Wie die Nazis siegen konnten
Wie wichtig es ist, rechtzeitig Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen und wachsam zu sein, darauf weist der Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 anlässlich des Jahrestages der Machtübergabe an Hitler am 30. Januar 1933 hin. Wie die Nazis an die Macht kommen konnten, untersucht der Studienkreis in der jüngsten Ausgabe seiner Zeitschrift „informationen“ unter dem Titel „Auf dem Weg in die NS-Diktatur“.Lokaler Machterwerb der Nazis vor 1933
„Der Aufstieg der Nazis erfolgte nicht über Nacht, sondern es gab vielfältige Schritte und Ereignisse auf dem Weg zur NS-Diktatur. Und es gab Menschen, die sich diesen demokratiefeindlichen und zerstörenden Tendenzen – oft unter Einsatz ihres Lebens – widersetzt haben“, heißt es in einer Pressemitteilung des Studienkreises. Die Artikel in der Ausgabe 92 der Zeitschrift „informationen“ befassen sich mit der Zeit von den 1920er Jahren bis 1933. Sie gehen auch der Frage nach, wo es heute Parallelen und Gefährdungen gibt. Ursachen und Strategien des lokalen Machtwerbs der Nazis von 1933 stehen im Fokus. „Joachim Schröder schreibt in dem Heft über „Das Scheitern einer Demokratie. Der Aufstieg der NS-Bewegung und das Ende der Weimarer Republik“.
„Im Kampf um die Republik. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und die Krise der Weimarer Republik“ ist das Thema von Sebastian Elsbach. Steffen Raßloff befasst sich mit „Vorreiter der Machtergreifgung. Das NSDAP-Mustergau Thüringen“. Über die erste nationalsozialistische Stadt Deutschlands schreibt Eva Karl unter der Überschrift „Coburg voran!“ „Mein Kopf. Die Ächtung und Ermordung Theodor Lessings“ ist das Thema von Bernhard Schütz. „Wir Juden sind schuld am Krieg, deshalb müssen wir vernichtet werden“ – Exzessives Täterhandeln in Darmstadt“ ist das Thema von Kirsti Ohr. Eine Beilage enthält Materialien für die historisch-politische Bildung als Angebot an Lehrerinnen und Lehrer.
Der Studienkreis betont in seiner Pressemitteilung, ihm sei kein Abstand zur Geschichte wichtig, „sondern eine aktive Auseinandersetzung damit und mit der Frage, wie heutige Entwicklungen einzuschätzen sind und was getan werden muss, um die Demokratie zu verteidigen“. Er weist darauf hin, dass Verschwörungstheorien, populistische Antworten auf aktuelle Fragen und rechtsradikale Tendenzen zugenommen haben. „Die Geschichte bietet keine einfachen Handlungsanleitungen für die Gegenwart .. die Auseinandersetzung mit ihr lässt uns aber in der
Gegenwart mehr erkennen“, zitiert der Studienkreis den Historiker Jörn Leonhard. „In einer Zeit, in der viele Sicherheiten in Frage gestellt werden, sogenannte Querdenker sich als ‚Widerstandskämpfer‘ oder in der Tradition von Anne Frank oder Sophie Scholl sehen, kann die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte als Anregungen und Orientierung für heutige Probleme geben“, sagt Gudrun Schmidt vom Vorstand des Studienkreises.
Bücher über Widerstand und gleichgeschaltete Polizei
Spannend sind auch die ausführlichen Buchbesprechungen in „informationen“. Hier gibt es Bücher zu entdecken, auf die man sonst nicht stoßen würde. Zum Beispiel die Lebensgeschichte von Katharina Jacob, die unter dem Titel „Widerstand war mir nicht in die Wiege gelegt“, die in der Reihe „Kinder des Widerstands“ im Verlag Galerie der abseitigen Künste erschienen ist. Katharina Jacob, 1907 im proletarischen Milieu Kölns geboren, überlebte das Frauen-KZ Ravensbrück und starb 1989 in Hamburg. Ihre Tochter Ilse Jacob hat ihre Erinnerungen bis zur Befreiung während des Todesmarsches Ende April 1945 aufgeschrieben. „Jacob, die 1926 den Kommunistischen Jugendverband (KJV) und kurz darauf der KPD beitrat und 1927 nach Hamburg zog, beschreibt auch die Jahre bis 1933 mit nüchternen Schilderungen, in denen stets Witz, Güte, Mut und Überzeugungen lauern und die mit ausdrucksstarken Fotografien bebildert sind“, schreibt Henning Fischer in seiner Besprechung.
Wie Widerstand unter den furchtbaren Bedingungen im Konzentrationslager Ravensbrück funktionierte, schildert Kathrin Mess in ihrem Buch „Dann habe ich keinen Hunger mehr gespürt….Kunst zwischen Widerstand, Zeugnis und Überlebensstrategie im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück am Beispiel der Luxemburgerin Yvonne Useldinger“. Die luxemburgische Widerstandskämpferin, die nach der Besetzung ihres Landes 1949 durch die Nazis verbotenes Material verteilte und Geld für politische Flüchtlinge sammelte, wurde im Juni 1943 nach Ravensbrück deportiert. Sie war Mutter einer neun Monate alten Tochter. Sie überlebte das KZ , wurde Ende Aptil 1945 vom Dänischen und Schwedischen Roten Kreuz befreit, im Gepäck ihr Tagebuch und ihre Zeichnungen. Nach ihrer Rückkehr nach Luxemburg Mitgründerin und Vorsitzende der Union luxemburgischer Frauen und im Internationalen Ravensbrück-Komitee. Das Buch zeige „in Zeiten von rechtsextremistischen, antidemokratischen und rassistischen Entwicklungen“ die besondere Rolle von Kunst im Widerstand, „als Dokumentation der unmenschlichen Lebensbedingungen, als Wertschätzung und Andenken, als Ablenkung vom und Reflexion des Erlebten, als Freundschaftsbeweis und soziales Bindemittel“, schreibt Florence Hervé in ihrer Rezension. Das Buch in Luxemburg im Institut für Geschichte und Soziales erschienen.
Mit der Polizei im NS-Staat beschäftigen sich gleich zwei Bücher. „Täter auf der Schulbank. Die Offiziersausbildung der Ordnungspolizei und der Holocaust“ von Sven Deppisch (Tectum Verlag) und „Die weltanschauliche Schulung der Polizei im Nationalsozialismus“ von Hans-Christian Harten (Ferdinand Schöningh Verlag). Beide Autoren kommen zum gleichen Ergebnis, stellt Werner Frank in seiner Besprechung der beiden Bücher fest. Deppisch: „Weder das NS-Regime noch der millionenfache Judenmord wären ohne die Polizei möglich gewesen“. Harten: „Die Polizei war neben der SS der Hauptakteur in der Umsetzung der nationalsozialistischen Rassenpolitik.“ Dennoch sei die Ordnungspolizei, zu der Gendamerie, Schutzpolizei und Gemeindepolizei gehörten, lange „im toten Winkel der historischen Forschung“ geblieben, beklagt Frank. In ihren umfangreichen Werken geben die beiden Autoren laut Frank „wertvolle Einblicke in Inhalt und Ablauf des Trainings der Polizei im Nationalsozialismus“. Es seien Standardwerke über die Geschichte und speziell die Schulung der Polizei im NS-Staat.
Die Zeitschrift „informationen“. Wissenschaftliche Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Widerstand“ mit dem Titel „Auf dem Weg in die NS-Diktatur“ (Nr. 92) kann zum Preis von 6,50 Euro per E-Mail an studienkreis@widerstand-1933-1945.de bestellt werden.