt ist. „Das ist aus unserer Sicht kein adäquater Standort für einen romanischen Taufstein“, formuliert Bezirksdenkmalpfleger Udo Schreiber. Und der Einsatz als Blumenkübel wäre für den Zustand des Steines alles andere als förderlich. Zwar könne man über dem Stein ein Dach errichten, besser wäre es – und so sieht es auch das dem Denkmalamt angeschlossene Institut für Steinsanierung – den Stein in die Kirche zu nehmen. „So ein wertvoller Stein gehört in die Kirche.“
Der Pfarrer sähe den Stein gerne in der Kirche
Tatsächlich ist der Taufstein das älteste Kulturdenkmal in Vollnkirchen und Symbol der christlichen Vergangenheit des Dorfes. Pfarrer Joachim Grubert von der evangelischen Kirchengemeinde Weidenhausen-Volpertshausen und Vollnkirchen würde sich wünschen, dass für den Taufstein die Zeit als Blumenkübel vorbei ist. „Ich fände es angemessen, wenn der Taufstein in der Kirche wieder einen Platz und eine Bedeutung hätte. Der Mensch lebt auch von Symbolen.“ Für eine solche Rückführung müsse ein Konzept her.
Den Mitgliedern des Presbyteriums war die Sache mit dem Stein bisher weniger ins Blickfeld geraten. Bei der Dorferneuerung war erwogen worden, das alte Taufbecken in der Kirche aufzustellen. Aufgrund des Gewichts wurde allerdings darauf verzichtet. Es sieht aber danach aus, dass sich das Gremium auf Grund der Nachfragen für diesen Bericht mit dem Thema befassen wird.
Auch anderswo wurden Taufsteine zu Pflanzkübeln
Ähnliche, ja gleiche Taufsteine wie in Vollnkirchen gibt es auch in den Kirchen von Reiskirchen, Dorlar und Hoch-Weisel. Aber wie gesagt: in den Kirchen. In Hoch-Weisel stand die große Schale ebenfalls jahrelang im Pfarrgarten. Vor rund 25 Jahren, berichtet Pfarrer Hans Werner Haas, sei der Taufstein in der Mitte des mächtigen Turms der evangelischen Kirche wieder aufgestellt worden – in seiner alten Funktion. Über dem großen Stein sei eine Taufschale angebracht worden, und für die Kindstaufen werde das mittelalterliche Gefäß feierlich geschmückt.
Auch in Kleinrechtenbach hatte man den Taufstein aus dem 14. Jahrhundert jahrelang als Wasserbecken für die Handpumpe und später zum Blumenkübel umfunktioniert. Engagierte Gemeindemitglieder sorgten dafür, dass der Taufstein wieder in die Kirche kam und auch wieder „in Dienst“ genommen wurde.
Die Zweckentfremdung des Taufsteins in Vollnkirchen ist allerdings kein Einzelfall. In Lützellinden stehen gleich zwei dieser steinernen Zeugnisse des Glaubens als Blumenkübel in der Gegend herum.
In Großen-Linden hat man bereits um 1800 den großen Taufstein vor die Kirche bugsiert. Und das lässt sich auch noch steigern: Gibt man in die Internet-Suchmaschine Google die Worte Taufstein und Viehtränke ein, dann erhält man etliche Geschichten aus ganz Deutschland, die anschaulich beschreiben, wie die Taufsteine aus den Kirchen entfernt wurden und schließlich Schweine, Pferde, Ochs und Esel in den Genuss kamen, ihr Wasser aus dem Taufbecken saufen zu können.
Ein Gedanke zu „Taufstein als Pflanzkübel“