Vereinssport

Wege aus dem Corona-Tiefschlaf

Von Michael Schlag

Nach Monaten des Corona-Tiefschlafs meldet sich der Vereinssport in Mittelhessen mit einem organisierten Volkslauf zurück. Der traditionelle 10-Meilen-Lauf durch den Licher Wald gehört für viele Läufer in Mittelhessen zum Auftakt der Saison. Mit den 16,1 Kilometern auf hügeliger Strecke lässt sich der Trainingsstand nach dem Winter gut abfragen. Nach dem Ausfall im vergangenen Jahr bietet der ASC (= Ausdauersportclub) Lich den Volkslauf jetzt wieder an, allerdings in einer virtuellen Version. Die Anmeldung ist seit Ostern geöffnet, jetzt hat man zwei Wochen Zeit, die 10 Meilen zu laufen. Bis Ostern hatten sich bereits hundert Läufer angemeldet.

Werner Ickler, Vorstandsmitglied im ASC Lich, kann dem virtuellen Lauf auch Gutes abgewinnen: Man könne damit Leute für die Teilnahme gewinnen, die weit entfernt leben, zum Beispiel in den Partnerstädten von Lich. So hatte es auch beim Silvesterlauf in Gießen funktioniert, der die Vorlage für die Organisatoren bot. Man kann die 16,1 km nämlich laufen wo man will, das gehört auch zum Konzept.

Nicht mit der Corona-Verordnung anecken

Die 10-Meilen-Strecke durch den Licher Wald.

Der Lauf muss so organisiert sein, dass man nie mit der Corona-Verordnung aneckt. Das heißt: „Wir dürfen nicht zu viele zugleich auf die Strecke ziehen“, sagt Werner Ickler, würde man nur die Originalstrecke durch den Licher Wald mit Start und Ziel am Waldschwimmbad ausschreiben, wäre das schwer zu garantieren. Deshalb gibt es auch keine Kennzeichnung mit Kilometermarken, was sonst den Reiz einer Wettkampfstrecke ausmacht. Man muss alles vermeiden, was den Charakter einer öffentlichen Veranstaltung annimmt. Will sagen: Wer startet, der startet individuell und rein privat, egal wo und wann. Wer den Licher Wald dafür auswählt, der findet auf der Homepage des ASC eine Karte und zur Navigation eine GPX-Datei zur Installation in der Lauf-App. Von hier wird am Ziel auch ein Screenshot als Beleg zum Veranstalter geschickt. Den Link zum Upload bekommt man mit der Anmeldung.

Ein Eindruck der Strecke durch den Licher Wald. (Foto: Michael Schlag)

Ein vollwertiger Ersatz für den Volkslauf im Frühjahr ist der virtuell ausgetragene Wettbewerb zwar nicht, die Siegerehrung und das legendäre Kuchenbuffet fallen aus, „aber ich finde, man sollte alle Möglichkeiten ausschöpfen, die man noch hat“, sagt Oliver Müller-Secci, der mit sieben Vereinskameraden angemeldet ist. Müller-Secci ist Vorsitzender des 1. Licher Triathlon Vereins, der im vergangenen Sommer im Licher Waldschwimmbad den einzigen hessischen Triathlon des Jahres organisierte. Mit Hygienekonzept, Wegeführung, Abstandsregeln, Start in Kleingruppen, insgesamt „extremer Aufwand und viel Risiko“, zum Glück steckte sich niemand an. Müller-Secci findet es mittlerweile „extrem ungerecht“, wie der Amateursport verglichen mit den Bundesligen behandelt wird. „Wo viel Geld ist, ist alles erlaubt“, zürnt Müller-Secci, „aber der Amateursport wird gnadenlos am Boden gehalten.“

Ersatz für den Wettkampf

Bereits teilgenommen hat Marc-Alexander Funk mit seiner Laufgruppe. Funk ist Triathlonwart beim ASC Dillenburg und hat die 10 Meilen auf der Originalstrecke gleich zum Start an Ostern absolviert. Früher sei er alle zwei bis drei Wochen einen Wettkampf gelaufen, sagt Funk, ihm „fehlt das total“. Jetzt ist er zum ersten Mal mit Streckenansagen von der App gelaufen, das sei doch zumindest „ein Ersatz, weil man sonst keine Möglichkeit hat.“ Die Steuerung über die heruntergeladene Karte hat insgesamt funktioniert, nur „hin und wieder war es ein Orientierungslauf“, aber zur Sicherheit hatte er auch die ausgedruckte Karte einstecken. Was Corona angeht, sieht er dabei und auch beim Training überhaupt keine Probleme, es laufen „zwei vorne und 15 Meter dahinter die nächsten zwei.“ Die sehr engen Beschränkungen für das Amateurtraining mag auch Funk nicht mehr alle einsehen. Funk ist Sportlehrer von Beruf und er findet, von Seiten der Politik werde zu wenig getan, um den Amateursport auch mit Hygienekonzepten aufrecht zu erhalten. Laufen im Freien bringe wirklich keine besondere Infektionsgefahr mit sich, der Schulsport im Freien sei ja auch mit Abstand, Maskenregeln und Hygiene möglich. „Mir liegt am Herzen, die Leute am Ball zu halten“, sagt der Sportlehrer, und ein Volkslauf wie die 10 Meilen gebe einen kleinen Antrieb, sodass er und seine Laufkameraden an Ostern sagten: „Lasst uns mal runterfahren und die Originalstrecke laufen.“ Ein Wettkampf unter realen Bedingungen entstehe so zwar nicht, jeder meldet seine Zeit selber in die Wertung, „aber in der Läuferszene sind die Leute ehrlich.“ Allerdings wird der 10-Meilen-Lauf mangels geprüfter Zeitmessung in diesem Jahr nicht im Mittelhessen Cup (MHC) gewertet.

Wenn man die Solaranlage bei Albach sieht, hat man die Hälfte der Strecke durch den Licher Wald geschafft und auch die meisten Berge hinter sich. (Foto: Michael Schlag)
 
Amateursport benachteiligt

Die Klagen, dass der Amateursport in der Corona-Politik benachteiligt wird, kennt auch Klaus Schuder, Präsident des Hessischen Leichtathletikverbandes (HLV). Wenigstens dürfe man jetzt wieder mit fünf Personen aus zwei Haushalten trainieren, für Kinder unter 14 Jahren sind die Grenzen weiter gesetzt. Er begrüßt aber sehr, ersatzweise virtuelle Läufe zu organisieren, „aktuell ist es leider das Einzige, was funktioniert“, sagt der HLV-Präsident. Virtuelle Läufe gäben auch wieder die Möglichkeit, sich in der Laufcommunity zu vergleichen, und „aus meiner Sicht ist es sehr schön, dass es solche Formate gibt.“

Reichlich Gebrauch davon macht der Treiser Lauf- und Walking-Treff (LWT) aus Staufenberg. Er ist mit elf angemeldeten Teilnehmern und Teilnehmerinnen derzeit der mitgliederstärkste Verein bei den 10 Meilen. „Es braucht immer ein bisschen Motivation“, sagt Hans Hausner, Lauftreffleiter beim LWT. „Bald ein halbes Jahr gab es keinen Lauftreff mehr“, bedauert Hausner, trotzdem hielt er die regelmäßigen Termine zwei Mal die Woche aufrecht. Nicht mit gemeinsamem Start, aber zu den bekannten Zeiten aufgeteilt in Zweiergruppen auf getrennten Strecken. Im Anschluss kann man seine Teilnahme am virtuellen Lauftreff melden, und wer oft teilnimmt bekommt eine Belohnung. „Man muss kleine Anreize setzen“, sagt Hausner, wie die Teilnahme an den 10 Meilen in Lich, man wolle damit aber auch den ausrichtenden Verein unterstützen.

Haupteinnahmequelle fällt weg

Auch für Sophie Cyriax aus Biedenkopf ist es ein Anreiz, sich wieder mehr zu aktivieren. „Ich finde es toll, dass der Verein sich die Mühe gibt, das zu organisieren“, sagt Cyriax. Der Lauf rufe sich damit in Erinnerung und für sie war es „ein schönes Ziel, auf das man hinarbeiten kann“, man laufe dann auch im Training mal wieder etwas mehr. Nach Lich wird sie deshalb aber nicht fahren, sondern „ich werde mir hier eine 10-Meilen-Strecke suchen.“

Immerhin, seit dem Start an Ostern läuft die erste Veranstaltung dieses Jahres in Mittelhessen, in der man sich virtuell auf altbekannter Strecke messen kann, auch in kleinen Gruppen bis fünf Personen aus zwei Haushalten. „Was wir an Gemeinsamkeit erreichen können, machen wir“, sagt Werner Ickler vom ASC, vielleicht gäben die jetzt ausgeschriebenen 10 Meilen manchem ja den nötigen Antrieb, „den Tiefschlaf durch Corona zu beenden.“ Ein großes Geschäft wird für den Verein aber nicht daraus. Insgesamt mache die Organisation zwar deutlich weniger Arbeit als der klassische Volkslauf; keine vorherige Abstimmung mit Behörden, kein Zeitmesssystem mit Transpondern, keine Markierungen und Verpflegungsstellen, aber dem Verein fällt mit dem sonst dazu gehörenden Fest trotzdem die Haupteinnahmequelle des Jahres aus. Die Anmeldegebühr für den Hauptlauf wurde in diesem Jahr auf fünf Euro gesenkt, daneben gibt es auch die Einsteigerstrecke von vier Meilen (= 6,5 km) zum Laufen oder Walken (3,50 €). Am Ende erscheint man wie gewohnt in seiner Altersklasse auf der Ergebnisliste und bekommt eine Urkunde zum kostenlosen Download. Unter diesen nicht perfekten Verhältnissen mitzumachen, sei halt auch eine Art „virtuelle Solidarität“, findet Werner Ickler.

Von asc-licher-wald.com/ führt ein Link direkt zur Anmeldung und zum Download der Strecke.

Wer etwas länger laufen will, und die etwas weitere Anfahrt in Kauf nimmt: Auch Spiridon Frankfurt bietet derzeit seinen Frankfurter Halbmarathon als virtuellen Lauf an. Der Ablauf ist im Großen und Ganzen der gleiche, man meldet seine Zeit und schickt einen Laufbeleg mit der App. Die Teilnahme ist kostenlos, vorherige Anmeldung nicht erforderlich. frankfurter-halbmarathon.de

Klaus Schuder vom HLV ist übrigens guter Dinge, dass es im Juni wieder möglich sein wird, sportliche Präsenzveranstaltungen zu organisieren, mit den dann gültigen Hygieneregeln. Der 1. Licher Triathlon Verein hat sich schon darauf eingestellt und gerade die Ausschreibung eröffnet für den nächsten Licher Cross Triathlon am 17. Juli 2021. triathlon-lich.de/

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