Extrem-Tourismus

Luxus-Bedürfnisse ruinieren die Erde

Von Dietrich Jörn Weder

So vermessen auch die Tauchfahrt zur untergegangenen Titanic war, so können wir uns doch des Mitgefühls mit den untergegangenen Passagieren kaum erwehren. Aber unser Mitgefühl darf nicht über den ökologisch perversen Aberwitz solcher Unternehmen hinwegsehen. Der unbändige Drang reicher Menschen, in alle erreichbare Höhen aufzusteigen und in alle erreichbaren Tiefen hinabzutauchen – ob nun ins All, in die Tiefsee oder auf den Mount Everest – ruiniert den Planeten.

Jederzeit mit aller Welt verbunden sein

Medienkollegen haben diesem Streben bereits den Namen Extrem-Tourismus gegeben. Aber der beginnt auch schon mit Spaziergängen zwischen den Pinguinen auf der Antarktis, Eisbrecher-Fahrten zum Nordpol oder dem jährlichen Ferienflug zu anderen Kontinenten. Der Mann von Welt muss doch wenigstens einmal im Leben am sagenumwobenen Ayers Rock in Australien gewesen sein!

Was unsere Sommer heißer und heißer macht, hat zu einem wesentlichen Teil mit unserer Nachfrage nach Gütern und Diensten zu tun, die vor Jahrzehnten noch niemand kannte und gebraucht hat. Müssen wir wirklich im Gehen telefonieren, um ohne Zeitverzug von allen Welt- und häuslichen Ereignissen zu erfahren oder den Wein zu Hause kalt stellen zu lassen?

Erst mit der Vermarktung erster Mobiltelefone ab Mitte der 80er Jahre, erst durch Motorola in den USA und dann durch Nokia in Europa, ist dies zu einem Bedürfnis geworden, ohne dass sich die meisten Nutzer ihr Leben gar nicht mehr vorstellen können. Keine rechte Ahnung haben die meisten Handy-Dauernutzer und Computer-Freaks freilich von der ungeheuren Energiemenge, die diese Jederzeit-mit-aller-Welt-Kommunikation verschlingt. Mehrere hundert große Windräder müssen sich dauernd drehen, um allein die Datenströme durch die Frankfurter Rechenzentren fließen zu lassen.

Im Luftsprung an den Broadway

Als die Deutsche Lufthansa am 8.Juni 1955 zum ersten Mal nach dem Krieg von Hamburg über den Atlantik – mit Zwischenstopp in Shannon – nach New York flog, war die Tour mit 17 Stunden Dauer noch ein Reiseabenteuer und mit einem Retour-Preis von rund dreitausend Mark ein recht teures Vergnügen.

Heute gelangt man in der halben Zeit für weniger als die Hälfte des Geldes dahin, so dass sich manch einer nur für ein Ereignis am Broadway über den großen Teich katapultieren lässt. So kommt denn für das vergangene Jahr die unglaubliche Zahl von 4,3 Millionen in die USA fliegender Passagiere zusammen.

Deutscher Flugatlas: Je dunkler, je mehr deutsche Passagiere fliegen die Länder an. (Stabu)
Viel Geld schadet viel

Den Viel- und Weitreisenden wird überall ein einladender roter Teppich ausgerollt. Selbst die halbe Weltumrundung zum fünften Kontinent, nach Australien, hat die Gloriole des Außerordentlichen verloren, die sie einmal wegen der langen Schiffspassage und später wegen des hohen Flugpreises hatte. Viel gebuchte Standard-Safaris für Liebhaber der afrikanischen Tierwelt sind heute Exkursionen in die Serengeti oder den Krueger-Nationalpark, die vor 50 Jahren noch den Hauch von Wagnis und Abenteuer hatten.

Mit der nahezu ununterbrochen wachsenden Wirtschaft nimmt auch unsere Kaufkraft zu, die Erfinder und einfallsreiche Unternehmer in immer neue Verwendungen lenken. Mögen auch Millionäre und Milliardäre mit ihren extravaganten Konsumwünschen dabei als ungute Vorbilder vorangehen, wir, die nachfolgende große Zahl, machen daraus erst den Klimawandel und die Einbußen an Fauna und Flora. Tauchfahrten zur Titanic werden allerdings vorerst keine Nachahmer finden.

Vorgestrige Ökonomen erzählen immerfort ihr Ammenmärchen, dass es auch heute noch ein Wirtschaftswachstum ohne Schaden für die Umwelt gibt. Alle Erfahrung spricht dagegen. Viel Geld schadet viel.

Dr. rer. pol. Dietrich Jörn Weder war Jahrzehnte lang leitender Umweltredakteur und Fernsehkommentator des Hessischen Rundfunks. Seit seiner Pensionierung arbeitet er als freier Autor für Print- und Audiomedien. Er betreibt den Blog Wachposten Frankfurt, auf dem er Kommentare zu aktuellen Themen veröffentlicht. Wachposten

Titelbild: Die einen leisten sich Reisen ins Weltall, andere teure Tauchfahrten tief hinab ins Meer.

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