Ein Dorf der ersten Bauern
Von Klaus Nissen
Zwischen den Niddaer Stadtteilen Borsdorf und Harb soll auf 19 Hektar ein Gewerbepark entstehen. Mit viel Grün, Radwegen und dezentraler Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen. Die Planung schreitet leicht verzögert voran. Sichtbar sind momentan nur die Archäologen vor Ort. Sie finden Uraltes.Man fand hier schon Etruskisches
Ein großer Bagger und zwei Kleinbusse stehen auf dem weiten Feld gegenüber der Lupp-Zentrale, im Winkel der Bundesstraßen 455 und 457. Der Bagger hat seit Anfang September 2024 fünf jeweils etwa tennisplatz-große Flächen frei geräumt. Er schob die obersten 30 Zentimeter des Ackers ab und häufte die Erde daneben zu mannshohen Halden.

Das ist Routine, wenn das Landesamt für Denkmalschutz auf einem Bauplatz Relikte aus alten Zeiten vermutet. Und das Gelände des künftigen IGO Green (Interkommunaler Gewerbepark Oberhessen) steht schon lange im Verdacht. Bereits 1855 fand man hier den „Borsdorfer Henkel“ – den Teil eines etruskischen Bronzegefäßes aus dem fünften Jahrhundert vor Christus.
Pfostenlöcher, Gruben und Gräben
Der Rest des Bronze-Potts ist bislang nicht gefunden. Doch es zeigte sich weit Älteres: Links hinten im künftigen Gewerbepark ist ein halbes Dutzend Grabungstechniker zugange. In lehmverschmierten Stiefeln und Hosen hantieren sie mit Schaufeln und Schabern in einer der Sondagegruben. Auch der Laie erkennt dunkle Flecken und Linien im sonst hellbraunen Lößboden. Mit gelben Plastikmärkchen und weißen Fäden markieren die Frauen und Männer der Grabungsfirma aus Münzenberg die interessantesten Stellen.

„Wir haben Siedlungsspuren gefunden“, sagt einer der Ausgräber. Pfostenlöcher, Gruben, Gräben, Hinweise auf Hauswände. Mehr könne er nicht sagen – man möge sich ans Landes-Denkmalamt wenden.
Siedlung ist wohl älter als 6500 Jahre
Dessen Pressesprecher Lars Görze macht es noch spannender. Denn die Sondierungen weisen „auf vorgeschichtliche Siedlungsspuren hin, die deutlich älter sind als die Befunde aus Wölfersheim-Berstadt. Genauere Angaben können wir jedoch erst nach Abschluss der laufenden Untersuchungen machen.“
Also wird noch in den Winter hinein sondiert. Die Archäologen werden Schnitte durch die dunklen Flächen ziehen und nach kleinsten Resten der Uralt-Siedlung suchen.

Was ist denn „deutlich älter“ als die Befunde aus Berstadt? Älter als 6500 Jahre. Denn dort, wo an der Autobahnauffahrt Berstadt ein Rewe-Logistikzentrum entstehen soll, fand man 2019 ein ganzes Dorf der Rössener Kultur aus der mittleren Jungsteinzeit, ungefähr aus dem Jahr 4500 vor Christus.
So scheint es, dass bei Borsdorf die ersten sesshaften Wetterauer lebten. Sie kamen etwa ab 5800 vor Christus aus dem heutigen Anatolien. Der fruchtbare Boden mag sie zum Bleiben bewogen haben.
Leitungs- und Straßenbau ab Mitte 2025
Die Planer des Gewerbeparks reagieren gelassen auf die Nachricht, dass noch länger gegraben wird. Die Planung dauert ja auch lange. Aktuell arbeiten sie laut Niddas Bürgermeister Thorsten Eberhard am Bebauungsplan, am Erschließungsplan und der Bauland-Umlegung. Auch die Umwidmung des Ackers in Gewerbeland für den Regionalen Flächennutzungsplan und die Ausführungsplanung für die Erschließung des Geländes stehen noch an, sagt Joachim Thiemig. Er führt die Geschäfte des Zweckverbandes für den „IGO Green“.

Laut Thiemig war ursprünglich das Frühjahr 2025 angepeilt für den Baubeginn der Straßen, der Geh- und Radwege, Strom- und Datenkabel, der Wasser- und Abwasserleitungen auf der Freifläche zwischen Borsdorf und Harb. Ende 2024 sollten die Arbeiten ausgeschrieben werden. Aber: „Ich will nicht verhehlen, dass es ein sehr komplexes Projekt ist“, sagt der Geschäftsführer. Bei einem geschätzten Kostenvolumen von mehr als 20 Millionen Euro müsse man zum Beispiel eine europaweite Ausschreibung machen. Womöglich könnte der Straßen- und Leitungsbau Mitte 2025 beginnen.
Bürgermeister Eberhard rechnet eher mit dem Herbst nächsten Jahres. Es drängelt noch niemand – bislang gibt es keine Verträge mit ansiedlungswilligen Firmen. Ein Unternehmen aus Nidda wolle im „IGO Green“ Flächen erwerben, verrät Joachim Thiemig. Den Namen nennt er nicht. Es sei aber gut, einen „Anker-Nutzer“ im neuen Gewerbepark zu haben.
Investorensuche bei der Expo Real
Bei der Gewerbeimmobilien-Messe „Expo Real“ in München Anfang Oktober hatte Bürgermeister Eberhard fünf Minuten, um dem internationalen Fachpublikum den Gewerbepark vorzustellen. Alle Stühle im Auditorium waren besetzt, und es gab laut Joachim Thiemig auch viel Laufkundschaft, die an der Info-Stele des Wetteraukreises mit Landrat Jan Weckler und seinen Wirtschaftsförderern redete.

Doch was ist, wenn sich die Konjunktur weiter abschwächt? Wer siedelt dann noch im neuen Gewerbepark? Es sind sowieso vier Bauabschnitte geplant, antwortet Bürgermeister Eberhard. „Wir können also relativ flexibel auf den Markt reagieren.“ Zuerst werde man entlang der Bundesstraßen Gewerbe ansiedeln, so IGO Green-Geschäftsführer Thiemig. Nur wann genau, weiß noch keiner.
Gewerbepark Oberhessen gehört sechs Kommunen
Sechs Kommunen aus drei Landkreisen entwickeln gemeinsam den interkommunalen Gewerbepark Oberhessen – kurz IGO Green. Die Millionen, die sie investieren, holen sich die Städte Nidda, Gedern, Hungen, Ortenberg, Schotten und die Gemeinde Echzell später in Form von Gewerbesteuern zurück.
Möglichst viele umweltverträgliche Arbeitsplätze für die Region sind neben dem Umsatz die Hauptziele der Entwickler. Man denkt weniger an riesige Logistikhallen, sondern zeichnet gut 30 kleinere Firmengebäude auf dem 19 Hektar großen Areal ein. Sie liegen an zwei Straßenschleifen und sind durch viel Grünland voneinander getrennt. Das Regenwasser von den Dächern landet in einem Teich.
Im Zentrum des IGO Green wollen die Planer eine Gastronomie und Freizeitangebote unterbringen. Ein Mobilitätszentrum mit Strom- und vielleicht auch Wasserstoff-Tankstelle soll erneuerbaren Energien und Verkehrsanschlüsse bringen. Diese und weitere Aspekte des Gewerbeparks propagieren die sechs Kommunen mit Image-Film, Fotos, Grafiken und Texten voller Werber-Poesie auf der Homepage igogreen.info. Gelb blühen die Disteln, grau altern die Stoppeln im künftigen Gewerbepark Oberhessen zwischen Borsdorf und Harb. Bis hier eine ökologisch korrekte Firmensiedlung entsteht, werden noch Jahre vergehen.
Herzlichen Glückwunsch!
Es lagen immerhin 6500 Jahre zwischen der Entdeckung des fruchtbaren Wetterauer Bodens durch Menschenbis zur Versiegelung in Folge der Errichtung eines Gewerbeparks. Auch dieser „IGO Green“ versiegelt endgültig und unwiederbringlich bestes Ackerland. Alles andere ist Augenwischerei. Jetzt habt Ihr’s geschafft!
Dieser unverantwortliche Umgang mit unserer Erde durch die zur Zeit lebende Generation zeigt zu deutlich wie kurzsichtig Politik denkt und wie hoch das Ziel „Wohlstand durch Wachstum“ noch gehenkt ist. Hat denn keiner den Schuss gehört? Bescheidenheit ist angesagt, wenn wir den zukünftigen Generationen eine lebenswerte Welt hinterlassen wollen. Unsere Gesellschaft muss den Ressourcenverbrauch massiv zurück fahren.
Neuansiedlung von Gewerbe. Was passiert denn mit den verlassenen Standorten? Erfolgt eine sinnvolle Nachnutzung? Oder produzieren wir doch eher neuen Leerstand und verlassene Industrieruinen? Gegenüber des Projekts kann man besichtigen, wie großzügig versiegelte Verkehrsflächen im Gewerbepark entstehen. Die meiste Zeit von einem 24 Stunden Tag sind die Parkplätze und Straßen ungenutzt. Braucht man das in dem Ausmaß?
Einem Bauern wird da nur übel!