Backen mit kurzen Wegen
von Elfriede Maresch
Weihnachtsgebäck im Zeichen der Nachhaltigkeit – gibt es das? Ja, zum Beispiel den „Näirer Kellerstollen“ und den „Heimatstollen“, hergestellt von den Geiß-Niddaer Bäckermeistern Carsten und Jonas Wagner, Vater und Sohn. „Dinkel für den Kellerstollen und Emmer für den Heimatstollen sind in 400 Metern Entfernung von der Bäckerei gewachsen“ sagt der junge Landwirt und Agrarwissenschaftler Yannick Nagel, ein Arbeitspartner der Wagners.Alte Getreidesorten
Eine echte „Produktionskette der kurzen Wege“ ist entstanden, seitdem Jonas Wagner und Yannick Nagel 2017 ein Seminar „Urgetreidesorten und ihre Verarbeitung“ bei der Deutschen Bäckerakademie in Weinheim besuchten. Warum Landwirten und Bäckern viel an einer solchen Produktionskette liegt? „Wege werden gespart und damit Energiekosten und Umweltbelastung. Kurze Kreisläufe zwischen Produzent, Verarbeiter und Verbraucher sichern regionalen Landwirten und handwerklichen Verarbeitern Absatzmärkte. Die Verbraucher erhalten Produkte von Frische und geschmacklicher Vielfalt“ betonen Nagel und Wagner.
Warum die Hinwendung zu solchen alten Getreidesorten? Dinkelmehl ist reich an Proteinen, viele Allergiker vertragen es besonders gut. Beim Emmer ist nicht nur der Protein-, sondern auch der Mineralstoffgehalt hoch. Beide Mehlsorten haben einen feinen nussartigen Geschmack. Ganz ohne Wege geht es nicht. Gemahlen werden Emmer und Dinkel in der Stegmühle Hainzell. Beide sind Spelzgetreide, müssen also vorher noch in einem Extraarbeitsgang entspelzt werden. Und beide verlangen bei der Teigzubereitung und -führung dem Bäcker Fingerspitzengefühl ab, eine flexible Zugabe der Feuchtigkeits- und der Sauerteigmenge. Jonas Wagner: „In jedem Jahr weichen die Wachstumsbedingungen und damit die Zusammensetzung des Mehls ein wenig von einander ab – typisch für Naturprodukte. Darauf gehen wir ein. Seit 2018 stellen wir Dinkel- und Emmerbrot her. Beide Sorten sind bei unseren Kunden beliebt, Emmerbrot ist sogar unser Alleinstellungsmerkmal in der Region. Seitdem die ZDF-Drehscheibe darüber berichtet hat, haben wir Bestellungen aus dem ganzen Bundesgebiet.“
Backen mit Leidenschaft
Carsten und Jonas Wagner entwickeln gern kulinarische Überraschungen. Die Vorweihnachtszeit 2017 hatte die beiden Bäckermeister zum „Näirer Kellerstollen“ aus Dinkelmehl inspiriert. Heimische Zutaten statt Import-Rosinen: Apfelstückchen, tagelang in einen Edelbrand aus Äpfeln, sozusagen den „Wetterauer Calvados“, eingelegt, bringen ein fruchtiges Aroma ein. Die endgültige Geschmacksabrundung bekommt der Stollen durch wochenlanges Ruhen in einem tiefen historischen Hohlkeller in Nidda mit gleichbleibender Temperatur und Luftfeuchtigkeit, deshalb auch der Name.
In diesem Jahr ist der „Heimatstollen“ hinzugekommen. Grundlage ist reines Emmermehl, mit Butter, Gewürzen, Eiern, Marzipan zunächst in einem Vorteig angesetzt. Honig von Geiß-Niddaer Imkern ersetzt den Zucker und gibt dezente Süße. Die Wagners verwenden eine ganz fein gehackte Zitronat- und Orangeat-Variante, weil sie das öfter kritisierte „gummiartige“ Kauen vermeiden wollen. Mandeln und klein gehackte Pflaumen müssen ebenfalls drei Tage lang in feinem Zwetschgenedelbrand durchziehen. Das alles wird dem Stollenteig zugefügt, der nach einer Ruhezeit gebacken, dann mit Butter getränkt und mit Zucker und Zimt bestreut wird. Fruchtig, locker zergeht der Heimatstollen auf der Zunge. Zusätzlich gibt es im Geiß-Niddaer Stammgeschäft und den Filialen Nidda und Stammheim Buttergebäck und Willi-Plätzchen aus Emmermehl. Bestellen kann man die Wagnerschen Spezialitäten unter der Mail-Adresse emehl@wagnerwunderbar.de
Wetterauer Edelbrände
Mit der Verwendung von Wetterauer Edelbränden in der Wagnerschen Bäckerei ist ein weiterer regionaler Nachhaltigkeitskreislauf entstanden. Hergestellt werden diese von André und Melanie Hülsbömer (Auenlandhof Dauernheim). Das Paar betreibt dort seit 2019 eine kleine Destillerie und nutzt Früchte aus nahegelegenen Streuobstwiesen und Gärten – Äpfel, Birnen, Pflaumen, Pfirsiche, Mirabellen, Schlehen und allerlei Wildkräuter – für seine Spezialitäten. Auch die Hülsbömers probieren gern, haben schon Mispeln zum Brennen verwendet und stellen auch Fruchtweine und Liköre her, die sie jeden Mittwochnachmittag im Hofladen ihrer Destille im Auenlandhof verkaufen. Nachhaltigkeit auch hier: Der Vorbesitzer hat die Brennanlage mit Dieselöl betrieben, die Hülsbömers lassen die Photovoltaikanlage auf dem Dach dafür arbeiten. André Hülsbömer: „Wir produzieren mehr Strom, als wir selbst verbrauchen. Das ist ein gutes Gefühl.“
Herstellen von Edelbränden ist ein aufwändiges Geschäft. Für einen Produktionsvorgang mit Äpfeln werden ungefähr 250 Kilogramm Früchte gebraucht. Deren kalt gepresster Saft vergärt zu Äppler, aus dem der Apfeledelbrand destilliert wird. Ohne Fingerspitzengefühl geht es auch hier nicht. Laufend wird die Dichte des entstehenden Destillats gemessen, um den Vorlauf, der stark methanolhaltig ist, sauber abzuscheiden. André Hülsbömer: „Wir brauchen Geruchs- und Tastsinn, um im Übergang zur Mittelphase des Brennvorgangs die optimale Alkoholzusammensetzung zu erkennen und den feinen Brand zu gewinnen, das Filetstück des Destillats“.
Von der Destillerie allein könnten die Hülsbömers, die aus ganz anderen Berufszusammenhängen kommen, nicht leben. Sie betreiben in der historischen Hofreite eine 15-Betten-Pension, eine Ferienwohnung sowie Räumlichkeiten für Seminare und Feiern. Auf www://auenlandhof.net kann man davon einen Eindruck gewinnen.
Hier steht mehr über die Bäckerei Wagner wagnerwunderbar.de