HOLOCAUST

Deportation vor aller Augen

von Jörg-Peter Schmidt

Als Monica Kingreen im Alter von elf Jahren die Gedenkstätte Buchenwald besuchte, hinterließ dies tiefe Spuren in ihrer Seele. Sie forschte als Erwachsene intensiv über den Holocaust, allein schon, damit die unzähligen Gedemütigten und Ermordeten der NS-Herrschaft nicht in Vergessenheit geraten. Die Publikation „Die Deportation der Juden in Hessen“ der 2017 verstorbenen Autorin wurde jetzt in Gießen vorgestellt.

Erschütternde Briefe

Das Cover der Dokumentation mit einem Foto des Hessischen Landesarchivs.  
 

Vor rund 70 Zuhörerinnen und Hörern im Netanya-Saal des Alten Schlosses rezitierten  in der Veranstaltung des Literarischen Zentrums Gießen (LZG)  Dr. Volker Eichler sowie Dr. Christiane und Hartmut Heinemann aus der über 470 Seiten umfassenden sehr sorgfältig recherchierten  Dokumentation, die die Pädagogin im Auftrag der Kommission für die Geschichte der Juden erarbeitete. Eichler, der Leiter des Hessischen Hauptstaatsarchivs in Wiesbaden war, hatte nach dem Tod der Pädagogin und Schriftstellerin Kingreen ihr weitgehend fertiges Manuskript bearbeitet. So konnte schließlich die Dokumentation, versehen mit zahlreichen Fotografien, von der Kommission für die Geschichte der Juden herausgegeben werden. Christiane und Hartmut Heinemann lasen aus Briefen und anderen Dokumenten, die Zeitzeugen hinterlassen haben und in dem Sachbuch enthalten sind,  vor.

Auch vor Säuglingen nicht Halt gemacht

Bevor aus verschiedenen Kapiteln des Buches vorgelesen wurde, würdigten Moderator Christian Pöpken (Gießener Stadtarchivar) und Francesco Arman (Gießener Stadtrat) die außerordentliche Bedeutung dieser Publikation, aus der hervorgeht: Von 1940 bis 1945 wurden aus den Regionen des heutigen Bundeslandes Hessen etwa 17000 Menschen im Auftrag des Nazi-Regimes in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert – auch vor Säuglingen und Schulkindern wurde nicht Halt gemacht. Grade mal rund 1000 der Opfer haben überlebt, geht aus dieser der erschütternden und aufwühlenden Veröffentlichung hervor, die aufzeigt: Die Deportation geschah vor aller Augen.

Mittelhessische Gestapo-Sammellager
In Friedberg war das Sammellager zur Deportation die Agustinerschule. (Foto: Wikipedia, Lizenz Freie Kunst, Mylius).

So war es auch beispielsweise in Mittelhessen, wie Monica Kingreen ausführlich schilderte (sie lebte mit ihr  Familie in Hessen: in Nidderau-Windecken im Main-Kinzig-Kreis). Es gab ein Gestapo-Sammellager in Friedberg, die Augustiner-Schule. Auf Seite 344 ist der Bericht einer Augenzeugin abgedruckt: „An diesem Morgen, als die Juden abgeholt wurden…, da stand natürlich alles da, was dann absahnen wollte. Es standen dann alle da mit den Händen in den Taschen und riefen: ‘Schmeißen Sie doch alle gleich tot´…Bei diesem Pulk handelte es sich um sogenannte Assoziale, die haben regelrecht…die Judenhäuser gestürmt und die Betten herausgeholt.“

Sammellager in Gießen war die Goetheschule (Foto. Wikipedia, Stefan Flöper)
 

In das Sammellager der Gießener Goetheschule in der Westanlage wurden insgesamt 330 Menschen gewaltsam gebracht. In Monika Kingreens Publikation ist hinsichtlich des weiteren Wegs aus diesem Sammellager ein Bericht des Gießeners Ludwig Stern aus dem Jahr 1945 veröffentlicht: „Beim Verladen im Gießener Bahnhof bekamen die Juden bereits einen kleinen Vorgeschmack von dem, was sie zu erwarten hatten. Es hagelte nur so von Schimpfwörtern und Schlägen auf  Männer, Frauen und Kinder. Ein Eisenbahnwagen wurde verschlossen, die Fenster durften nicht geöffnet werden.“ Vom Bahnhof fuhr der Zug mit den Verschleppten Richtung Darmstadt.“

Den Opfern ein Gesicht geben

Volker  Eichler verdeutlichte im Alten Schloss, was den Opfern des Nationalsozialismus angetan wurde, was in der Dokumentation anhand von Texten, Tabellen, Briefen und Fotos geschildert wird:  Zu den Verbrechen der Nationalsozialisten gehörte bekanntlich auch auch das Morden in den Euthanasie-Anstalten. Die Schilderungen  des Leids, das die Deportierten erlebten, bewegten die Zuhörerinnen und  Zuhörer im Netanyasaal zutiefst. Um so deutlicher wurde: In der Tat sind  solche Veröffentlichungen schon deshalb wichtig, weil damit die getöteten Menschen auch für die Nachwelt ein Gesicht erhalten: In dem Buch sind ihre Namen und ihre Geschichte beschrieben. Viele davon sahen keinen anderen Ausweg als den Selbstmord.

Das Sachbuch  „Monica Kingreen: Die Deportation der Juden aus Hessen. 1940 bis 1945“  kostet 28 Euro. Veröffentlicht ist die Dokumentation von der  Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, bei der  der Band  (ebenso über die Buchhandlungen) erhältlich ist.     

Titelbild: Dr. Volker Eichler (oben) sowie Dr. Christiane und Hartmut Heinemann stellten die Dokumentation vor. (Foto: Jörg-Peter Schmidt)

Ein Gedanke zu „HOLOCAUST“

  1. Sehr geehrte Damen und Herren!

    Ich finde viele Artikel wichtig und lesenswert, auch wenn ich nicht in Hessen wohne.

    Aber das, was Sie da zu Glyphosat geschrieben haben, ist menschenverachtend. Es ist krebserregend, schädigt das Grundwasser, das wir bitter nötig haben und und und.

    Empörte Grüße

    Anneliese Fleischmann-Stroh
    Heilbronn

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert