Nur weg von Syrien

Zu Fuß von Damaskus nach Wöllstadt

Von Klaus Nissen

Issa Kassab sah in Damaskus keinIssa Kassabe Zukunft mehr.  Er wollte weg.  79 Tage brauchte er , um dem syrischen Bürgerkrieg zu Fuß zu entkommen. Wie er das schaffte, erzählt der jetzt in Wöllstadt lebende Agrarwissenschaftler dem Landboten.

Nur weg von Syrien

Issa Kassab (re.) und Fath Mamo. Foto Klaus Nissen
Issa Kassab (rechts) und sein kurdischer Zimmergenosse Fath Mamo können sich in arabischer Sprache verständigen. Foto: Klaus Nissen

Issa Kassab bittet seinen Gast an den abwaschbaren Tisch in seiner Wohnung. Die besteht aus einem Zimmer mit Kunststoff-Fußboden und zwei Etagenbetten aus Stahlrohr. An den Wänden stehen vier Spinde. Mit einem Kurden und einem Afghanen teilt der 38-jährige Agrarwissenschaftler aus Damaskus das Zimmer. Die gesamte Altbauwohnung beherbergt 13 Männer, die auch aus Pakistan, Algerien und Bangladesch nach Deutschland geflohen sind.

Issa Kassab hat viel Glück gehabt; er wurde bei seiner Flucht über das Mittelmeer und durch diverse Länder nicht ausgeraubt und nicht einmal von der Polizei festgehalten. Der schmale Mann erzählt langsam und angestrengt – schließlich konnte er erst im vorigen September mit dem Sprachunterricht anfangen. Auf Englisch wäre das Gespräch zwar leichter, aber Kassab möchte unbedingt Deutsch üben.

 

„Wir hatten eine Dreizimmerwohnung“, sagt er. Mit seiner Frau Sara lebte Issa Kassab in der Ghuta, dem grünen Randbezirk von Damaskus. 2012 wurde er zur Kampfzone und immer unsicherer. Issa Kassab hatte Schwierigkeiten, seine Arbeitsstelle zu erreichen – er forschte bei einer staatlichen Kommission an Methoden, Nutzpflanzen vor Pilzbefall zu bewahren. Sein Gehalt war nicht hoch, das Essen wurde immer teurer. Schließlich wurde die Wohnung bei Kämpfen zerstört. Mit seiner schwangeren Frau zog Issa Kassab zu Verwandten nach Damaskus. Im Mai 2013 bekam Sara Zwillinge – die Jungen Karam und Taim. „Ich musste etwas unternehmen“, sagt der junge Vater am Esstisch der Flüchtlingsunterkunft und faltet die Hände. „Ich glaube nicht, dass meine Kinder in Syrien eine Zukunft haben“.

Flüchtlingsheim
„Die Villa“ nennen die Nieder-Wöllstädter dieses alte großbürgerliche Haus mitten im Dorf. Es ist renovierungsbedürftig. Im ersten Stock leben 13 Männer – bis zu vier Flüchtling ein einem Zimmer. Foto: Klaus Nissen

Der Agrarwissenschaftler erkundigte sich, wie die Familie nach Europa kommen könnte. Legal? Keine Chance. Ein Schlepper verlangte 11 000 Euro für ein Flugticket – für eine Person. Zu teuer. In eins der maroden Mittelmeerschiffe wollte Issa Kassab wegen des Risikos weder allein noch mit der Familie steigen. „Deshalb bin ich zu Fuß gegangen“. Im Juni 2014 brach er auf. Zwei Monate und 18 Tage dauerte der Marsch nach Nieder-Wöllstadt. Mit wenig Gepäck sei er in die Türkei gegangen, berichtet Issa Kassab. „Ich ging in kleinen Gruppen mit wechselnden anderen Flüchtlingen, das war sicherer. Wir schliefen in billigen Hotels, in Hausruinen und oft auch unter den Bäumen im Wald. Es war ja Sommer.“

Mit 40 Leuten in einem Schlauchboot

In Istanbul kaufte sich Issa Kassab eine Schiffspassage nach Griechenland. „Wir wurden mit dem Auto 14 Stunden lang irgendwohin an die Küste gefahren. Ich glaube, es war bei Izmir. 40 Flüchtlinge steckten die Schleuser dann auf ein Schlauchboot, auch Frauen und Kinder.

Über den schmalen Meeresarm sei man in vier Stunden heil nach Griechenland gekommen. „Wir suchten dann die Polizei, aber die winkten ab und schickten uns einfach weiter.“ Issa Kassab ging nach Norden, durchquerte Mazedonien, Serbien, Ungarn, Österreich und landete schließlich in Bayern. Erst im Zug von München nach Nürnberg habe ihn die Polizei kontrolliert. Sie brachte ihn vier Tage lang in einem Münchner Heim unter, dann wurde er nach Gießen, später über Friedberg nach Nieder-Wöllstadt verfrachtet.

Hier lernte Issa Kassab im Alten Rathaus von örtlichen Flüchtlingshelfern die ersten deutschen Worte. Seit Januar ist er ein staatlich anerkannter Syrien-Flüchtling mit Anspruch auf Sozialleistungen. 325 Euro hat er monatlich für Lebensmittel, Kleidung und andere Ausgaben zur Verfügung. Vier Vormittage pro Woche verbringt Issa Kassab im Deutschunterricht beim Internationalen Bund in Friedberg. Ab dem 29. Juni kann er bei der Volkshochschule sechs Monate lang sogar fünfmal pro Woche Deutsch lernen. Seine Zukunft liege in diesem Land. „Ich bin den Deutschen sehr dankbar“, sagt er und schaut ernst. Denn es gibt noch ein großes Problem. Aber das ist eine andere Geschichte. Der Landbote wird sie demnächst erzählen.

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