Georg Büchner

Neujahrsgruß des Flüchtlings

Der Neue Landbote verabschiedet das alte und begrüßt das neue mit den Worten eines berühmten Flüchtlings: Georg Büchner. Wir veröffentlichen zwei Briefe, die er Ende 1835 und Anfang 1936 aus dem Exil in Straßburg geschrieben hat.

Facetten eines Revolutionärs

Büchner musste flüchten, weil ihm als Verfasser der Flugschrift „Der hessische Landbote“ Kerker drohte. Er floh nach Straßburg und wollte von dort aus weiter in die Schweiz reisen. An den jüngeren Bruder schrieb er Ende 1835 einen liebevollen Neujahrsgruß. Wenige Tage später, am 1. Januar 1836, verfasste er einen Brief an die Familie, der eine Abrechnung mit den politischen Verhältnissen in seiner Heimat ist. Briefe, die unterschiedlicher nicht sein können, und uns die Facetten eines viel zu früh verstorbenen Schriftstellers zeigen. Büchners Briefe sind so lesenswert wie seine anderen Werke.
An Ludwig Büchner

(Straßburg, Ende Dezember 1835)

Prost Neujahr Hammelmaus!

Ich höre, dass du ein braver Junge bist, die Eltern haben ihre Freude an dir. Mache, dass es immer so sei! Es ist mir ein schönes Weihnachtsgeschenk, dies von dir zu hören. Du zeichnet nett, fahre so fort, Louis Jaeglé hatte große Freude daran und am Büchsenschlecker und da lässt er dir durch mich ein Buch mit Zeichnungen schicken. Da hast du etwas um dich zu üben. – Ist Lottchen Cellarius mit dir zufrieden? Wenn du in die Klavierstunde gehst, so sage der Fräulein Lottchen einen schönen Gruß von mir, aber sage um des Himmelswillen Niemand ein Wort davon.

Nächstes Jahr gehe ich in die Schweiz. Wenn du brav bist und etwas größer, als jetzt, so musst du Stock und Ranzen nehmen und mich besuchen. Erst gehst du auf das Straßburger Münster und dann gehen wir an den Rheinfall nach Schaffhausen und an den Vierwaldstätter-See nach der Tellenplatte und Tellskapelle. Adieu Mäuschen, ich denke du bist jetzt eine Maus und wenn du so fort machst, kannst du es noch weit bringen; ich hoffe, dass du für den grauen Biberrock jetzt zu groß bist.

Lebewohl

dein Bruder Georg

*

An die Familie

Straßburg, den 1. Januar 1836

(…) Ich muss lachen, wie Fromm und moralisch plötzlich unsere Regierungen werden; der König von Bayern lässt unsittliche Bücher verbieten! da darf er seine Biografie nicht erscheinen lassen, denn die wäre das Schmutzigste, was je geschrieben worden! Der Großherzog von Baden, erster Ritter vom doppelten Mopsdorden, macht sich zum Ritter vom heiligen Geist und lässt Gutzkow arretieren, und der liebe deutsche Michel glaubt, es geschähe Alles aus Religion und Christentum und klatscht in die Hände. (…)

Es ist der gewöhnlichste Kunstgriff, den großen Haufen auf seine Seite zu bekommen, wenn man mit recht vollen Backen: „unmoralisch!“ schreit. Übrigens gehört sehr viel Mut dazu, einen Schriftsteller anzugreifen, der von einem deutschen Gefängnis aus antworten soll. Gutzkow hat bisher einen edlen, kräftigen Charakter gezeigt, er hat Proben von großem Talent abgelegt; woher denn plötzlich das Geschrei? Es kommt mir vor, als stritte man sehr um das Reich von dieser Welt, während man sich stellt, als müsse man der heiligen Dreifaltigkeit das Leben retten. Gutzkow hat in seiner Sphäre mutig für die Freiheit gekämpft; man muss doch die Wenigen, welche noch aufrecht stehn und zu sprechen wagen, verstummen machen! Übrigens gehöre ich für meine Person keineswegs zu dem sogenannten Jungen Deutschland, der literarischen Partei Gutzkows und Heines. Nur ein völliges Misskennen unserer gesellschaftlichen Verhältnisse konnte die Leute glauben machen, dass durch die Tagesliteratur eine völlige Umgestaltung unserer religiösen und gesellschaftlichen Ideen möglich sei. Auch teile ich keineswegs ihre Meinung über die Ehe und das Christentum, aber ich ärgere mich doch, wenn Leute, die in der Praxis tausendfältig mehr gesündigt, als diese in der Theorie, gleich moralische Gesichter ziehn und den Stein auf ein jugendliches, tüchtiges Talent werfen. Ich gehe meinen Weg für mich und bleibe auf dem Felde des Dramas, das mit all diesen Streitfragen nichts zu tun hat; ich zeichne meine Charaktere, wie ich sie der Natur und der Geschichte angemessen halte, und lache über die Leute, welche mich für die Moralität oder Immoralität derselben verantwortlich machen wollen. Ich habe darüber meine eigenen Gedanken. (…)

Ich komme vom Christkindelmarkt, überall Haufen zerlumpter, frierender Kinder, die mit aufgerissenen Augen und traurigen Gesichtern vor den Herrlichkeiten aus Wasser und Mehl, Dreck und Goldpapier standen. Der Gedanke, dass für die meisten Menschen auch die armseligsten Genüsse und Freuden unerreichbare Kostbarkeiten sind, machte mich sehr bitter. (…)

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PS: Allen Landbote-Lesern, die selbst gerne berühmte Schriftsteller werden möchten, sei geraten: Schreibt Briefe. E-Mails sind zu kurzlebig.

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