Vom alten Taufstein

Eine Weihnachtsgeschichte

von Michael Breuer

Vor über 90 Jahren hat man ihn einfach nach draußen bugsiert. Dort vor der Kirchentür in Vollnkirchen fristete er bis jetzt bei Wind und Wetter sein Dasein als Blumenkübel. Diese Zeit ist nun vorbei. Der uralte Taufstein wird – das ist beschlossene Sache – nicht nur in dem Gotteshaus wieder einen Ehrenplatz bekommen, sondern er soll seinem ursprünglichen Zweck wieder zugeführt werden. In dem um 1170 gefertigten Becken aus dunklem Londorfer Lungstein sind Generationen von Vollnkirchener Kindern getauft worden. Das soll jetzt fortgeführt werden.

Probe mit Attrappe

Vor genau einem Jahr berichtete „Der neue Landbote“ über den draußen abgestellten spätromanischen Stein in dem Hüttenberger Ortsteil. Dadurch sensibilisiert, beschloss das Presbyterium der Kirchengemeinde Weidenhausen-Volpertshausen und Vollnkirchen, sich dieses Projektes anzunehmen.

Der Baubeauftragte für Vollnkirchen, Frieder Heinze, ging gründlich vor. Zunächst musste nämlich geklärt werden, an welchem Platz in der Kirche der Taufstein aufgestellt werden sollte. Da sich der schwere Stein nicht einfach zur Probe in die Kirche stellen und dort mal so verschieben läßt, hat Frieder Heinze zunächst das Gewicht ermittelt. Das alte Taufbecken wiegt rund eine Tonne. Dann stellte der 64-jährige Ingenieur aus miteinander verklebten, dicken Styroporplatten ein gleichgroßes Modell her. Das Abbild ummantelte er mit Isoliertapete und den romanischen Bogenfries des echten Steins hat er mit einer entsprechenden Bemalung nachempfunden. Diese Attrappe ließ sich in der Kirche an jeden Platz problemlos verschieben, um auszuprobieren, wo der Stein denn seinen endgültigen Standort finden könnte. Presbyter und Pfarrer haben jetzt entschieden, dass das Taufbecken rechts neben dem Altar platziert wird, da wo bisher die schlichte Taufschale aus den 1950er Jahren steht.

Pfarrer Joachim Grubert (l.) und Frieder Heinze zeigen, wie die Attrappe des Taufsteins in in der Kirche problemlos versetzt werden kann. So ließ sich der optimale Standort für den echten Stein ermitteln. (Fotos: Breuer)

Gleichzeitig wurde geprüft, ob der Kirchenboden den Belastungen durch das alte sakrale Gefäß gewachsen ist. Auch das Plazet der Bauberatung der Evangelischen Kirche im Rheinland musste eingeholt werden.

Das alte Taufbecken wird restauriert

Genauso wichtig war aber natürlich auch Geld. Denn das Taufbecken muss restauriert werden. Die Jahrzehnte im Freien als Blumenkübel für Stiefmütterchen, Primeln oder Heidekraut waren für den Zustand des Taufbecken alles andere als förderlich. So war einst ein großer Teil der steinernen Schale herausgebrochen und notdürftig mit Zement wieder eingesetzt worden. Jetzt soll fachmännische Arbeit dafür sorgen, dass die unansehnlichen Spuren der Not-Reparatur sowie weitere Risse und Löcher verschwinden.
Einen großen Teil der Restaurierung wird das Landesdenkmalamt bezahlen, dass das Ansinnen unterstützt, den in der hessischen Denkmalliste eingetragenen Taufstein wieder in der Kirche aufzustellen. Der andere Teil wird durch die Kirchengemeinde übernommen.

Hier könnte das alte Taufbecken stehen.
Der alten Vollkirchner Kirche erging es noch schlechter als dem Taufstein: Sie wurde abgerissen.

Vollnkirchens ältestes Kulturdenkmal kommt allerdings nicht in das Gotteshaus hinein in dem es einst stand. Denn dem Dorfkirchlein aus dem 12. Jahrhundert erging es noch schlechter als dem Taufbecken – es wurde 1956 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Vorausgegangen war dem Abriss ein heftiger Streit zwischen der damals noch selbstständigen Gemeinde Vollnkirchen, der Kirchengemeinde und dem Landeskonservator. Letzterer nämlich wollte das mittelalterliche Gebäude verständlicherweise erhalten und musste sich dann dem Landrat beugen, der den Abriss schließlich anordnete. Zuvor wurden Orgel, Turmuhr und Glocke zwecks Wiederverwendung in dem Neubau aus der alten Kirche geholt. Der Taufstein stand bereits Jahrzehnte vor dem Abbruch vor der Kirche. Es gibt nämlich ein Sitzungsprotokoll des Presbyteriums in Vollnkirchen vom 19. Juli 1925. Darin heißt es: „Das Presbyterium beschließt, dem Ersuchen des Prof. Dr. Gloël, Wetzlar um leihweise Überlassung eines der Kirchengemeinde gehörigen alten Wasserbeckens für das städtische Museum in Wetzlar nicht folgezuleisten, da die Absicht besteht, das Becken als Blumenbehälter vor dem Kircheingang aufzustellen.“ So wurde es dann gemacht und dabei ist es bis vor kurzem geblieben.
Jetzt ist die Blumenerde aus dem großen Taufbecken heraus geschaufelt worden. Im Januar wird ein Steinmetzbetrieb das Taufbecken abholen und restaurieren.

Die Taufe ist eine der Grundlagen des Christentums, gilt in den beiden großen Kirchen als Sakrament. Allein schon vor diesem Hintergrund scheint es kaum verständlich, dass das steinerne Becken seinerzeit aus der Kirche, seiner Herberge – wenn man so will – hinaus befördert wurde. „Der Umgang mit diesem frühen Zeugnis der christlichen Prägung unserer Kultur spiegelt in meinen Augen die Verlegenheit und das Unverständnis wider, die spätere Generationen gegenüber der Kultur ihrer Vorfahren und ihrem Glauben aufbringen“, versucht Pfarrer Joachim Grubert den unangemessenen Umgang mit dem liturgischen Gegenstand zu erklären. Er hatte sich bereits im vergangenen Jahr dafür ausgesprochen, den Taufstein wieder in die Kirche zu holen. „Wir möchten die Einladung, den christlichen Glauben aus dem Geschenk der Taufe zu leben, sichtbar betonen durch die Einholung des alten Taufbeckens in die Gemeinde“, begründet der Pfarrer.
Der Stein aus Basaltlava ist mit mehr als einem Meter Durchmesser auch deshalb so groß, weil bis zum Ende des Mittelalters die Kinder noch ganz in dem Becken eingetaucht wurden. Diese Ganzeintauchung, die durchaus noch gebräuchlich ist, soll aber in Vollnkirchen nicht wieder belebt werden. Deshalb soll eine Taufschale in den alten Stein eingesetzt werden – nur das „wie“ steht noch nicht fest.
Die Rückholung der Taufbecken aus dem Mittelalter wurde in den letzten Jahrzehnten in einigen Orten der Region durchgeführt. Auch dort waren die Steine als Blumenkübel oder Wasserbecken für die Handpumpe zweckentfremdet worden. In 2004 wurde beispielsweise der historische Taufstein in Klein-Rechtenbach wieder „in Dienst“ genommen.
Aber nicht weit davon, in Lützellinden stehen immer noch gleich zwei dieser steinernen Zeugnisse des Glaubens als Blumenkübel in der Gegend rum.

Der missbrauchte Taufstein in der Rheinfelser Straße in Lützellinden.

In Vollnkirchen freut man sich hingegen auf den 28. Mai 2017. Denn dann soll der altehrwürdige Taufstein seinen Platz in der kirchlichen Herberge eingenommen haben und der Gemeinde „vorgestellt“ werden. Und der Organist der Frauenkirche Dresden wird an diesem Tag auf der Vollnkirchener Orgel ein Konzert geben.

Taufstein als Pflanzkübel

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