J. PH. REEMTSMA

Hommage an Genie Wieland

von Jörg-Peter Schmidt

Der Publizist Jan Philipp Reemtsma trägt dank seiner 2023 erschienenen Biografie mit dem Titel „Christoph Martin Wieland – Die Erfindung der modernen deutschen Literatur“ dazu bei, dass das Lebenswerk eines heutzutage oft unterschätzten Schriftstellers wieder entsprechend gewürdigt wird. In Gießen verdeutlichter Reemtsma, wie spannend das Thema Wieland sein kann.

Saal war voll besetzt

Zu dem Gespräch mit dem Professor für Neuere Deutsche Literatur hatte das Literarische Zentrum Gießen (LZG) zusammen mit der Universitätsbibliothek  der Justus-Liebig-Universität Gießen in den mit rund 100 Zuhörerinnen und Zuhörern voll besetzten Zeitschriftenlesesaal der Unibibliothek eingeladen. Deren Leiter Peter Reuter drückte seine Freude aus, den mehrfach ausgezeichneten früheren Gründer und Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung für die Veranstaltung gewonnen zu haben.

Der Publizist  beim Signieren seiner Bücher. (Foto: Jörg-Peter Schmidt)
 

Leben eines Multitalents geschildert

Moderator war Joachim Jakob, der das Wort gleich weitergeben konnte: Reemtsma hielt sich nicht lange mit „Vorreden“ auf, legte sofort los und fesselte das Publikum mit der Schilderung des Lebens eines Multitalents, das 1733 in Oberholzheim (Oberschwaben) geboren wurde und 1813 in Weimar starb. Der Literatur- und Sozialwissenschaftler las nur ein Kapitel aus seinem Buch, sprach stattdessen aus dem Stegreif in rhetorisch angenehmer Weise.

Christoph Martin Wieland , Gemälde von Gerhard von Kügelgen, 1808 (Wikipedia,
http://hdl.handle.net/10062/3587)

Nach und nach hatte man das Gefühl als Zuhörer, Christoph Martin Wieland immer näher zu kommen, lernte seine große Familie kennen,  verfolgte seine Zeit in Weimar als Erzieher des 14-jährigen Erbprinzen Carl August und dessen jüngeren Bruder Friedrich Ferdinand Constantin. Dann lernte man bei Reemtsmas Vortrag den Professor der Philosophie Wieland plötzlich von einer ganz anderen Seite kennen: Er schrieb das Libretto der Oper „Alceste“ (Musik von Anton Schweitzer), die 1773 am Weimarer Hoftheater uraufgeführt wurde.

Das Weimarer Hoftheater  um 1800.  1733 wurde hier die  Oper „Alceste“ (Wieland verfasste das Libretto) uraufgeführt.  Quelle: Wikipedia, Hans Wahl, Anton Kippenberg: Goethe und seine Welt, Insel-Verlag, Leipzig 1932 S. 153)
Autor, Übersetzer, Librettist, Herausgeber

Das Staunen im Gießener Publikum über die Vielseitigkeit des Aufklärers seiner Zeit wurde immer größer: Wieland schrieb  Gedichte, Erzählungen, Werke für die Theaterbühne, übersetzte die Veröffentlichungen beispielsweise von Shakespeare und großer Persönlichkeiten der Antike wie Horaz, Xenophon sowie Cicero.

Moderator Joachim Jacob (rechts) im Gespräch mit  Jan Philipp Reemtsma. (Foto: Jörg-Peter Schmidt)
Titelseite von Band 1 der Übersetzung der horazischen Satyren (Quelle: Wikipedia, Scanned by Aristeas from his own copy of the book.)
 
 

Hochinteressant ist auch seine Rolle als Herausgeber: Er gab in Weimar von 1733 bis 1810 den „Teutschen Merkur“ heraus, der sich beispielsweise mit kulturellen, aber auch politischen Themen beschäftigte. Vorbild war der „Mercure de France“. Im „Teutschen Merkur“ las man keine Tratsch-Geschichten, aber beispielsweise Artikel über „die russische Armee unter Romanow“, „Kammergerichts-Visitation“ in Wetzlar“ und „Aufhebung des Jesuiten-Ordens“.  Zudem beschäftigte sich das Journal ausführlich mit der politischen Entwicklung in Frankreich. Zu den Autoren des „Merkur“ gehörten unter anderem Goethe, Herder, Kant, Klopstock und Schiller und Wieland selbst, der  wieder einmal eine neue Aufgabe hatte: als politischer Journalist.

Plaudern mit Napoleon über Cäsar

Wie eingangs erwähnt, las Reemtsma in Gießen nur aus einem einzigen Kapitel, was niemanden im Saal störte. In diesem Kapitel geht es um die Begegnung Wielands mit Napoleon 1808 in Weimar am Rande eines Balls. Wieland hatte ja frühzeitig Napoleons Aufstieg vorausgesagt; zudem war der deutsche Schriftsteller auch international bekannt. Der Franzose wollte ihn unbedingt kennenlernen. Wieland erwähnte in seinen Erinnerungen, dass man auf Cäsar zu sprechen kam und Napoleon auf einen Fehler aufmerksam machte, den seiner Meinung nach  der römische Staatsmann machte: „Cäsar kannte ja längst die Menschen genau, die ihn auf die Seite schaffte, und so hätte er sie auf die Seite schaffen müssen.“ Als er mit Napoleon sprach, war Wieland bereits ein älterer Herr und am 20. Januar 1813 starb er gegen Mitternacht.

Jan Philipp Reemtsma hatte in Gießen, wo er langen Beifall nach seinen Ausführungen erhielt, neugierig auf sein Buch gemacht, das im Verlag C. H. Beck erschienen ist und 38 Euro kostet.

Titelbild: Christoph Martin Wieland mit seiner Frau Anna Dorothea Wieland, sowie den Kindern Sophie Katherine Wieland, Regine Dorothea Wieland, Karl Friedrich Wieland, Maria Karolina Wieland und Amalia Augusta Wieland. Quelle: Wikipedia,    http://www.babenberg.de/kunstkarten/weimar_klassik_gross/141_06_gross.html – Georg Melchior Kraus (1737-1806)

2 Gedanken zu „J. PH. REEMTSMA“

  1. Wieland hat auch eine Ode auf einen Beinahe-Gießener geschrieben: „Auf ein Bildniß des Königs von Preußen
    von Herrn Wille“. Herr Wille ist Johann Georg Will (1735-1808) von der Obermühle zwischen Bieber und Königsberg:

    „Du Liebling der Natur und Kunst,
    O Wille, dem mit seltner Gunst
    Die Gratien den Griffel führen,
    Wenn, von der Muse Schwung belebt,
    Auf Flügeln des Genie bis zu den Ur-Ideen
    Des Schönen sich dein Geist erhebt;
    Ein glückliches Gestirn gab dich der goldnen Zeit,
    da Friederich die Welt mit seinen Wundern füllet,
    Wie würdig der Unsterblichkeit! [usw.]“

    Christoph Martin Wieland, Ode auf Johann Georg Wille.
    In: Wielands Werke. Dritter Band. Poetische Jugendwerke. Dritter Teil.
    Herausgegeben von Fritz Homeyer, Berlin 1910, S. 223.
    (Nachdruck Hildesheim 1986).

    Mit freundlichen Grüßen
    Anton Friedrich Koch
    a.koch@uni-heidelberg.de

    1. Vielen Dank, Herr Koch, für diesen sehr interessanten Beitrag. Mit herzlichen Grüßen: Jörg-Peter Schmidt, Landbote-Autor. Wieland war in der Tat ein äußerst vielseitiges Genie.

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