Klimawissen zum Mitreden
von Ursula Wöll
„Alle reden vom Wetter – wir nicht“, so warb die Bahn vor Jahren fürs Bahnfahren. An Klimawandel dachte man damals noch nicht, obwohl er bereits im Gange war. Denn seit Beginn der Industrialisierung wird immer mehr Kohlendioxid in die Luft geblasen: Kohle, Erdöl und Erdgas werden massenhaft verbrannt. Wälder werden abgefackelt und Torfmoore trockengelegt. Dass unser Planet Fieber hat, das streitet niemand mehr ab. Doch wie die Erwärmung genau zustandekommt, war mir bislang schleierhaft. Nun habe ich das Buch „Ohne Eis kein Eisbär – Klimawissen zum Mitreden“ gelesen und bin schlauer. Es ist ein Sachbuch für Kinder und Jugendliche, also mit vielen schönen Illustrationen.Ein Buch für Jung und Alt
Ich selbst gehe bereits am Rollator. Doch je älter ich werde, desto mehr liebe ich Bilderbücher. Sie sind keine Buchstabenwüsten, weil fantasievolle Illustrationen ihre Texte auflockern. „Ohne Eis kein Eisbär – Klimawissen zum Mitreden“ ist ein solches Buch. Seine immerhin über 90 Seiten sind humorvoll geschrieben, und die vielen bunten Abbildungen gefielen mir wegen ihrer Originalität. Ich lernte also auf lustvolle Weise, ohne es recht zu merken. Dass ich als Leserin geduzt werde, störte mich nicht. Denn das Buch ist ja eigentlich für Kinder gemacht, für diejenigen also, die den Klimawandel voll ausbaden müssen. Wer Kinder oder Enkelkinder hat, kann es denen getrost schenken. Die Autorin Kristina Heldmann löst die heikle Aufgabe gut, eine bedrohliche Realität korrekt darzustellen, ohne aber die Kinder zu deprimieren. Sie verbreitet nicht Untergangsstimmung, sondern Hoffnung. Ja, unser Planet kann noch gerettet werden, wenn radikaler und schneller gehandelt wird als bisher. Sowohl in Bezug auf das persönliche Umweltverhalten als auch das Handeln auf der Ebene der Politik und der Konzerne. Würde sonst die Autorin an den Aktionen von ‚Fridays for Future‘ teilnehmen? Die nächste weltweite ist übrigens für den 25. September 2020 geplant. Vermutlich ist auch Eckart von Hirschhausen dabei, der ‚Scientists for Future‘ angehört und einige Sätze zum Buchtext beigesteuert hat.
Klima, Klimawandel, Klimaschutz
In diese drei Themenbereiche ist der Text gegliedert. Zunächst wird über das Klima informiert und dieses vom kurzfristigeren Wettergeschehen unterschieden. Danach werden die Ursachen des Klimawandels erklärt. Der ist heute unleugbar geworden. Während bei uns durch langjährige Trockenheit der Grundwasserspiegel sinkt, ertrinken in Pakistan Menschen, weil es dort so viel wie noch nie regnet. Die Polkappen und die Gletscher schmelzen und lassen den Meeresspiegel ansteigen. Bislang jährlich um 3,4 mm, so dass Bangladesch bald weg sein wird. Der Permafrostboden taut auf und gibt das in ihm gespeicherte Kohlendioxid frei. Wodurch passiert das alles?
Das Treibhausgas Kohlendioxid nimmt zu, seitdem die Industrie in den reichen Ländern Braunkohle, Kohle, Erdöl und Erdgas massenhaft verbrennt. Seine Konzentration in der Atmosphäre ist heute um 44 Prozent höher als um 1750 herum. Die Erwärmung der Meere lassen deren Kohlendioxid-Aufnahmekapazität sinken. Wenn das weiße Gletscher- und Polareis einmal weg ist, bindet der braune Boden mehr Sonnenstrahlen und heizt so das Klima weiter auf. Das ist für mich ein gutes Beispiel für die Eigendynamik, die das Klimageschehen gewinnt. Und nur ein Beispiel für das weltweite Artensterben. Denn wo kein Eis mehr ist, da sterben die Robben und mit ihnen die Eisbären, die von ihnen leben. In den letzten 50 Jahren ging das Eis der Arktis um drei Viertel zurück. „Keine guten Aussichten für Eisbären auf Robbenjagd!“, vermerkt das Buch lakonisch. Auch sind die im Meer treibenden Plastikinseln inzwischen so groß wie ganze Kontinente. Sie vermindern die Fähigkeit der Ozeane, Kohlendioxid aufzunehmen und zu speichern. Die Regenwälder speichern ebenfalls viel Kohlendioxid, sie weichen Palmölplantagen, die kaum Kohlendioxid speichern können. Immer mehr Natur wird zubetonniert, für Gewerbegebiete, Straßen oder Startbahnen. Neben der riesigen Kohlendioxid-Menge in der Atmosphäre spielt das Treibhausgas Methan nur eine geringe Rolle. Es entsteht, wenn die Millionen Kühe pubsen.
Wie den Klimawandel stoppen?
Schon 1972 mahnte der ‚Club of Rome‘ in seiner Schrift „Die Grenzen des Wachstums“, dass wir nur einen einzigen Planeten haben. Heute, dank Corona, könnte endlich ein radikales Umdenken einsetzen: Statt Wachstum müsste eher die Konversion von überflüssigen Gütern und die Verteilung der Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung angestrebt werden. Die Werbeflut müsste eingedämmt werden. Der Bau großer Autos müsste reduziert werden. Gar nicht geht: Die Abholzung alter Wälder für neue Autobahnen, wie sie im Dannenröder Forst ansteht, und das mit dem Segen der Hessischen Landesregierung. Gar nicht geht: Das weitere Baggern von Braunkohle und die Zerstörung weiterer Dörfer durch RWE, und das mit dem Segen der NRW-Landesregierung. Gar nicht geht: Ein weiteres Gewerbegebiet am grünen Rand von Wetzlar, und das mit dem Segen des Wetzlarer Stadtparlaments. Eine vollständigere Liste der No-goes wäre zu lang.
Das Buch „Ohne Eis kein Eisbär“ legt den Schwerpunkt auf Veränderungen im persönlichen Leben. Denn Wasser predigen und Wein trinken, das geht gar nicht. Auch hier erspare ich mir eine vollständige Liste, da mittlerweile die Vorschläge in aller Munde sind: Das Auto öfter stehenlassen. Das Auto seltener waschen. Das Fleischessen reduzieren. Den Kaufrausch bekämpfen. Die Flüchtlinge, die aufgrund des Klimawandels fliehen mussten, freundlich behandeln. Weniger Dinge in Plastikverpackung kaufen. Kürzer duschen. Und so fort. Eine Demo zum Klimaschutz ist nicht alle Tage, aber jede und jeder möchte doch dazu beitragen, das Klima vor dem Kippen zu bewahren. Das gilt besonders für Kinder.
Kristina Heldmann: Ohne Eis kein Eisbär – Klimawissen zum Mitreden, Jacoby & Stuart-Verlag 2020, 93 Seiten, mit farbigen Bildern, ISBN 978-3-96428-055-8, 15 Euro
Vor lauter Corona wird die Sorge um das Klima zur Seite geschoben. Ursula Wöll hingegen packt das Problem, kenntnisreich und mutig an.
Großartig, wie sie das große Thema herunterbricht auf das Lokale, darauf, was jeder von uns tun kann und muss.
So wünsche ich mir meinen Landboten: engagiert und aufrüttelnd!