Rechtsextremismus

Rechter Terror – auch in der Wetterau

Von Klaus Nissen

Es hat sich etwas verändert. Gut 50 Menschen informierten sich am Freitag in Dortelweil über rechte Gewalt in der Wetterau und Hessen. Das sind viel mehr als im vorigen Jahr bei ähnlichen Vorträgen. Die Sorge wächst. Die Referenten behaupteten: Terror und Gewalt von Rechts kann sich überall und jederzeit Bahn brechen.

Täter wollen Angst schüren

Rechte, teils rassistische Denkweisen sind tief in der Mitte der Gesellschaft verankert. Die Landtags-Wahlprognosen für Sachsen und das hessische Ergebnis vom September 2023 zeigen: 20 bis über 30 Prozent der Bevölkerung sind bereit, die AfD zu wählen. Das macht der Mehrheit Angst. Und gerade diese Angst wollen rechtsextreme Gewälttäter schüren, meinen Yvonne Weyrauch und Sascha Schmidt.

Viele der Gewalttäter haben kein geschlossenes rechts Weltbild. Sie agieren spontan und gefühlsmäßig, sagte die Politikwissenschaftlerin Yvonne Weyrauch. Foto: Nissen

Die beiden Politikwissenschaftler veröffentlichten 2023 das Buch „Rechter Terror in Hessen – Geschichte – Akteure – Orte“. Im Saal des Dortelweiler Kultur- und Sportforums nannten sie zahlreiche Taten, die durchgehend seit 1945 im Bundesland und der Wetterau passierten. Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke im Juni 2019, der zehnfache Mord von Hanau im Februar 2020 waren nur die jüngsten, spektakulären Fälle. Viele andere haben wir vergessen oder verdrängt.

Nach dem verlorenen Weltkrieg störten die NS-Täter oft den Wiederaufbau demokratischer Strukturen, berichteten Schmidt und Weyrauch. Es gab Attentate auf US-Militäreinrichtungen. Als 1979 die Serie „Holocaust“ augestrahlt wurde, kam es zu Anschlägen auf Sendemasten. In den Achtzigerjahren wuchs der Hass gegen Einwanderer. Auch Unions-Politiker sprachen damals von „Asylbetrügern“, erinnerte Yvonne Weyrauch. 1980 wurde eine Roma-Familie in Darmstadt attackiert. Weyrauch:„Das Traurige ist, dass die rassistische Stimmung nach dem Anschlag noch zunahm.“ Als nach der Wende ab 1990 der Mob in Hoyerswerda wütete, wurde rechte Gewalt auch in Hessen zu einem Alltagsphänomen, so Schmidt und Weyrauch. Von 1991 bis 1994 gab es 115 Brandstiftungen und mehr als 100 Verletzte. Insgesamt etwa tausend Gewalttaten seit 1993.gen Seit

Etwa zwei Dutzend Facebookgruppen verbreiten allein in der Wetterau rechte Propaganda, schätzt der beim DGB angestellte Politikwissenschaftler Sascha Schmidt. Foto: Nissen

In der Wetterau verbreiteten junge Extremisten Angst unter Migranten und anders denkenden Nachbarn. Ab 2005 siedelte eine Nazi-Wohngemeinschaft um Marcel Wöll in Hoch-Weisel. Es gab Angriffe auf Hessentags-Besucher in Butzbach. Die Neonazis erreichten in den ersten Youtube-Kanälen bis zu 500 000 Klicks, berichtete Sascha Schmidt. In Echzell veranstaltete ab 2007 die Gruppe um Patrick W. (Spitzname: „Schlitzer“) „Gaskammerpartys“ und terrorisierte die Nachbarn.

In den letzten Jahren hat sich die Täter-Szene verändert und verbreitert, stellen Schmidt und Weyrauch fest. Organisationen wie die NPD schwächeln – dafür kursieren mehr Verschwörungs-Erzählungen in der Bevölkerung. Die Pegida-Bewegung, die Corona-Leugner und die AfD lockten viele Leute auf die Straße. Rassistische Sprüche werden von ihnen als sagbar erlebt und verbreitet. Junge Männer radikalisieren sich im Internet und verüben spontan Gewalttaten. Auch viele Männer über 40 genießen ihr Wutbürgertum und schlagen aus nichtigem Anlass zu.

„Wir brauchen eine wachsame Zivilgesellschaft“

Neben diesen Spontan-Nazischlägern gibt es auch in der Wetterau Leute, die gezielt am Umsturz der demokratischen Grundordnung werkeln, so Schmidt undWeyrauch. Das belegen Waffenfunde bei Razzien seit 2020 in Butzbach, Ranstadt und Gedern.

Wie kann sich die Mehrheit dagegen wehren? Yvonne Weyrauch: „Wir brauchen eine wachsame Zivilgesellschaft die sichtbar ist und an vielen Orten auf die Straße geht.“ Ein Zuschauer berichtete nach dem Vortrag: 2020 hätten 5000 Gegendemonstranten in Fechenheim eine Kundgebung von 60 Rechtsextremisten vereitelt. Und am Samstag standen in der Frankfurter Großkundgebung gegen Rechts auch etliche Zuhörer des Dortelweiler Vortrags vom Vorabend.

Sonja Romeis aus Bad Vilbel und Lindon Zena aus Karben organisierten den Vortrag in Dortelweil. Dahinter stand der Verein der Antifaschistischen Bürgerinitiative; die Rechnung zahlte das Bundesprogramm „Demokratie leben“.

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