Wenn die Scheren klacken
Landbote-Autor Detlef Sundermann hat sich die Lese auf dem Weingut Gündling in Michelbach angeschaut. Er kam sich vor wie auf einem Seniorenausflug: Die Lesekräfte sind betagt, kaum einer ist weniger als 20 Jahre jeden Herbst dabei. Hier seine Fotoreportage.
Weinlese in Michelbach
Gutschefin Andrea Gündling manövriert den Mercedes-Kleinbus durch den morgendlichen Verkehr in die engen Gassen von Michelbach. Unter den Mitfahrern herrscht trotz früher Stunde bereits gute Laune, die mit jedem Zusteigenden noch ein bisschen besser wird – auch wenn es ob des letzten Zusteigers eng wie in der Ölsardinendose zugeht. Man kennt sich. Auch wenn die Stimmung der Passagiere anderes vermuten lässt, Gündling kurvt nicht wegen eines Klassenausflugs durch den Ort, sondern um Helfer für die Lese auf den eigenen Weinbergen einzuladen. Rund fünf Hektar unterfränkische Hanglagen bewirtschaftet der Familienbetrieb von Klaus Gündling, 55 Jahre alt, Winzer- und Landwirtschaftsmeister. Der Goldberghof besteht seit 1865 und wird heute in sechster Generation betrieben. Neben Ehefrau Andreas helfen wie beiden Söhne und Jungwinzer Christoph und Martin auf dem Hofgut.
Noch fehlt es nicht an Helfern
Bei der Lese sind die Gündlings jedoch auf zahlreiche qualifizierte Lesekräfte angewiesen. Wenn sich die eines Tages nicht mehr in ausreichender Zahl finden lassen, werden auch die Gündlings auf automatische Lese umstellen. Doch noch gibt es keinen Mangel. Diesmal sind es um die 20 Lesehelfer, die auch aus dem hessischen Grenzland kommen. „Unter der Woche liegt der Altersdurchschnitt eher höher“, sagt Andrea Gündling. Daher sieht es eher nach einem Seniorenausflug auf dem Steinberg aus, wenn die Leser sich mit dem grünen Eimer schwingend in der Hand flotten Schrittes zu den Rebenfeldern begeben. „Robert und Heide sind mit 75 Jahren die ältesten.“ Kaum einer ist weniger als 20 Jahre jeden Herbst dabei. Nicht wenige Lesehelfer sind darunter, die es nur einmal ausprobieren wollten…
Andrea Gündling verteilt Gartenscheren, Kunststoffeimer und Einmal-Handschuhe, die aber nicht jeder nimmt, und ab geht es in die Rebenreihen. „Der Silvaner ist heute dran“, sagt ihr Mann Klaus. Er muss genau aufpassen, an welche Rebenreihen er seine Leute schickt, denn nahtlos schließt der Weinhang des Nachbarn an. Seit dem 13. Jahrhundert wird bei Michelbach Wein angebaut. Mönche aus Seligenstadt fingen damit an. Über die Jahrhunderte ist die Abbaufläche deutlich geschrumpft, auch wegen einer Hungersnot vor mehr als hundert Jahren, erzählt Andrea Gündling. Das Ende der Michelbacher Winzergenossenschaft ist hingegen noch gar nicht so lange her. Für die Gündlings war dies der Grund, sich einen Aussiedlerhof mit eigener Kelterei zu bauen. Auf einen romantischen Weinkeller wurde jedoch verzichtet.
Mit krummem Buckel den Hang empor
Bergrunter geht es zunächst für die Leser, dabei schnappt manch einer kurz an die Trauben, um eine Beere zu picken. Die Süße wird schon beim ersten Biss gelobt. Dann klacken metallisch die Schneiden der Scheren. Zügig füllen sich die grünen Eimer mit einem sanften Blup der aufeinander fallenden Trauben. Mit krummem Buckel arbeitet man sich den Hang empor. Christoph Gündling steuert rückwärts einen schmalen Trekker mit einer Kiepe am Heck durch die Rebstockgassen. Ein Träger sammelt unentwegt die Eimer, leert sie mit schnellem Schwung in der Kiepe des Treckers aus und verteilt die leeren Eimer wieder an die Leser, die routiniert schon den nächsten Eimer gefüllt haben und nebenbei noch ein Schwätzchen halten. Dort wo der Hang für den Trecker zu steil ist, muss immer noch der Mensch die Kiepe tragen. Nach etlichen Rebenreihen ist kurze Pause. Zeit zum Trinken. Zum Aufwärmen gibt es Williams Christ und Schokolikör.
Bis zu drei Stunden bleibt das Lesegut in der Presse, bis der letzte Tropfen aus den Beeren herausgelaufen ist und nur noch Trester wie grüner Matsch in der meterlangen, rotierenden Trommel liegt. „Der kommt als Dünger auf dem Weinberg“, sagt Klaus Gündling. Mehrmals prüft er den in eine Wann rinnenden Most mit einem Refraktometer die Oechsel-Grad. Mehr als 80 Grad. Gündling nickt zufrieden. Nach einer Stunde pumpt er die erste Mostausbeute in einen mannshohen Stahlbehälter. Die erste Pressung ergibt später den besten Tropfen. Die Tankpresse, die mit einem Luftsack arbeitet, ist im Vergleich zur früheren mechanischen Presse ein schonendes Verfahren, erläutert Gündling. Mit der alten Presse seien immer wieder Kerne – zerquetscht oder ganz – in den Most gelangt und deren Gerbstoffe sind, anders als beim Barrique, nun mal nicht gewünscht.
Auskömmliche Direktvermarktung
„Unsere Weine sind nur bei uns zu kaufen“, sagt Gündling. Dem Diktat der Großabnehmer will er sich nicht unterwerfen. Qualität statt Masse, lautet die betriebswirtschaftliche Devise. Andrea und Klaus Gündling stammen beide aus Winzerfamilien, Weinanbau betrieben sie mit Berufsehre. Schwerer Roter lagert deshalb auch in Barrique-Fässern, wo ein komplizierter Oxidations- und Gärungsprozess unter Einbeziehung des Fassholzes abläuft, das etwa von Stieleichen aus den Wäldern der französischen Region Limousin stammt. „Die dürfen wir drei Jahre nutzen, danach ist es schlicht Reifung in Holzfässern“, sagt Gündling. Gütesiegel für seine Produkte sind ihm wichtiger als lukrative Großaufträge. Der eigeneWeinladen und eine Häckerwirtschaft ermöglichen eine auskömmliche Direktvermarktung. Neben den Klassikern wie Bacchus, Dorfelder oder Merlon und Riesling gibt es auch „junge Kreationen“ etwa beim Rosé und Weißen, dafür zeichnet sich der Winzernachwuchs der Gündlings verantwortlich. „Frisch, frech, fruchtig“ steht auf diesen Etiketten mit einem stilisierten Rebblatt. Und das Fruchtig-Freche wird in der üblichen Flasche gefüllt. Winzer aus Franken müssen nicht mehr mit den typischen Bocksbeutel werben, sagt Gündling mit einem Lächeln.
Nach knapp vier Stunden ist die Lese an diesem Tag geschafft. In der Häckerstube wartet nun eine lange Tafel auf ihre Gäste. Jeder Helfer findet schnell seinen Platz. Teller mit Bergen von mächtigen Knackwürsten und große Terrinen mit scharfem Gulascheintopf werden aus der Küche herangetragen. Mit randvollen Kellen wird der Eintopf in die weißen Schüsseln gegeben – bis diese auch fast voll sind. In die Gläser fließt Wasser, Cola oder Wein – nach Belieben. Manch einer isst matt von der Anstrengung still seine Portion samt ein- oder zweimaligen Nachschlag, andere plaudern unterhaltsam. Und bevor die ersten Bissen heruntergegangen sind, kommt die Frage auf: „Geht es morgen weiter.“ Tut es, sagt dann Andrea Gündling. „Wenn es nicht regnet.“
Wurden auch schon jüngere Leute, wie z.B. Geflüchtete und Arbeitslose beschäftigt? Oder wäre das zu teuer?
Ist Weinlese nur mit umsonst arbeitenden Alten machbar? Und wenn die weg bleiben?