SPD in der Zwickmühle

Parteibasis über die Groko

Von Klaus Nissen

Sowohl die Groko als auch Neuwahlen sind Mist. In einem existenzbedrohenden Dilemma sieht die SPD-Basis ihre eigene Partei. Die Bad Vilbeler Genossen streiten heftig um den Ausweg aus der Krise. Und eine Parteifreundin aus Karben wagt eine Prognose.

SPD in der Zwickmühle

Gut 20 SPD-Mitglieder des Bad Vilbeler SPD-Ortsvereins ließen Anfang Februar 2018 im Haus der Begegnung ihren Frust über die eigene Partei raus. Am Ende hieß es: Es gebe eine Chance zur Erneuerung. Foto: Nissen

Einerseits stürzt die SPD in Umfragen auf 19 Prozent der Wählerstimmen ab. Andererseits sammelt sie neue Mitglieder. In der Wetterau zählt sie inzwischen 2700 Köpfe. Im Januar kamen mindestens weitere 70 hinzu, meldet der Unterbezirks-Geschäftsführer Christian Dietzel. Die Neuen sind im Durchschnitt 48 Jahre alt, sagt die Vorsitzende Lisa Gnadl – also nicht nur radikale Neu-Jusos, die im baldigen Mitglieder-Entscheid das Bündnis mit der CDU verhindern wollen.

In Bad Vilbel begrüßte der Ortsvereins-Vorsitzende Horst Seißinger seit Jahresbeginn elf neue Sozialdemokraten. Einer davon ist der 18 Jahre junge Bank-Azubi Tom Rademacher aus Gronau. Der findet ein Bündnis mit CDU und CSU verhängnisvoll. Und nennt beim Debatten-Abend im Haus der Begegnung Argumente: „Ich bin überzeugt, dass die Wähler uns nicht für vier weitere Jahre in einer Großen Koalition sehen wollen.“ Vor allem die CSU ziehe nach rechts. „Die SPD darf sich nicht auf faule Kompromisse einlassen!“, postuliert der junge Mann im Anzug.

Lebhaft nickt der 63 Jahre ältere Sozialdemokrat Michael Wirsing. „Ich bin zutiefst enttäuscht, dass wir in die dritte Große Koalition eintreten“, sagt der bald 82-jährige Bad Vilbeler. Martin Schulz mit seinem Schlingerkurs sei ein Verhängnis für die Partei.

Isil Yönter (links) ist für eine neue Groko, Michael Wirsing entschieden dagegen. Trotzdem verstehen sich beide Parteifreunde prima. Foto: Nissen

Viele andere Sozialdemokraten im Saal schütteln ebenfalls den Kopf über ihre eigenen  Spitzenpolitiker. Nach der verlorenen Bundestagswahl hätte Martin Schulz ein paar Tage nachdenken müssen, findet Horst Seißinger. Anstatt den Gang in die Opposition anzukündigen und wenige Wochen später das Gegenteil zu machen. „So ein Wackelkurs ist nicht vermittelbar“, findet der Ortsvereinsvorsitzende. Die Parteioberen kämpften nur um Kleinigkeiten, schimpft ein Sozialdemokrat: „So einen Pisselfitz verkaufen die uns als große Errungenschaften!“

„Wir haben eine desolate Öffentlichkeitsarbeit“, schimpft Isil Yönter, die ein Landtagsmandat anstrebt. Die SPD habe in Berlin einiges erreicht, verkaufe das aber schlecht. Sie setzte elf Milliarden zusätzlich für die Bildung durch – und lasse die gute Nachricht dann von CDU-Politikern verkünden! „Es ist erstmal gut, dass das Rentenniveau bei 48 Prozent bleibt“, findet auch die Vilbeler SPD-Vizechefin Lucia André. Aber Schulz sei schon von der Optik her kein Mann mit Charisma. Er zeige auch inhaltliche Schwächen, meint der  Stadtverordnete Walter Lochmann: „Man kann doch nicht eine Digitalisierung des Landes einfordern, ohne zu sagen, was mit den Leuten passiert, die dabei ihre Arbeitsplätze verlieren!“ Kein Wunder sei dann, dass die Umfrage-Werte absacken.

Der SPD-Vorsitzende Horst Seißinger stellt seinen Parteifreunden das junge Neu-Mitglied Tom Rademacher vor. Der will gegen eine Groko stimmen. Foto: Nissen

Und nun? „Ich hasse die Groko“, bekennt ein Sozialdemokrat namens Peter. Besser sei es, in die Opposition zu gehen und dort der AfD die Führungsrolle wegzunehmen. Die Unterbezirksvorsitzende Lisa Gnadl will lieber abwarten, was am Ende der Gespräche herauskommt. Und Lucia André sagt: „Eine Partei wird gewählt, damit sie regiert und mitbestimmt.“  Isil Yönter meint, die AfD sei nur dann zu schwächen, wenn die SPD wieder in die Regierung eintritt. Denn sonst werde es Neuwahlen geben, „und dann sind wir weg vom Fenster – auf Jahrzehnte!“  Er sei gegen die Groko, erklärt Walter Lochmann. Aber die Alternative wäre noch schlimmer.

Schluss mit dem Gejammer. Udo Landgrebe sagt am Ende: „Die SPD kann sich auch in der Regierung erneuern. Elf Milliarden für die Bildung – das ist schon was. Wir brauchen jetzt noch Personen aus der zweiten Reihe, die müssen nach vorne. Dann kommen wir aus dem Dilemma raus!“ „Die Erneuerung muss von unten kommen“, ruft Klaus Arabin in den Saal. „Die Leute treten bei uns ein, weil wir uns streiten und eine offene Partei sind.“ Es komme nun darauf an, im März Stephanie Becker-Bösch  zur Landrätin zu wählen und im Oktober Isil Yönter oder Mirjam Fuhrmann in den Landtag zu bringen. Darauf können sich alle Sozialdemokraten im Saal darauf einigen. Einige gehen zusammen noch auf ein Bier in die Frankfurter Straße.

Wie wird denn nun die Parteibasis abstimmen? Gibt es eine dritte Koalition mit der Union? Als Orakel hat sich die frühere Karbener SPD-Vorsitzende Christel Zobeley bewährt. Sie sagte im Januar voraus, dass der Bonner SPD-Parteitag für Koalitionsverhandlungen stimmen werde. Nun prognostiziert sie eine wachsende Mehrheit für die Groko. Und der SPD weitere Mitglieder. In Karben wuchs der Ortsverein seit Jahresbeginn um zehn Köpfe.

 

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