Fotoausstellung in Giessen
Sie sind alt und überdies eine Frau? Nun, dann haben Sie gute Karten, übersehen und überhört zu werden. Schon deshalb ist die Fotoausstellung „Giessener Frauengeschichten“ so großartig. Sie porträtiert 12 Giessener Frauen jenseits der 70 in Lebensgröße und lässt sie in der ausliegenden Broschüre selbst zu Wort kommen. In ihr erzählen sie aus ihrem Leben, das sie trotz aller Tiefen mutig und stark meisterten. Jede der porträtierten alten Frauen fasst am Ende zusammen, was ihr in schwierigen Zeiten Mut machte. „Du bist stärker als Du denkst“ ist etwa das Fazit von Renate Giersch. Die Fotoausstellung ist Auftakt einer Veranstaltungsreihe, die an 100 Jahre Frauenwahlrecht erinnert. Realisiert wurde sie von den Fotografinnen Katrin Dammann und Mary Purdak, gemeinsam mit Friederike Stibane vom Büro für Frauen und Gleichberechtigung.
Selbstvertrauen ist wichtig
Renate Giersch, deren Foto als Aufmacher für die Ausstellung wirbt, landete durch einen Verkehrsunfall im Rollstuhl. Die lange Reha-Phase hielt sie tapfer durch, so dass sie nun ein wenig beweglicher ist. Sie wurde sogar künstlerisch aktiv. Mit ihrer Botschaft „Du bist stärker als Du denkst“ möchte sie anderen Frauen und natürlich auch Männern Mut machen.
Für Ida Wagner hat Selbstvertrauen ebenfalls einen hohen Stellenwert, das zeigt ihr Motto: „Akzeptiere Dich so wie Du bist, denn Du bist großartig“. Ein wichtiger Rat, denn viele Frauen, zumal im Alter, haben ihren niedrigen gesellschaftlichen Status verinnerlicht und achten ihren eigenen Wert gering. Frau Wagner stammt von den Philippinen, wo alte Menschen hoch geachtet sind. Als Lehrerin verliebte sie sich in einen Mann aus Giessen und lebt seitdem hier. Da musste es ihr besonders auffallen, dass von den Alten hierzulande wenig erwartet wird. Dabei engagieren sich die meisten der porträtierten 12 Frauen in ihrem gesellschaftlichen Umfeld. Frau Wagner selbst ist Vorsitzende der deutsch-philippinischen Gesellschaft.
Sogar die 92jährige Lore Kübler mischt sich noch immer mit Wahlaufrufen ein. Andere Porträtierte wenden sich gezielt an junge Frauen, die oft Komplexe wegen ihres Äußeren entwickeln. Die 1936 geborene Marianne Meyer etwa meint, dass ein offenes und lachendes Gesicht allemal schöner ist als ein nach den Vorstellungen der Kosmetikindustrie zurechtgemachtes. Sie wagte mit 58 Jahren, eine sichere Stelle aufzugeben, um in einem Bereich, für den ihr Herz schlug, neu zu starten.
Das 1918 errungene Frauenwahlrecht
Am 4. Mai war die Vernissage, und alle 12 Frauen waren erschienen, auch die wundervolle Lore Kübler mit ihren 92 Jahren.Vor der letzten Bundestagswahl hatte sie über youtube dazu aufgerufen, zahlreich wählen zu gehen und sich für eine der demokratischen Parteien zu entscheiden. Als die Frauen Anfang 1919 erstmals wählen durften, gingen noch 82,3 % von ihnen zur Wahl. Kein Wunder, war ihnen dieses Recht doch nicht in den Schoß gefallen. Im Jahr 1911 etwa, als die Finninnen bereits wählen durften, gingen zum Internationalen Frauentag am 19. März über 1 Million von ihnen auf die Straße und riefen: „Heraus mit dem Frauenwahlrecht!“ Erst in der jungen Weimarer Republik wurde es Gesetz. Was nicht bedeutet, dass eine Gleichstellung in allen Lebensbereichen erreicht wurde. Bis heute nicht, mit langem Atem wiederholen das die Frauen immer neu, so auch in der Veranstaltung am 7. Mai in Giessen.
Die Fotoausstellung läuft bis 31. Mai im Rathaus Giessen zu dessen Öffnungszeite. Eintritt frei. Während der Veranstaltung am 7. Mai 2018 um 19.30 Uhr im Levi-Saal des Rathauses referiert Professorin Dr. Meier-Gräwe zum Thema „100 Jahre Frauenwahlrecht, doch von Gleichstellung noch weit entfernt!“