Ohne Scheiß jetzt

Rücktritte und Nicht-Rücktritte

von Jörg-Peter Schmidtschmidt

Ohne Scheiß – „Isch resch misch uff“, wie wir Hessen es formulieren. Ich rege mich auf, weil die Leute sich über etwas aufregen, das keiner Aufregung wert ist: Auslöser der „Uffreschung“ ist Lucien Favre, der bisherige Coach des Fußballbundesligisten Borussia Mönchengladbach.

Vorbildlich gehandelt

Der frühere Schweizer Nationalspieler hat meiner Meinung nach vorbildlich gehandelt, als er nach einer Serie von fünf Niederlagen seines Teams feststellte: Nix geht mehr, Aus und vorbei, „Habe fertig“, wie es 1998 Giovanni Trapattoni in seiner legendären Wutrede nach schwachen Leistungen seiner Münchener Bayern ins Mikro schrie. Kurzum: Der Gladbach-Trainer musste nicht zum Rücktritt gezwungen werden, sondern hat selbst festgestellt, das er trotz großer Erfolge in der Vorsaison (direkte Qualifikation für die Champions-League) seine Mannschaft nicht erreicht, die nach dem Favre-Rücktritt prompt unter dem neuen (Interims-)Trainer André Schubert 4:2 gegen den FC Augsburg gewonnen hat.

Jetzt ereignete sich etwas für mich völlig Unverständliches: Anstatt den zurückgetreten Coach dafür zu loben, dass er den Weg für die Rückkehr seiner Fußballer zur Erfolgsspur frei gemacht hat, meldeten sich Stirn runzelnd und oberlehrerhaft mit erhobenem Zeigefinger ehemalige Fußballgrößen wie Lothar Matthäus zu Wort und tadelten den Schweizer: Du hast deine Jungs im Stich gelassen! Alfred Draxler, Chefredakteur der Wochenzeitung „Sport Bild“, schimpft in seiner Kolumne, Favre hätte anständiger handeln müssen.

Nach solchen Experten-Kommentaren kapiere ich überhaupt nix mehr: Da tritt ein seriöser Mensch zurück, obwohl er sich außer kurzfristigen sportlichen Misserfolgen nichts vorzuwerfen hat – und das Geschrei gegen ihn ist groß. So manche führende Persönlichkeiten aus der Politik und der Wirtschaft machen aber genau das Gegenteil, obwohl sie fette Skandale an der Backe haben: Sie treten nicht zurück nach dem Motto: Was juckt mich, was die Öffentlichkeit fordert, auf die ich von weit oben verächtlich herabblicke.

Ohne Scheiß: Was für eine verkehrte Welt…

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