Massenhaft Kurzarbeit

Jeder dritte bis vierte Betrieb betroffen

Von Klaus Nissen

Die Corona-Epidemie zwingt viele Betriebe zur teilweisen oder völligen Schließung. Nun gibt es mehr Arbeitslose – aber noch viel mehr Kurzarbeiter. Die Lage sei „angespannt, aber nicht dramatisch“, meinte Björn Krienke am 30. April 2020 Donnerstag in einer Telefonkonferenz. Er ist Geschäftsführer für den operativen Bereich der Arbeitsagentur in Gießen. Vor allem das Gastgewerbe ist nach Ansicht der Gewerkschaft NGG in seiner Existenz bedroht.

Massenhaft Kurzarbeit in Mittelhessen

Dramatisch kann man durchaus den Zuwachs an Kurzarbeitern nennen. Nahezu jeder kennt im eigenen Bekanntenkreis Leute, die neuerdings an einem oder zwei Tagen pro Woche zu Hause bleiben müssen und nur noch 60 oder 67 Prozent ihres Gehalts bekommen. Vor einem Jahr waren nur etwa 30 Firmen in den Kreisen Gießen, Wetterau und Vogelsberg in Kurzarbeit, so Jörg Krienke. Im April meldeten sich dagegen 4366 Betriebe mit 42 249 Arbeitnehmern – das sind mehr als ein Viertel sämtlicher Unternehmen in den drei Kreisen.

Die Arbeitsagentur für Mittelhessen an der Gießener Nordanlage musste ihre Arbteilung zur Bearbeitung von Anträgen auf Kurzarbeit von acht auf rund hundert Sachbearbeiter vergrößern. Foto: Arbeitsagtentur

Seit Beginn der Corona-Epidemie haben 4877 Betriebe mit 50491 Beschäftigten Kurzarbeit beantragt. Tatsächlich verringert wird die Arbeit und das Gehalt aber nur für einen noch nicht genau bekannten Teil dieser Menschen. Die Unternehmen können nachträglich melden, für wen sie Kurzarbeit anordneten.

In der Gießener Arbeitsagentur bearbeiten normalerweise acht Menschen die Anträge der Firmen auf Kurzarbeit. Im April musste diese Abteilung auf hundert Sachbearbeiter vergrößert werden, berichtet Björn Krienke. Sie mussten innerhalb von zwei Wochen rund 17 000 Anträge prüfen, fast alle wurden bewilligt. „Wir spüren jetzt ein Abflachen der Kurve“, sagte Krienke am Donnerstag. „Deshalb bin ich vorsichtig optimistisch, dass wir eine Stabilisierung hinbekommen.“

2039 Wetterauer Firmen in Kurzarbeit

In der Wetterau beantragten im April 2039 Betriebe Kurzarbeit für bis zu 18 221 Menschen. Rechnet man die Anzeigen von März hinzu, sind im Wetteraukreis 2255 Betriebe und bis zu 21 476 Personen betroffen. Im Vogelsbergkreis beantragten im April 624 Betriebe Kurzarbeit für bis zu 5881 Beschäftigte. Seit Anfang März gingen 720 Betriebe mit bis zu 7 781 Menschen in Kurzarbeit. Die Arbeitsagentur führt keine Statistik darüber, wie sich in den einzelnen Städten und Gemeinden die Arbeitslosigkeit und die Kurzarbeit entwickeln.

Die Zahl der Entlassenen wuchs im April ebenfalls. Im Wetteraukreis stieg sie um 1091 auf jetzt 7619 Menschen. Davon sind etwas mehr als die Hälfte, nämlich 4024 Menschen, in der Betreuung der Jobcenter. Die Wetterauer Arbeitslosenquote erhöhte sich um 0,7 auf nun 4,6 Prozent aller hier sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Im Vergleich zum April 2019 gibt es 1609 Erwerbslose mehr als jetzt. Das ist zwar ein deutlicher Anstieg, sagte Björn Krienke. „Ich würde ihn aber nicht als dramatisch einschätzen.“

Arbeitslosigkeit steigt noch moderat

Im Vogelsbergkreis wuchs die Zahl der Erwerbslosen im April noch langsamer als in der Wetterau: Die Arbeitslosenquote stieg um 0,3 auf jetzt 4,2 Prozent, berichtet die Arbeitsagentur. 2429 Menschen waren arbeitslos gemeldet, 183 mehr als noch im März. 1234 Arbeitslose im Vogelsberg bekommen Sozialhilfe nach dem SGB II. Im Vorjahresmonat des Boom-Jahres waren gerade mal 259 Erwerbslose weniger gemeldet als jetzt. Björn Krienke hat auch eine Erklärung für den geringeren Anstieg der Arbeitslosigkeit im Vogelsberg. Dort gebe es nicht so viele große Fertigungsbetriebe, bei denen der Nachschub an Produktionsmaterial fehlt. Höher sei hier der Anteil der kleineren Handwerksbetriebe, die immer noch viel zu tun haben.

Allgemein versuchen die Firmen nach Eindruck des Arbeitsagentur-Pressesprechers Johannes Paul, ihre Belegschaft zu behalten. Sie sind aber sehr zurückhaltend, wenn es um die Einstellung neuer Leute geht. Das spüren gerade junge Leute, die im Februar mit der Ausbildung fertig wurden und nun feste Stellen suchen. Die finden sie nicht mehr so leicht. Auch die Zahl der offenen Stellen geht nun stark zurück. Im Vergleich zum Vorjahr halbierte sie sich beinahe um 470 auf jetzt noch 915 freie Arbeitsplätze. Diese Zahl gilt für die Wetterau, den Vogelsberg und den Kreis Gießen zusammen. Am ehesten gesucht werden laut Björn Krienke noch Menschen für die öffentliche Verwaltung, für den Einzelhandel und das Transportgewerbe.

Die Zahl aller Arbeitslosen im Bezirk der Gießener Agentur stieg im April auf 18 654 Menschen. Das sind sind 2075 mehr als noch im März. Die Arbeitslosenquote stieg um ein halbes Prozent auf nun fünf Prozent. Spürbar wuchs auch die Zahl der Unterbeschäftigten, die bei der Arbeitsagentur noch weitere Jobs suchen. In dieser Sparte sind 25 168 Menschen registriert – 1213 mehr als im März. Laut Björn Krienke melden sich jetzt zum Beispiel viele Studenten, deren Minijobs in der Gastronomie weggefallen sind.

Gastronomen kämpfen um das Überleben

Gerade kleinere Hotels und Gaststätten müssen um ihr Überleben fürchten, meint Andreas Kampmann, Geschäftsführer der der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) für die Region Nord-und Mittelhessen. Bundesweit beantragten 72 Prozent der Gastro-Betriebe Kurzarbeit für ihre Leute. Für die Beschäftigten komme die vom Bundeskabinett beschlossene Erhöhung des Kurzarbeitergeldes zu spät, weil das Lohnausfallgeld erst nach sieben Monaten Kurzarbeit auf 80 Prozent (Eltern: 87 Prozent) des Netto-Einkommens steige. Für Köchinnen, Kellner und Hotelangestellte sei das eine enorme Durststrecke. „Vielen wird nur der Gang zum Sozialamt oder zum Job-Center bleiben“, warnt Kampmann.

Eine Mitverantwortung für die Lage trage auch der Deutsche Hotel-und Gaststättenverband (Dehoga): Anders als etwa in der Systemgastronomie (u.a. McDonald’s, Starbucks, Nordsee) weigerten sich die Arbeitgeber bis heute, das Kurzarbeitergeld per Tarifvertrag aufzustocken.

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