Das stille Grab im Bad Nauheimer Wald
Ein verlassener, schwer auffindbarer Jüdischer Friedhof mitten im Wald: Das klingt verwunschen, geheimnisvoll, wie ein Roman-Motiv. In Bad Nauheim gibt es solch eine Stätte, deren besterhaltener Grabstein eine tragische Geschichte in sich birgt. Kleine Steine auf dem Grabstein belegen, dass Besuch da war.
Jüdischer Friedhof ist wenig bekannt
Ein alter Jüdischer Friedhof in Bad Nauheim? Das ist vielen Bürgern nicht mehr bekannt. Er liegt mitten im Wald, ist denkmalgeschützt, aber weder eingezäunt noch als Kulturdenkmal ausgewiesen. Die Überreste der Anlage, die seit dem 17. Jahrhundert genutzt und 1866 aufgegeben wurde, können aber gefunden werde, wenn man der Wegbeschreibung exakt folgt. „Er liegt in der Nähe des Waldsportplatzes an der sogenannten ‚Rundfahrt‘, dem Ernst-Ludwig-Weg in Richtung Johannisberg auf der linken Seite, etwa 30 Meter oberhalb des nach links abzweigenden Lichtenbergpfades.“
Brombeerranken vor Zugang
Dies beschreibt der Förderverein Alter Friedhof-Historischer Bürgerpark, eine Initiative für ein altes christliches Grabfeld in der Kernstadt, in einem gesonderten Kapitel seiner Homepage. Dichtes Unterholz und Brombeerranken erschwerten den Zugang, heißt es auf der Webseite weiter. Tatsächlich sieht man den größten der beiden noch vorhandenen Grabsteine aber sofort, wenn man ab Lichtenbergpfad 30 große Schritte macht und anschließend den Kopf nach links wendet. Hier liegt der 24-jährige Ely Rosenberg begraben, der am Freitag, 20. Mai 1859 als Kurgast in Bad Nauheim ankam und dessen Geschichte der verstorbene Bad Nauheimer Lokalhistoriker Erich Brücher im Jahr 1966 aufschrieb. Rosenberg wohnte demnach im „Speisehaus“ von Samuel Rosenthal auf der Hauptstraße (Ritterstraße). Im Kurfremdenbuch wird er als „Rentier“ bezeichnet, jemand, der aus den Erträgen von Privatkapital lebt.
Nicht zurückgekommen
Drei Wochen später, am Freitag, 10. Juni, ging er aus, kam aber abends nicht in seine Pension zurück. Spätabends meldete der Teichpächter der Polizeiwache, dass ein Herr, der schon öfters kleine Ruderbootfahrten unternommen habe, sich einen Kahn geben ließ. Der sei nun herrenlos angetrieben, ein Ruder fehlte, das Jackett und ein kleiner Spazierstock lagen darin. Die Ausweispapiere wiesen den Mann als Handlungsreisenden oder Kommissionshändler aus.
Toter treibt an
Er stammte aus Lindow, war aber kurz zuvor nach Berlin gezogen. Zwei Tage später, am Sonntag, 12. Juni, trieb die Leiche von Rosenberg abends an der Insel im Teich an. Man ging von einem Unfall aus, wofür das fehlende Ruder spreche. Nach Aussage seines Pensionswirtes muss Rosenberg vermögend gewesen sein, denn er habe Wechsel und Effekten besessen und täglich Gold umgetauscht. Auch sein stattlicher Grabstein könnte ein Indiz dafür sein.
Es war kein Wolf
Lange hieß es, dass dort ein junger Engländer begraben liege, schilderte der Lokalhistoriker Brücher, denn auf dem verwitterten Grabstein soll sich Lindow wie London gelesen haben. Auch habe es wegen eines Übersetzungsfehlers aus der hebräischen Schrift lange geheißen, Rosenberg sei einem Wolf zum Opfer gefallen. Der zweite, allerdings nur als Fragment erhaltene Grabstein auf dem Lichtenberg stammt vermutlich aus dem Jahr 1789/90.
Fundament gefunden
Nach Rosenberg wurden nur noch zwei weitere Tote dort bestattet: 1862 die Namensvetterin Sara Rosenberg, die 50 Jahre alt wurde und auch Kurgast war. 1863 wurde als letzter Toter auf dem Lichtenberg der Privatier Max Dreyfuß aus Collmar beigesetzt, der im Alter von 60 Jahren starb. Wie aus der Homepage des Fördervereins Alter Friedhof-Historischer Bürgerpark hervorgeht, schien bei einer Begehung 2011 einer von drei, bis dahin erhaltenen Grabsteinen verschwunden zu sein. Wie der Fördervereinsakteur Thomas Schwab schildert, habe er die Überreste letztes Jahr aber wiederentdeckt. „Zwischen den beiden noch existierenden Steinen kann man, wenn man genau hinsieht, ein Fundament entdecken. Ich habe ein bisschen gekratzt, da habe ich die Umrandung gefunden.“
Mitten im Wald
1866 wurde der neue jüdische Friedhof in der Homburger Straße errichtet. Dies geschah auf Bitten des Gemeindeältesten, denn der Friedhof im Wald bot nach Ansicht der jüdischen Gemeinde ein haarsträubendes Bild, liege mitten im Wald und sei schwer zugänglich.
Jüdischer Friedhof wird von Stadt gepflegt
Eigentümer des Waldstückes, in dem der aufgelassene jüdische Friedhof auf dem Lichtenberg liegt, ist die Stadt Bad Nauheim. Laut Auskunft des Grünflächenamtes wird ein- bis zweimal pro Jahr der Bewuchs um die Steine reduziert.
Diese Maßnahme ist im Waldpflegewerk mit aufgenommen. Da die Steine so abseits liegen, wird laut Stadt das Denkmal bewusst weder mit Umfriedung noch Hinweistafel publik gemacht, um nicht die falschen Personen anzulocken.
Weitere Infos zum Jüdischen Bestattungswesen in Bad Nauheim gibt es hier: holocaust-erinnerungsmal-badnauheim.com