Hadamar

Ausstellung Psychiatrie und Kunst

von Ursula Wöllhadamar

Vom 20. 9. bis 20. 11. läuft in der Gedenkstätte Hadamar bei Limburg die Sonderausstellung „Beieinander! Zusammen? – Psychiatrie und Kunst“. Die Exponate sind im Offenen Atelier des Psychiatrischen Zentrums Rheingau entstanden. In ihm können Menschen mit psychischen Problemen oder einem Handicap ihre künstlerischen Ideen realisieren. Sie erhalten dafür Arbeitsplätze im Atelierhaus sowie Anregungen durch Helmut Mair, den Leiter des Ateliers. Die entstehenden Werke mancher dieser Seiteneinsteiger sind der etablierten Kunst durchaus ebenbürtig.

Das  Atelierhaus6

Das Atelierhaus6 mit seinem reizvollen Garten liegt auf dem Gelände der Psychiatrischen Klinik, auf dem Eichberg unweit Eltville. Einige KünstlerInnen des etablierten Kunstbetriebs haben ihr Atelier gleich nebenan, so dass diejenigen mit Psychiatrieerfahrung aus dem Atelier mit ihren KollegInnen  fachsimpeln können. Der Name Offenes Atelier ist Programm, die Grenzen zwischen „Outsider-Kunst“ und „normaler“ Kunst verwischen sich. Und das ist gut so. Man sagt ja auch nicht: Das ist Kunst von Diabetikern oder von Linkshändern. Warum also Kunst von Leuten mit Handicap? Jeder Kreative möchte, dass man nicht seine Person, sondern seine Werke beurteilt, die jeweils auf ihre Art reizvoll sind oder auch provozieren. Als bildender Künstler braucht man ja nicht unbedingt einen akademischen Abschluss, um etwas interessantes zu schaffen. Und man darf ruhig eine „Behinderung“ haben. So gesehen gibt es also keine „Outsider-Kunst“, sondern nur eine einzige, die abstrakt oder gegenständlich, farbig oder schwarz-weiß ist, die ihre Betrachter anspricht oder auch nicht. Noch muss Statusabstriche in Kauf nehmen, wer von der Norm abweicht, ich selbst bin auf den Rollator angewiesen und kann das bestätigen. Eines Tages jedoch wird das Etikett „Outsider-Kunst“ nicht mehr abwerten oder einen besonderen Kick versprechen. Weil es der Vergangenheit angehört.

Der Weg nach Hadamar lohnt

Etliche Exponate konnte ich im Internet sehen. Sie versprechen eine hadamar1spannende Ausstellung, die den Weg nach Hadamar lohnt. So werden etwa die großformatigen Zeichnungen mit den akribisch konstruierten Türmen der 1960 geborenen Sabine Isola dabei sein. Die Künstlerin besitzt nur noch 15 % ihrer Sehkraft. Vielleicht gerade deshalb hat sie einen so kleinteiligen Malstil gewählt. Sie beweist damit, dass sie über ihr Handicap  triumphiert. Ihre Türme verlocken zu  Assoziationen jenseits abgegriffener analytischer Deutungen. Natürlich fiel mir sofort der Turmbau zu Babel ein, der die Hybris der Menschen symbolisiert. Die Konstruktionen dieser Turmserie scheinen alle instabil. Ob die Künstlerin uns daran erinnern möchte, dass vieles im Leben auf Sand gebaut ist und nicht ewig währt? Oder wollte sie gar den Türmen in Manhattan ein Denkmal setzen?

Wer zur Vernissage am 20. 9. um 18 Uhr anreist, kann Sabine Isola befragen, denn sie wird anwesend sein,  neben Helmut Mair und zwei weiteren Künstlern, nämlich Patrick Hightower und Klaus Ludwig Weber. Der 1973 geborene Hightower ist der jüngste unter den Ateliergängern. Mittlerweile arbeitet er meist zuhause, kommt aber zum Gedankenaustausch regelmäßig ins Atelierhaus6. Er arbeitet mit Kreide, läßt oft die Körper von Mensch und Vögeln ineinander fließen. Er hat also seinen Stil ebenfalls gefunden: eine farbenfrohe Balance zwischen Konkret und Abstrakt. Für mich betonen seine Werke das Kreatürliche: Wir Menschen sind ein Teil der Natur, die wir allerdings selbst zerstören, den Ast absägen, auf dem wir sitzen.

Der 1959 geborene Klaus Ludwig Weber setzt seine utopischen Vorstellungen von sinnvoller Technik in Konstruktionszeichnungen um. Er versieht sie mit vielen detaillierten Erläuterungen in seiner Handschrift, so dass man sie getrost realisieren könnte. Ob er damit gegen die vielen sinnlosen Erfindungen opponieren will?

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Erfindungen, die das Leben nicht angenehmer machen, sondern nur via massiver Werbung die Kassen klingeln lassen? Auch die 1971 geborene Angie Beyer hat einen Klinikaufenthalt hinter sich und gehört zu den bislang 20 KünstlerInnen, die im Atelierhaus eine respektable künstlerische Entwicklung durchlaufen haben. Heute strahlen ihre Bilder, die mit Vogelwesen bevölkert sind, eine heitere  Atmosphäre aus.

DIE GEDENKSTÄTTE HADAMAR

Die Sonderausstellung verspricht also, zu einem anregenden hadamar2Kunstgenuss zu werden. Indem sie in der Gedenkstätte Hadamar gezeigt wird, mahnt sie zugleich die absolute Gleichwertigkeit aller Menschen mit oder ohne Handicap an. Was vor nur einem Menschenalter an diesem Ort geschah, darf sich nie wiederholen.  Am 13. Januar 1940 wurden 30 Insassen der Psychiatrischen Anstalt Eichberg in den berüchtigten grauen Bussen nach Hadamar gefahren. Damit begannen die „Euthanasie“-Morde auch in Hadamar, denen allein hier etwa 15000 Menschen zum Opfer fielen. Die Tötungsmaschinerie in der Psychiatrischen Anstalt Hadamar wurde als Gedenkstätte konserviert: Die große Holzgarage, von der die Menschen direkt aus den Bussen über einen Gang in das benachbarte Haus getrieben wurden. Die Zimmer, in denen sie ordentlich registriert wurden. Die 16 Treppenstufen in den Keller. Der Vergasungsraum. Ein Brennofen. Die namenlose Angst der Opfer können heutige Besucher nur ahnen, denn sie wissen, dass sie die 16 Stufen wieder hinaufsteigen werden. In der Dauerausstellung über die „Euthanasie“-Verbrechen der Nazis sieht man bestürzt ein Plakat mit einem kräftigen Arbeiter, der zwei Missgestalten schultert. Darunter steht: „Hier trägst Du mit. Ein Erbkranker kostet bis zur Erreichung des 60. Lebensjahrs im Durchschnitt 50000 RM.“ Gut, dass es den Obelisken oberhalb der Gedenkstätte mit dem Motto einer humanen Gesellschaft  gibt: „Mensch, achte den Menschen !“

Die Sonderausstellung mit Gemälden und Zeichnungen wird am 20. 9. um 18 Uhr in der Gedenkstätte Hadamar bei Limburg eröffnet und endet am 20. 11. 2016. Geöffnet ist sie Di – Do 9 bis 16 h, Fr 9 bis 13 h und jeden 1. und 3. So von 14 bis 17 h.

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