Die Vision eines Endes
Von Dietrich Jörn Weder
Es gibt einen ganz üblen und einen bestmöglichen Ausgang des Krieges in der Ukraine. Im üblen Fall messen Russland und der Westen auf dem ukrainischen Schlachtfeld solange ihre Kräfte, bis sie selber militärisch aneinandergeraten. Im günstigen Fall zieht der Kreml auf diesem Feld den Kürzeren und muss seine neuen kriegerischen Eroberungen räumen.Wer den längeren Atem hat!
Kann Putin die Ukraine nicht niederzwingen, ist auch sein alle Freiheiten erstickendes Regime in Russland auf die Dauer nicht haltbar. Ein verwandeltes Russland ordnet sich in einen größeren gesamteuropäischen Zusammenhang ein. Das waffenstarrende Gegeneinander auf unserem Kontinent wird obsolet. Das große Blutvergießen bekommt vom Ende her einen Sinn, den die Gefallenen freilich nicht mehr erleben. – Alles nur ein Wunschgemälde?
Man kann eine solche Vision vom Gang der Dinge für ein Wolkenkuckucksheim halten. Doch Präsident Biden hat mit seinem Besuch in Kiew dem Kreml demonstrativ gezeigt, dass der Westen in seiner Unterstützung für die Ukraine nicht wankt und sich diese viel kosten lässt. Leos, deutsche Panzer, allein werden das Blatt nicht wenden. Doch sollten die USA ihre überlegenen industriellen und militärtechnischen Fähigkeiten mehr und mehr zugunsten Kiews in die Waagschale werfen, ist dagegen kein russisches Kraut gewachsen, jedenfalls solange nicht, wie die Ukraine den damit verbundenen Blutzoll zahlen kann und will.
Innenpolitische Folgen einer russischen Niederlage
Eine Niederlage auf dem Schlachtfeld wird für Russland früher oder später auch innenpolitische Folgen zeitigen. Putins Polizeistaat kann mit einer freiheitlich organisierten Ukraine nicht koexistieren und schon gar nicht konkurrieren, umso weniger wenn diese als EU-Mitglied auch wirtschaftlich prosperiert.
Die historischen und verwandtschaftlichen Gemeinsamkeiten beider Länder, dazu die unentrinnbare räumliche Nachbarschaft stehen einer scharfen gegenseitigen Abschottung im Wege. Oder will der Kreml dem Trumpschen Beispiel folgen und eine Mauer bauen?
Als europäischer Paria hat Russland keine Zukunft!
Das gebildete, das kultivierte Russland, das es auch noch immer gibt, wird sich nicht damit abfinden, in Europa ausgegrenzt zu werden. Die weltläufige Elite hat sich ohnehin bereits aus dem Staub gemacht oder steht auf dem Sprung, es zu tun. Der Kultur hat Putin bereits Maulkörbe verpasst. Und solange die Staatsgewalt unumschränkt bleibt, wird es auch keine wirtschaftliche Entfaltung, kein freies Unternehmertum geben.
Mit Stalin zurück nach Gestern?
Der russische Präsident will den mittlerweile auch in seinem Land kritisch gesehenen Gewaltherrscher Stalin wieder möglichst hoch geehrt sehen und setzt seine Büsten hier und da auf neue Sockel. Doch der georgische Schnauzbart blieb trotz vermeidbarer eigener strategischer Fehler im „Großen Vaterländischen Krieg“ am Ende Sieger. Niederlagen dagegen sieht das einfache russische Volk, so sagt man, seinen Zaren nicht nach.
Über Frieden entscheidet das Kriegsgeschehen!
Der Krieg in der Ukraine entscheidet letztlich auch über die innerrussischen Verhältnisse. Selbst ein halber Sieg würde Russland teuer zu stehen kommen. Was sie aus einer Niederlage machen, können nur die Russen selber entscheiden. Die russische Mittelschicht hat schon einmal die Morgenluft von Weltläufigkeit und Wohlstand geschmeckt. Sie wird versuchen, die Putinsche Zwangsjacke abzuschütteln. Kann das ohne eine Palastrevolution im Kreml gelingen?
Doch all das passiert nur im ausgemalten besten Fall und frühestens übermorgen. Vor alledem muss der Krieg zu einem Ende kommen. Und bis dahin werden gewiss noch einige schwarze Wolken über uns abregnen.
Dr. rer. pol. Dietrich Jörn Weder war Jahrzehnte lang leitender Umweltredakteur und Fernsehkommentator des Hessischen Rundfunks. Seit seiner Pensionierung arbeitet er als freier Autor für Print- und Audiomedien. Er betreibt den Blog Wachposten Frankfurt, auf dem er Kommentare zu aktuellen Themen veröffentlicht. Wachposten
Titelbild: Leopard 2 (Bildquelle: Wikipedia/7th Army Training Command from Grafenwoehr, Germany – Strong Europe Tank Challenge 2018, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=70008593)