Umweltschutz

Der ökologische Leisetreter

Von Dietrich Jörn Weder

Fast alles, was ich gerne tue, schadet mir oder der Umwelt. Ich muss es unterlassen. Vor allem soll ich nicht rauchen: Es schadet meiner Gesundheit, viel schlimmer noch, sagt der allgegenwärtige Tugendwächter der Umwelt, ich schädige meine passiv mitrauchenden Mitbewohner, Menschen und – Oh-Gott-Oh-Gott – die ach so rauchempfindlichen Haustiere, und schließlich ist das Rauchen eine wenn auch kleine, so doch erderwärmende Verbrennung.

Weder Alkohol noch Fleisch

Aber trinken darf ich doch? – Mindestens ein Gläschen Wein jeden Tag wird doch drin sein! – „Nein“, las ich neulich, jeder Tropfen Alkohol sei von Übel. Aber was wird dann aus den seit tausend Jahren gepflegten Weingärten in unserem Lande? Die sind – streng betrachtet – auch eine Belastung für die Umwelt, spritzen doch die konventionellen Weinbauern ihre Reben mehrfach im Jahr mit giftigem Zeug und selbst der Öko-Winzer greift im Bedarfsfall zu einer schädlichen Kupferbrühe.

Fleisch essen darf ich auch nicht, das lese ich fast jeden Tag, und das sogar ohne Vegetarier zu sein. Schadet der Verzehr von Fleisch dem Klima doch viel mehr als der Verzehr von Gemüse, und könnte doch das Getreide, das die Schlachttiere fressen, den Hunger der Armen in der Dritten Welt stillen. Zwar düngen die Ausscheidungen von Kühen und Schweinen die Felder auch der Öko-Bauern, aber auch das ist nur eine Ausrede, hält man mir entgegen, soll ich doch auch diese gutgehaltenen Tiere vor dem Schlachthaus bewahren.

Urlaub auf dem Balkon

Da bleibt mir eigentlich nur die Flucht in den Urlaub in anderen Ländern, wo man nicht so streng urteilt und dem Gast gerne ein wenig Genuss gönnt. „Halt“ ruft mir da der ökologische Saubermann entgegen. Wie willst Du denn überhaupt in die fremden Länder gelangen? – Das Flugzeug ist aus Klimaschutzgründen ganz und gar tabu, für das Reisen in einem großen bequemen Auto gilt das Gleiche.

Geraten wird mir, das Fahrrad zu nehmen, aber das ist mir in meinem Alter, zumal mit Gepäck, zu beschwerlich, und zu Fuß komme ich auch nicht sehr weit. Das Klima und die Umwelt beschwere ich am Wenigsten, wenn ich Ferien auf „Balkonien“ mache. Ich darf da die Spatzen, wenn es sie noch gibt, mit Körnern füttern, doch die müssen aus ökologischem Landbau stammen, der aber, wie die Veganer hinzufügen, nicht mit Viehdung arbeiten darf.

Öko-Engel zünden kein Feuerwerk

Kurzum, das sagen die Vordenker schonenden Umweltverhaltens, ich soll bei allem Tun an meinen „ökologischen Fußabdruck“ denken, will sagen, ich möge „sachte auftreten“, wie es die Angehörigen der indischen Sekte der Jainisten vormachen, die mit barfüßiger Fortbewegung keinem Insekt oder Wurm etwas zuleide tun. Mit anderen Worten, ein gutes Umweltzeugnis bekomme ich nur, wenn ich zum „ökologischen Leisetreter“ werde.

Am besten natürlich, ich und die anderen acht Milliarden Mitbewohner des Planeten würden die Erde so gut wie gar nicht belasten. Das wäre dann eine „Engel-Ökonomie“ ohne menschliche Fußabdrücke. So hat der ehemalige Weltbank-Volkswirt Herman Daly in seinem Werk 2Steady-State-Economics“ die Ideal-Vorstellung der Ökopuristen ironisch charakterisiert. – Ein Zustand, für den mir die Flügel fehlen.

Das neue Jahr – ich bekenne es – habe ich sündhaft mit Feuerwerk begrüßt. Die Deutsche Umwelthilfe wollte mir auch diese Einmal-im-Jahr-Freude verbieten. Immer öfter stelle ich mich taub.

Dr. rer. pol. Dietrich Jörn Weder war Jahrzehnte lang leitender Umweltredakteur und Fernsehkommentator des Hessischen Rundfunks. Seit seiner Pensionierung arbeitet er als freier Autor für Print- und Audiomedien. Er betreibt den Blog Wachposten Frankfurt, auf dem er Kommentare zu aktuellen Themen veröffentlicht. Wachposten

Titelbild: Eine nicht ganz ökologische Begrüßung des neuen Jahres mit Musiktheater in Bad Blankenburg. (Foto Antje Weder)

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