Dichter liebte Schloss Friedelhausen
von Jörg-Peter Schmidt
Das Literarische Zentrum Gießen (LZG) widmete sich in einer seiner letzten Lesungen im Jahr 2025 dem Lyriker und Übersetzer Rainer Maria Rilke (1875 – 1926), dessen Werke über Europa hinaus populär sind. Laut der „Süddeutschen Zeitung“ vom 1. Dezember 20125 schätzen die Übersetzungen von Rilkes „Briefe an einen jungen Dichter“ beispielsweise Dustin Hoffmann, Jodie Foster und Lady Gaga.Manfred Koch stellte Biografie vor
Es lag auf der Hand, dass man sich beim LZG zum 150. Geburtstag des Dichters überlegen würde, wie der oft als kitschig weit unterschätzte gebürtige Prager am besten gewürdigt würdigen werden könnte. Dass Manfred Koch, der von 1991 bis 1998 wissenschaftlicher Assistent an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) war, erst kürzlich eine Biografie unter dem Titel „Rilke – Dichter der Angst“ veröffentlicht hatte, passte bestens.
Lesung fand sehr große Resonanz
Zu der vom LZG und dem JLU-Institut für Germanistik gemeinsam ausgerichteten Veranstaltung kamen rund 110 Zuhörerinnen und Zuhörer in den voll besetzten Gießener Margarete-Bieber-Saal in der Ludwigstraße. Moderator war der Literaturwissenschaftler Joachim Jakob. Er kennt Manfred Koch wegen dessen Zeit an der Gießener Uni und er freut sich über den Erfolg schriftstellerischen Erfolg seines Kollegen: Die Rilke-Biografie wird in den Medien allgemein gelobt.
Dichter der Angst
Koch erläutert in seiner im Verlag C. H. Beck erschienenen Biografie ausführlich, warum er Rilke als Dichter der Angst beschreibt: Immer wieder gibt es von Kindheit an seelische Krisen und finanzielle Probleme. Die Beziehungen zu Frauen sind oft problematisch. Koch rezitierte aus eine Passage über die Zeit des Schriftstellers in Paris, die alles andere als glücklich verlief.
Aufblühen im Schloss Friedelhausen
Trotz aller Krisen gab es auch Zeiten für den Autor, in der er sich wohl fühlte. Aus mittelhessischer Sicht ist besonders interessant, dass der Lyriker 1905 und 1906 jeweils für einige Tage im Schloss Friedelhausen bei Lollar in der Nähe Gießens weilte und diese Zeit offensichtlich (auch bei Ausflügen in die oberhessischen Landschaften und Dörfer) genoss. Das Schloss beherbergt heute einen Demeter-Betrieb, in dem Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten.

Manfred Koch führte bei der Lesung das Publikum zurück ins Jahr 1905, als er das Kapitel „Nestwechsel“ aus seinem Buch vorstellte. Rilke war zusammen mit seiner Frau Clara Gast der Gräfin Luise von Schwerin auf dem Schloss Friedelhausen, dessen Baustil unübersehbar englisch ist (Stichwort: Tudorgotik). „In Friedelhausen ließ Rilke sich nicht nur verwöhnen wie ein Kind; er zeigte sich auch lernbegierig…“ im Kreis von Aristokraten, Wissenschaftlern und Geschäftsleuten, schreibt Koch. Gespräche geführt wurden beispielsweise mit Alice Faehndrich, der Schwester der Gräfin, die eine Villa auf Capri besaß. Im Schloss weilten Gudrun, Tochter der Gräfin, und Gudruns Ehemann.
Mit großem Interesse unterhielt man sich Jakob Johann Baron von Uexküll, einem Naturforscher, Zoologe und Philosoph. Man machte zudem die Bekanntschaft von Karl von der Heydt, einem Berliner Bankier, Schriftsteller und Kunstsammler. Heydt wurde ein Förderer Rilkes, der sich dafür wie folgt bedankte: Er half seinem Freund beim Kauf von Rodins Skulptur „Frère et Soeur“ („Bruder und Schwester“).
Letzte Jahre in der Schweiz
Rilke mochte Friedelhausen so sehr, dass er 1906 dort zurückkehrte und seinen 31. Geburtstag feierte, wie Manfred Koch schreibt, der am Ende seiner Lesung in Gießen des Dichters Leben in der Schweiz schilderte. Er hielt sich unter anderem in Locarno und Schloss Berg auf. Er litt sehr an Leukämie. Im Krankenhaus von Val-Mont bei Montreux starb er. Am Ende der Lesung gab es langen Beifall für diese spannende und informative Veranstaltung.
Die Biografie „Rilke – Dichter der Angst“ ist im Verlag C. H. Beck erschienen und kostet 34 Euro.

Titelbild: Schloss Friedelhausen (Foto: Wikipedia, Peter Beltz)

