Die Wetterau wird nur langsam grüner
Obwohl die Grünen am 14. März 2021 im Wetteraukreis fast so viele Wählerstimmen wie die SPD bekamen, bleiben sie politisch außen vor. Notwendige Veränderungen, etwa beim Klimaschutz und der Verkehrswende, kommen zu langsam voran, beklagt der alte und neue Kreistags-Fraktionsvorsitzende Michael Rückl im Interview mit dem Neuen Landboten. Er übt sein Amt in der auf 15 Mitglieder mehr als verdoppelten Fraktion künftig gemeinsam mit der Bad Vilbelerin Isil Yönter aus. Im Interview geht es um künftige Koalitionen, um Schottergärten und die Rivalität mit der SPD. Michael Rückl (62) wohnt in der SPD-Hochburg Wölfersheim. Der Angestellte einer großen Bank engagiert sich dort schon seit 1987 für die Grünen im Gemeindeparlament. Seit 1993 ist er im Kreistag aktiv und gilt deshalb als erfahrenster Politiker seiner Partei auf Kreisebene.„SPD ist Anhängsel der CDU geworden“
Herr Rückl, die Grünen bekamen bei der Kommunalwahl so viele Stimmen wie noch nie. In der Wetterau waren es 19 Prozent, nur 1,7 Punkte weniger als die SPD. Womit erklären Sie sich diesen Erfolg?
Michael Rückl: Ein Punkt ist wohl, dass Robert Habeck und Annalena Baerbock als Bundesvorsitzender medial gut ankommen. Es ist aber auch der Klimawandel. Jeder merkt, dass sich die Wetterphänomene häufen – Dürresommer bei uns, und jetzt die Jahrhundertflut in Australien. Die junge Generation nimmt das noch viel stärker wahr. Es wächst die Einsicht, dass man etwas unternehmen muss. Und von den Grünen wissen die Leute, dass es ihnen ernst ist mit dem Klimaschutz.
Ist es nicht ein bequemer Selbstbetrug, die Grünen zu wählen und dann auf die Kanaren in den Urlaub zu fliegen? Jeder muss ja selber etwas tun, um weniger Treibhausgase zu erzeugen. Es geht darum, das eigene Auto mit anderen zu teilen und auf dem Dach Solarstrom zu erzeugen.
Ich sehe da keinen Selbstbetrug. Alle wollen gut sein. Keiner will die Welt kaputtmachen. Wir alle wollen gut leben, aber nicht auf Kosten anderer. Wir können da glaubhaft Lösungen anbieten. Deshalb haben die Grünen auch ein gutes Standing bei den jüngeren Leuten. Und wir haben jetzt mehr junge Leute mit politischen Mandaten im Kreis und in den Kommunen.
Aber das bringt Sie kaum weiter. Niemand will so recht mit den Grünen zusammen regieren. In den letzten fünf Jahren hat Ihre Partei nirgendwo ein Bündnis hinbekommen.
Bis 2016 hatten wir auf Kreisebene die Koalition mit der SPD und der FDP. In Karben gab es bis 2006 ein rot-grünes Bündnis. In Bad Nauheim wurde 2011 die Grüne Brigitta Nell-Düvel mit Hilfe der CDU zur Ersten Stadträtin gewählt. Und als zweit- oder drittstärkste Fraktion haben wir jetzt in einigen Wetterauer Parlamenten die Chance, Regierungsbündnisse zu bilden.
Aber bei der CDU und vor allem bei der SPD sind immer noch Vorbehalte gegen ein Regieren mit den Grünen zu spüren. Und das 35 Jahre, nachdem die ersten langhaarigen Systemveränderer in den Parlamenten auftauchten.
„Die Nähe zu den Sozialdemokraten ist gewichen“
Das sehe ich nicht so. Allerdings stehen wir eben nicht für den bequemen Weg. Eben, weil wir was verändern wollen. Und die frühere Nähe zu den Sozialdemokraten ist gewichen.
Woran liegt das?
Die SPD hat im Gegensatz zu den Grünen eine Tendenz, Posten zu erobern und dann Politik von oben her zu machen. Das war bei Gerhard Schröder ganz deutlich sichtbar. Und in Wölfersheim haben sie es echt perfektioniert.
Da hat die SPD schon seit Jahrzehnten die absolute Mehrheit.
In Wölfersheim gibt es einen regelrechten Propagandaapparat, ständig Erfolgsmeldungen auf allen Kanälen. Das zündet. Den mündigen Menschen braucht das nicht unbedingt. Deshalb hieß der SPD-Slogan auch „Wir kümmern uns“. Ich glaube, dass in Reichelsheim die neue Bürgermeisterin Lena Herget-Umsonst von den Wölfersheimern gelernt hat. Es deutet sich schon an, dass sie ebenfalls eine Propagandamaschinerie aufziehen wird.
„SPD ist zum Protagonisten des Flächenverbrauchs geworden“
Warum machen die Grünen das nicht auch, wenn es so gut funktioniert?
Auf Dauer kann man eine Erfolgsgeschichte nur da erzählen, wo auch eine ist. Die SPD hat in der Breite aber Misserfolg. Wir sehen das in den Wahlergebnissen für den Wetteraukreis und für die meisten Kommunen. Auf Kreisebene ist sie zu einem Anhängsel der CDU geworden. Die Partei erodiert. Und es liegt auch daran, dass die SPD immer wieder das verraten hat, wofür sie eigentlich stand. Jetzt bekommt sie die Quittung dafür. Selbst wenn sie jetzt in der Bundesregierung Politik für die Arbeitnehmer macht, wird man es ihr nicht mehr danken.
Was werfen Sie der SPD denn konkret vor?
Das Thema Flächenverbrauch. Zwar haben auch andere Parteien hier wenig Hemmungen. In der Wetterau ist allerdings die SPD zum Protagonisten des Flächenverbrauchs geworden. Aktuelles Beispiel: Nach der Kommunalwahl wird die Regionale Planungsversammlung Südhessen mit etwas Zeitverzögerung mehr grüne Mandate bekommen. Deshalb werden jetzt noch zahlreiche Zielabweichungsverfahren auf den Weg gebracht. Um noch möglichst viel Fläche unter Beton legen zu können. Deshalb wurde auch vor Jahren von Rouven Kötter die Koalition mit den Grünen im Regionalverband aufgekündigt.
Die Wetterauer SPD und die CDU haben mit den Grünen auch auf Kreisebene nichts am Hut. Sie verhandeln gerade über die Fortführung der schwarz-roten Koalition.
Die CDU hat zwei Optionen. Sie kann weiter mit der SPD arbeiten. Das ist für sie bequem. Beim Klimaschutz und bei der Digitalisierung wird es dann weiter nur schleppend vorangehen. Mit uns käme ein Bündnis nur infrage, wenn die Union in Sachen Klimaschutz noch einiges draufpackt. Denn wir machen Politik doch dafür, dass wir etwas positiv verändern können.
„Nicht alle Steingärten sind ökologisch von Übel!
Warum engagieren Sie sich dann weiter in Wölfersheim? Seit Jahren springt die SPD-Mehrheit ziemlich ruppig mit Ihnen und Ihrem Parlamentskollegen Franz Grolig um. Und lehnt alle Grünen-Anträge ab. Auch wenn Sie jetzt fünf Sitze haben, können Sie nichts ausrichten.
Es werden nicht mehr alle Anträge abgelehnt. Das hat sich geändert. Und sie haben Respekt vor uns. Sie wissen auch, dass das Parlament ohne uns ein toter Ort wäre. Im Kreistag fühle ich mich anerkannt. Da schätzt man sich einfach gegenseitig über die Parteigrenzen hinweg. Und wir merken nach 35 Jahren im Kreistag auch, dass die anderen Parteien ebenfalls grüner werden. So haben wir zum Beispiel eine reelle Chance, die Infrastruktur so auszubauen, dass es mehr und bessere Bahnverbindungen und Radschnellwege gibt. Selbst im Hügelland der östlichen Wetterau kann man sich mit dem Elektro-Rad das Auto sparen.
Höhere Benzinpreise werden die Grünen aus übler Erfahrung wohl nicht mehr fordern. Aber wie sieht es mit dem Verbot weiterer Neubaugebiete und Schotter-Gärten aus?
Nicht alle Steingärten sind ökologisch von Übel. Die versiegelten Schottergärten braucht es nicht. Wichtiger ist, dass neue Häuser nicht mehr so oft draußen auf dem Feld, sondern durchaus in Innenorts-Lagen gebaut werden. Die Ortskerne könnten wir vom Autoverkehr befreien und aufwerten. Wichtig ist auch, dass bei Neubauten die Waschmaschinen und Toiletten mit Regenwasser betrieben werden. Unser Trinkwasser ist begrenzt, da müssen alle unbedingt mehr sparen. Das sagt sogar der Ovag-Chef und Sozialdemokrat Joachim Arnold. Und nochmal zu Wölfersheim: Im letzten Neubaugebiet wurde auf unser Betreiben beschlossen, per Klausel im Kaufvertrag Schottergärten auszuschließen und Brauchwassernutzung vorzuschreiben.