„Mahlzeit“ 15 Jahre alt
Über 900 Tafeln sind im Bundesverband Deutsche Tafel eV. organisiert. Die Wetzlarer Tafel, wie alle anderen unabhängig von politischen Parteien oder Konfessionen, ist eine der ältesten.
So läuft das Tag für Tag
Als die Zahl der AbholerInnen nach der Einführung von Hartz IV immer größer wurde, eröffnete die Ev. Kirchengemeinde Wetzlar-Niedergirmes einen zweiten Tafel-Laden mit Café in der Bahnhofstraße. Seitdem verteilen etwa 120 ehrenamtliche MitarbeiterInnen Lebensmittel und Kleidung an täglich bis zu 80 AbholerInnen mit kleinem Geldbeutel. Für die Flüchtlinge wurden zusätzliche Öffnungszeiten organisiert.
Der Tafelladen „Mahlzeit“ öffnet um 9.30 Uhr. Es ist 9.40 Uhr. Das Tafel-Auto hat seine Tour beendet und wird ausgeladen. Es hat bei Geschäften abgeholt, was grade um das Verfallsdatum pendelt und deshalb aussortiert wurde, aber noch wunderbar genießbar ist: Gemüse, Obst, Joghurt, Wurst und vieles mehr. Drinnen betritt man zuerst die Cafézone. Alle Tische sind schon belegt. Ein Herr merkt, dass ich ’neu‘ bin und lädt mich auf den freien Stuhl an seinem Tisch ein. Wo gibt es denn sonst so etwas wunderbar Aufmerksames? Im Kranzler sehen die Gäste zwar schnieker aus, achten aber darauf, allein zu sitzen. Diese Runden hier kennen sich, denn sie kommen oft im ‚Café‘ des Tafelladens zusammen.
DieTasse Kaffee kostet 20 Cent, den Kuchen vom Vortag gibt es umsonst dazu, solange der gespendete Vorrat reicht.
Flüchtlinge helfen
Weiter hinten in dem riesigen Raum werden die eingelieferten Lebensmittel gezählt und notiert. Damit man abschätzen kann, wieviel die einzelnen Abholer erhalten können. Hierbei helfen einige der etwa 2000 in Wetzlar untergebrachten Flüchtlinge, Halan aus Eritrea spricht schon ein ganz passables Deutsch, in den wenigen Monaten hat er das alles hier gelernt. Sein Kollege aus Somalia muss noch üben. Learning by Doing, denn Sprachkurse besuchen beide nicht. Sie sind heilfroh, eine sinnvolle Beschäftigung gefunden zu haben.
Wenn sich Frauen und Männer, alle die Hartz IV-Bezieher, die kleinen Rentner und die Aufstocker, ihr Herz gegenseitig ausgeschüttet haben, gehen sie mit ihrer Berechtigungskarte nach hinten in den „Lebensmittel-Bereich“ und versorgen sich billig. Andere wechseln in das „Kleidergeschäft“, um eine warme Jacke oder Hose zu suchen. Die Sachen auf den Bügeln sind zwar gebraucht, aber tadellos sauber und picobello. Sogar eine Auswahl an Schuhen präsentiert sich. Im Kleiderbereich werden Spenden erwartet. Eine Frau hat einen gesteppten Anorak gefunden und gibt dafür 3 Euro als Spende.
Erweiterte Öffnungszeiten
Um 14 Uhr öffnet der Tafel-Laden erneut, und zwar exklusiv für die Flüchtlinge, um Platznot zu vermeiden. Die haben von ihren Großzelten bis zum Tafel-Laden einen recht weiten Weg zurückzulegen. Nun ist der Lebensmittel-Bereich „geschlossen“, denn die Geflüchteten werden ja bekocht. Dafür ist aber die Kleiderecke wieder aufgefüllt und präsentiert ein riesiges Angebot. Wie im Kaufhaus auf Stangen aufgereiht, nur eben gebraucht. War das Publikum morgens meist etwas älter, einheimisch mit deutschen oder migrantenen Wurzeln, so stöbern nun eher junge Paare , die erkennbar aus der Ferne kommen. Kinder sind dabei, die sich aber nicht so richtig zu tollen trauen. Zu neu ist das alles für sie.
Eine Dame mit Stock aus dem Altersheim pflegt hier wohl öfter eine Pause auf ihrem mittäglichen Spaziergang einzulegen. Ich bekomme mit, wie sie einer Bedienung eine Geschenktüte mit einem Dank überreicht. Die wenigen angestellten und auch die ehrenamtlichen Kräfte sind jetzt doch nicht mehr so morgendlich frisch und munter. Sie waren ununterbrochen auf den Beinen und haben in der Tat Dank verdient.
Tafeln gibt es auch in Butzbach, Friedberg und weiteren mittelhessischen Städten.
Zur 15-Jahresfeier des Wetzlarer Tafel- Ladens steht der Gottesdienst am 4. Oktober 2015 um 11 Uhr in der Christuskirche Niedergirmes unter dem Motto: „Denken und Danken – 15 Jahre Wetzlarer Tafel „Mahlzeit“. Am 10. Oktober 2015 um 19 Uhr gibt die „Pretty Lies Light“ dort ein Konzert. In der Pause gibt es einen Empfang zur Würdigung der Tafel- MitarbeiterInnen (Eintritt frei, Spenden erwünscht).