Louisa Clement

Ausstellung stimmt nachdenklich

von Jörg-Peter Schmidt

Zahlreiche Überraschungen, über die man kontrovers diskutieren kann, bietet eine Ausstellung der Bonner Künstlerin Louisa Clement in der Kunsthalle im Gießener Rathaus. Noch bis zum 26. September 2021 ist es möglich, die Exponate zu besichtigen, die sich um das Thema „Puppen“ drehen  – von der Schaufensterpuppe, über die Marionette bis hin zu lebensgroßen sprechenden „Wesen“. Landbote-Autor Jörg-Peter Schmidt hat sich die Ausstellung angeschaut und sich über einen Aspekt gewundert:

Ich nahm an einer Führung durch die Kunsthalle unter der Leitung der Direktorin Dr. Nadia Ismail teil (die Künstlerin war nicht anwesend, zumal die Ausstellung bereits seit einigen Wochen läuft). Nachdem ich die Chance hatte, zusammen mit etwa einem Dutzend Besucherinnen und Besuchern alle Stationen der Präsentation in aller Ruhe zu betrachten, bin ich  zu folgender  persönlicher Einschätzung gekommen: Es wundert mich, dass  sich einige der Berichte im TV, im Rundfunk und in den Zeitungen fast ausschließlich mit den lebensechten, robotermäßig sprechenden Puppen beschäftigen, mit denen Louisa Clement  Ebenbilder  von sich geschaffen hat. Dabei gibt es meiner Meinung nach in diesem Zyklus von Fotografien, Spiegeln und weiteren Objekten manche andere Exponate, die ganz besonders interessant und faszinierend sind.

Die Direktorin der Kunsthalle, Dr. Nadia Ismail, führte die Besucherinnen und Besucher durch die Ausstellung. (Foto: Jörg-Peter Schmidt)

Was sich hinter „Double Mind“ verbirgt

Der Name der Ausstellung lautet übrigens „Double Bind“, verwendet unter anderem in der Psychologie. Warum diese Bezeichnung genommen wurde, wird in dem Heft mit dem Titel „Werkbeschreibungen“ erläutert, das für die Besucher kostenlos zur Verfügung steht:  „Der Begriff beschreibt eine sogenannte Doppelbotschaft, in der mit Sprachinhalt auf der einen Seite sowie Tonfall, Gestik oder Handlung auf der anderen Seite gegensätzliche Aussagen und Signale transportiert werden.“

Brüchigkeit in der Digitalwelt symbolisiert

Die Direktorin führte zunächst zu beeindruckenden farbenprächtigen Videoinstallationen auf sieben Monitoren. Man sieht jeweils  den Kopf einer gesichtlosen Schaufensterpuppe. Ihr Konterfei  rotiert endlos um sich selbst und auf den schwarzen Oberflächen der Videos entdeckt man Kratzer, Wunden und Brüche. Die mehrfach geehrte Künstlerin, deren Werke nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland (beispielsweise in Amsterdam, Oslo, New York und Mailand) gezeigt wurden und werden, will  mit ihrem „Circling Head“ die Brüchigkeit des Menschen im digitalen Zeitalter symbolisieren, erfährt man.  Clement will die Frage nach der Optimierung und Manipulation des Körpers durch technische und medizinische Eingriffe thematisieren.

Anspielung auf eine Kleist-Erzählung

Lange kann man sich auch die Bilder anschauen, die die Direktorin an der nächsten Station vorstellte. In einem Raum sieht man „Gliedermenschen“.  Wie Nadia Ismail erläuterte, ist die Basis für  diese Bilder die  Erzählung „Über das Marionettentheater“ von Heinrich von Kleist, die erstmals 1810 erschienen ist. Darin geht es unter anderem um Grazie von beweglichen Puppen. 

Reborn-Puppen thematisiert

In der Ausstellung werden mittels Bronzeguss und Fotografie beispielsweise auch die sogenannte Reborn-Puppen thematisiert, die Babys täuschend ähnlich sehen. Menschen kaufen sich solche Puppen aus unterschiedlichen Gründen, beispielsweise, um über den Schmerz des  Verlustes des eigenen Kindes hinwegkommen. Dieses und auch andere Themen wurden, so mein Eindruck, von der Direktorin und den Besuchern sensibel und entsprechend gefühlvoll erörtert.

In farbenprächtigen Videoinstallationen rotiert das Konterfei einer gesichtlosen  Schaufensterpuppe endlos um sich selbst. (Foto: Jörg-Peter Schmidt)
Kühl und kalt wirkende „Repräsentantinnen“

Dr. Nadia Ismail führte die Gäste nun zu den Räumen, in denen die  sogenannten „Repräsentantinnen“ untergebracht sind, die im Interesse der Öffentlichkeit stehen (unter anderem hat auch das ARD über sie berichtet). Louisa Clement hat – in Zusammenarbeit mit einer chinesischen Firma – in einem aufwendigen Verfahren lebensechte Puppen angefertigt, die ein Abbild der Bonnerin und sogar mit künstlicher Intelligenz ausgestattet sind.  Die drei in Gießen ausgestellten Puppen, die mit dem Internet verknüpft sind, können in englischer Sprache verschiedene Fragen beantworten.

Kontrollverlust im digitalen Raum
An eine Erzählung von Heinrich von Kleist, „Über das Marionettentheater“, erinnern die 
feingliedrigen Körperteile von Gliedermenschen. (Foto: Rolf K. Wegst) 

Mein Eindruck von diesen Konstruktionen, die die gleiche Kleidung wie ihre „Schöpferin“ tragen: Sie wirken im Gegensatz zu  Louisa Clement, die ich ja nur von Dokumentationen und Fotos her kenne, gespenstisch kühl bis gruselig. Die Puppen lassen mich im wahrsten Sinne des Wortes kalt. Clement will dieses Abbilder ihrer selbst an private  und öffentliche Einrichtungen abgeben, womit sie keine Kontrolle mehr über ihre „Schöpfungen“ hat. Ich glaube, diesen Schritt könnte ich nicht gehen, trotz der Symbolik, mit der die Künstlerin laut des Textes im Werkverzeichnis  die Puppen abgeben wird: Der Kontrollverlust zum digitalen Raum liege nahe. Denn wenn ein Objekt im Internet veröffentlicht wurde, lässt sich oft kaum mehr nachvollziehen, wie oft der Beitrag vervielfältigt, gespeichert oder genutzt wird.

Nachdenken auch über Einsamkeit

Mein Fazit der Ausstellung, in der Clement beispielsweise auch mit Spiegelglas verwirrende, faszinierende Effekte erzielt: Die „Repräsentantinnen“ sind  für mich nicht das Highlight unter den Exponaten, die zusammen einen hochinteressanten künstlerischen Beitrag zum Thema „Puppen“ bilden und zum Nachdenken animieren: über nicht alltägliche Menschen, über Einsamkeit und über Nach- und Vorteile des rasenden technischen Fortschritts.

„Double Bind“ ist in der Gießener Kunsthalle bis zum 26. September noch zu sehen: Dienstag bis Sonntags 10 – 18 Uhr,  Eintritt frei.  Terminbuchung erforderlich unter: kunsthalle-giessen.de

Titelbild: Louisa Clement (links) hat mit den „Repräsentantinnen“ Abbilder von sich selbst geschaffen. Das Foto entstand nicht bei der kürzlichen Führung, sondern bei einem Termin, als die Künstlerin in der Kunsthalle anwesend war. (Foto: Rolf K. Wegst)

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