Wolf Schneider

Wörter machen Leute

Von Michael Schlag

Wolf Schneider war der „Gottvater aller Journalistenschüler“, erinnert sich Michael Schlag, der jetzt noch einmal Schneiders Buch „Wörter machen Leute“ gelesen hat, denn das Buch „war unser Grundgesetz“.

So aktuell wie beim ersten Erscheinen

Am 11. November 2022 starb Wolf Schneider, er leitete 16 Jahre lang, von 1979 bis 1995, die Hamburger Journalistenschule (Henri-Nannen-Schule). Wikipedia beschreibt ihn trocken als „deutscher Journalist, Sachbuchautor und Sprachkritiker“. Was zu ergänzen wäre: Er war in dieser Zeit der Gottvater aller Journalistenschüler, sein Buch von 1976 „Wörter machen Leute – Magie und Macht der Sprache“ war unser Grundgesetz. Also ihm und mir selbst zu Ehren noch einmal die 400 eng beschriebenen Seiten gelesen, in einer der ersten Auflagen aus den 70er Jahren. Es gab noch kein Internet, kein Twitter, nicht einmal Privatfernsehen. Am Abend gab es die Tagesschau und am Morgen die Zeitung auf Papier. Und doch ist das Buch heute genau so aktuell wie bei seinem ersten Erscheinen vor bald 50 Jahren, und eigentlich noch viel wichtiger als damals.

Auf einen Satz gebracht: Geht anständig mit der Sprache um, werft nicht schlampig mit Worten herum. Achtet die sagenhafte Bedeutung der Sprache. Alle Religionen der Welt, alle politischen Systeme, schlimmste Diktaturen genauso wie freie Gesellschaften sind durch nichts als Worte entstanden, in immer neuer Kombination. Wer für andere schreibt, nimmt leicht an, die Vermittlung von Information sei das Wichtigste an der Sprache, dazu wurde sie doch wohl erfunden. Weit gefehlt. Den größten Teil des Sprachgebrauchs der Menschheit nehmen die Gebete der vielen Religionen für sich ein; Sprache ist zudem ein Medium für Anteilnahme, Trost und Trauer, für Aggression und tiefe Verletzung, Sprache allein ist die Medizin der Psychotherapie, und sie kann das Lebensgefühl einer Generation ausdrücken, obwohl „A-wham-babba-looba-a-wham-baam-boom“ eigentlich keine Information enthält.

Ein fragiles Ding, die Sprache

Man muss auch gar nicht versuchen, die Bedeutung der einzelnen Wörter irgendwie herzuleiten. Warum heißt der Hund auf Deutsch Hund, auf Französisch chien, auf Englisch dog und in hundert anderen Sprachen noch hundertmal anders? Nun heißt er bei kleinen Kinder Wau-wau, das ist nachvollziehbar; aber obwohl Hunde überall gleich bellen, heißt es auf Englisch woof woof, im Italienischen bau bau und immer so weiter. Ein fragiles Ding die Sprache, allzeit für Missverständnisse gut. Und dann tragen viele Wörter auch noch doppelte Bedeutungen, je nachdem in welchem Zusammenhang man sie anwendet. „Ausdruck“ kann bedeuten, dass dieser Text mit Tinte auf einem Blatt Papier zu lesen ist, „Ausdruck“ kann aber auch bedeuten, dass ich den Text mit einer Mimik im Gesicht vortrage, aus der zu verstehen ist, dass ich genau das Gegenteil meine. Und dann es gibt noch die Übertragungen und Abstraktionen („mit Kanonen auf Spatzen schießen“) und diese wandeln sich ständig im Zeitablauf. Eigentlich ist Sprache zur Übermittlung von Informationen wenig geeignet.

Aber Journalisten benutzen Sprache nun einmal als Medium, das Informationen transportiert, und zwar überprüfte und belegte Informationen, also die Wahrheit. Die Wahrheit ist der Grundstoff, aus dem unser Beruf gemacht ist, ihr dient alles Streben. Das ist aber nichts allgemein Gültiges. Politiker können das ganz anders sehen, dann ist die Lüge ganz normaler Bestandteil des Berufslebens. Man wurde doch nicht gewählt, um jedem stets die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen, sondern man wurde gewählt, um politische Ziele durchzusetzen. Wenn die Wahrheit dabei stört, ist Lügen ganz legitim. Womit dann wieder die Journalisten im Spiel wären und ihr großer Lehrmeister Wolf Schneider.

Keine leichtte Bettlektüre

„Wörter machen Leute“ ist nicht gerade eine leichte Bettlektüre, es ist ein Arbeitsbuch. Am besten, man nimmt sich jeden Abend ein Kapitel vor und dann in Ruhe darüber nachgedacht. Ändert das etwas? Ja, ich gebe mir wieder mehr Mühe mit Texten, suche länger nach dem richtigen Wort, ziehe die Verben nach vorne, vermeide Schachtelsätze, achte wieder mehr auf denkbare Missverständnisse. Alles, was sich im Laufe eines Schreiberlebens so abschleift. Mein Fazit: „Wörter machen Leute“ gehört in das Bücherregal von jedem, der Sprache anwendet. Und bitte alle zehn Jahre hervorholen und noch einmal komplett lesen.

„Wörter machen Leute“ gibt es sehr preiswert in Antiquariaten, zum Beispiel bei booklooker: booklooker.de

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