8. Mai

Ein Feiertag gegen den Krieg

von Ursula Wöll

Die 95jährige Zeitzeugin Esther Bejarano überlebte das KZ Auschwitz-Birkenau. Sie möchte, dass der 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus zum Feiertag wird. Ein Beschluss des DGB-Bundeskongresses von 2018, den 8. Mai als Feiertag zu einem Tag gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung zu machen, verlief leider im Sand.

Furchtbare Gräuel

In diesem Jahr jährt sich der 8. Mai 1945 zum 75. mal und wird daher stärker beachtet als früher. Erschreckend wird nun bei der Rückschau deutlich, dass sogar in den letzten Tagen vor Kriegsende noch furchtbare Greuel geschahen. Damals war ich ein Baby, in welch eine blutige Welt wurde ich geboren! Und wie blutig war und ist sie seitdem in anderen Weltgegenden! Die aktuelle Corona-Gefahr hat eine spürbare Freundlichkeit und Solidarität untereinander zur Folge. Dieses gesellschaftliche Klima muss andauern und noch zunehmen, Hass, Gewalt und Krieg müssen weltweit verschwinden. Neben der Kürzung der Gelder für Rüstung wäre der 8. Mai als jährlicher Feiertag ein Schritt dazu.

Fanatismus bis zm Ende

Ich erwähne nur einige Beispiele, wie total die fanatische Verblendung in der Nazi-Diktatur war. Noch einen Tag vor dem Einzug der Amerikaner am 27. März 1945 wurde in Wetzlar der 65jährige Ernst-Jakob Sauer gehängt. Er hatte ein Pappschild an seinem Haus angebracht mit der Aufschrift: „Schützt mein Haus, wir sind keine Nazis, wir begrüßen die Befreier“. Bekannter ist der Mord an dem Theologen Dietrich Bonhoeffer, der ebenfalls  noch kurz vor Kriegsende erfolgte. Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg gehängt. Nur einen Tag vor der Kapitulation geschah auch das Massaker von Gardelegen, am 13. April 1945.  Über 1000 Menschen wurden in einer Feldscheune bei lebendigem Leibe verbrannt. Am 14. April 1945 gegen 17 Uhr zogen die allierten Truppen ein. Bislang war mir Gardelegen nur durch die Wetterangaben im Radio bekannt. Nun soll mir die Erinnerung an so viel Leid durch Inhumanität helfen, freundlicher zu anderen und kritischer zu unliebsamen gesellschaftlichen Entwicklungen zu werden.

Das Massaker von Gardelegen

Als sich die alliierten Soldaten den Außenlagern des KZ Mittelbau-Dora näherten, wurden die Häftlinge in Güterwagen wegbefördert. Keiner sollte lebend in die Hände der Befreier fallen. Doch viele Gleise waren durch Bomben zerstört, und der Kraftstoff ging aus. Auf den Todesmärschen zu Fuß wurden alle erschossen, die schlapp machten. Um Gardelegen herum entstand ein furchtbares Durcheinander. Die Trupps des NSDAP-Kreisleiters Gerhard Thiele machten ‚kurzen Prozess‘, sie trieben über 1000 Menschen in die Feldscheune des Gutes Isenschnibbe am Rand der Stadt, verriegelten drei Türen und zündeten das mit Benzin getränkte Stroh an. Wer dem Feuer entfliehen wollte, wurde erschossen.

Heute ist der Ort des Grauens nahe Gardelegen eine Gedenkstätte. Die nur einen Tag später eintreffenden Amerikaner zwangen die männlichen Einwohner, die 1016 Leichen in Einzelgräbern zu beerdigen und auf jedes ein weißes Holzkreuz zu setzen. Nur ein Teil der Verbrannten konnte identifiziert werden. Sie stammten aus vielen europäischen Ländern und waren zur Zwangsarbeit von den Besatzern verschleppt worden.

Die Gedenkstätte für das Masssaker von Gardelegen. (Bildquelle: Daniel Rohde-Kage – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, httpscommons.wikimedia.orgwindex.phpcurid=32226099)
Aktuelle Solidarität

Eine starre Ideologie führt immer zu inhumanem Vorgehen, denn sie verhindert die Einfühlung in den Anderen. Das gesellschaftliche Klima ist mit Hass, Gewalt und Angst vergiftet, denn durch Abwertung und Ausgrenzung muss das unbarmherzige Verhalten gerechtfertigt werden. Seit kurzem erleben wir, wie schön es ist, wenn Solidarität, Freundschaft und Hilfsbereitschaft in der Luft liegen. Trotz der Erkrankungsgefahr und der Einschränkungen fühle ich eine Leichtigkeit des Seins, eine gewisse Entspanntheit. Meine Umwelt passt auf mich auf, die Menschen helfen einander, dieses Gefühl tut gut. Es scheint vielen so zu gehen, denn die Gesichter sind freundlicher geworden. Man nimmt einander wieder wahr, dabei ist die Toleranz gegenüber Fehlern anderer gewachsen. Das freundliche Klima macht es leichter, eigene Fehler einzugestehen, denn die Konkurrenz untereinander ist auf Sparflamme geschaltet.

Esther Bejarano (Bildquelle: Sven Teschke, CC BY-SA 3.0 de, httpscommons.wikimedia.orgwindex.phpcurid=65928509)

In seiner Ansprache fragte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: „Bleibt das neu erwachte Engagement für die anderen und für die Gesellschaft? Bleibt die geradezu explodierende Kreativität und Hilfsbereitschaft? Schenken wir der Kassiererin, dem Postboten auch weiterhin die Wertschätzung, die sie verdienen?“ Der ‚Chef‘ liegt richtig: Der humane Umgang miteinander bedarf der Pflege. Eine Hilfe dabei wäre es, den 8. Mai zum Feiertag zu machen. Danke, Esther Bejarano, für Ihre Initiative, dies der Kanzlerin und dem  Bundespräsidenten vorzuschlagen und Unterschriften für eine Petition bei change.org zu sammeln. Über 40000 UnterzeichnerInnen gibt es bereits. Danke auch für Ihr autobiografisches Buch, das den Frieden und die Solidarität feiert.

Esther Bejarano, Erinnerungen: Vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Rap-Band gegen rechts, (mit 1 DVD), 2019, 17 Euro.

Die Petition, den 8. Mai zum Feiertag zu machen, steht hier:

www.change.org

Ein Gedanke zu „8. Mai“

  1. Ich danke Ihnen, liebe Frau Wöll, für diesen engagierten Beitrag zum Tag der Befreiung, in dem Sie exemplarisch deutsche Gräueltaten in den letzten Kriegstagen in Erinnerung bringen. Ergänzend möchte ich hinzufügen, dass all diese Untaten letztlich nur möglich waren , weil die verbrecherischen Täter von der breiten Mehrheit der Deutschen getragen, unterstützt und auch bejubelt wurden. Hinterher dann allerdings wollte keiner etwas gewusst haben. Das mag im Hinblick auf die Geschehnisse in den Konzentrationslagern noch zutreffen. Dort hat es ja nur wenig Augenzeugen gegeben. Dass aber Menschen aus der Nachbarschaft auf einmal für immer verschwanden, hat man auch davon nichts gewusst? Und wenn, dann war das wohl noch kein Grund zur Aufregung. Man konnte ja, bitte schön, nicht wissen, wohin.

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