Biologe für stärkere Regulierung
Von Michael Schlag
Der Wolf siedelt sich wieder in Hessen an und Weidetierhalter, insbesondere die Schäfer fordern: Der Wolf dürfe sich nicht unkontrolliert ausbreiten, man brauche Grenzen. Argumentationshilfen für die Betroffenen gab es vergangene Woche von dem Biologen Hans-Dieter Pfannenstiel, ehemaliger Professor für Zoologie an der Freien Universität Berlin. Pfannenstiel kam auf Einladung der Jägervereinigung Oberhessen nach Grünberg.„Keine bedrohte Tierart“
Stimmt es eigentlich, dass der Wolf gefährdet ist und deshalb den höchsten Artenschutz braucht? Der Biologie verneint das vehement: „Der Wolf ist überhaupt keine bedrohte Tierart“, sagt Pfannenstiel, ganz im Gegenteil: „Er ist eines der am weitesten verbreiteten Säugetiere.“ Die Art war selbst dann nicht bedroht, als es in Deutschland lange Zeit keine Wölfe gab. Denn alle Wölfe Europas bildeten mit ihren verschiedenen Siedlungsgebieten eine gemeinsame sogenannte „Metapopulation“. Das bedeutet: Alle können sich miteinander kreuzen – und das tun sie auch. Mit Sendern ausgerüstete Wölfe hätten längst nachgewiesen: In erstaunlich kurzer Zeit „wandert er von der Lausitz nach Weißrussland und zurück.“ Die FFH-Richtlinie der Europäischen Union (Flora-Fauna-Habitat) fordert nun einen günstigen Erhaltungszustand von Populationen, in dem „eine Art in qualitativer und quantitativer Hinsicht gut gedeiht und gute Aussichten bestehen, dass dies auch in Zukunft so bleibt“, so die Definition. Pfannenstiel interpretiert das so: In seinem gesamten Verbreitungsgebiet in Europa „ist der Wolf schon längst in einem günstigen Erhaltungszustand“, deshalb müsse man nicht jeden lokalen Bestand – wie den in Deutschland – vollständig unter den strengsten Schutz stellen. Mithin gebe es keinen Grund, warum der Wolf in Deutschland und damit auch in Hessen in der höchsten Schutzstufe (sog. Anhang IV) des Artenschutzes steht, was jede Jagd verbietet. Dies sei „reine Willkür, die mit Biologie nichts zu tun hat“, sagt Pfannenstiel, Anhang V dagegen bedeutet: Ein Wild kann regulär bejagt werden und „da muss der Wolf auch hin.“
„Alle drei Jahre verdoppelt sich der Bestand“
Pfannenstiel sieht in der derzeit ungehemmten Ausbreitung des Wolfes in Deutschland eine dramatische Entwicklung. Im Grunde sei der Zuzug von Wölfen nach Deutschland ja überhaupt nichts Neues: „Es gab immer Einwanderung von Osten über die Oder-Neiße-Grenze, aber in der DDR wurde der Wolf erlegt, weil man ihn in der Kulturlandschaft nicht wollte.“ Mit der Wiedervereinigung aber stand der Wolf im ganzen Land unter Schutz und seiner Ansiedlung nichts mehr im Wege. Für den Wolf bot sich hier sogar eine Art Schlaraffenland, er fand einen hohen Bestand an Schalenwild und „der Wolf weiß gar nicht, wo er anfangen soll zu fressen“.
Um 2008 setzte dann der exponentielle Anstieg der Wolfspopulationen ein: Aus den damals etwa 10 Rudeln und Paaren sind bis heute über 130 geworden, parallel dazu stieg die Zahl der Übergriffe auf Nutztiere, zu 86 % trifft es Schafe und Ziegen und „alle drei Jahre verdoppelt sich der Bestand.“ Heute, so berichtete es Pfannenstiel, vermehren sich die Wölfe in 100 Territorien mit derzeit fast 400 Welpen und er rechnet bis Ende dieses Jahres mit einer Population von 1000 Wölfen in Deutschland.
Schüsse locken Wölfe eher an
Welche Auswirkungen hat das auf die natürlichen Habitate? Pfannenstiel nannte Zahlen für das Damwild im Baruther Urstromtal in Brandenburg: Noch Anfang der 2000er Jahre gab es Reduktionsabschüsse nach Hegerichtlinie. Infolge der Ansiedlung des Wolfes ging die Damwildstrecke dann ab 2014 massiv zurück, auf etwa ein Viertel der früheren Jahre und „in ganz Brandenburg geht es steil bergab.“ Bei Muffelwild im Landkreis Görlitz gingen die Streckenzahlen von früher 200 auf heute gegen Null. Die Folgen bekämen auch die Schäfer zu spüren, denn wenn das Vorkommen von Damwild sinkt, „dann steigt der Druck auf die Weidetiere.“
Die Annahme, Wölfe hätten eine natürliche Scheu und würden sich Menschen nicht nähern, hätte sich als falsch erwiesen. Richtig sei: „Wir müssen ihnen die Scheu anerziehen, und zwar durch Bejagung.“ So aber ließe sich der Wolf nicht einmal durch Schreckschüsse vertreiben, es sei sogar das Gegenteil zu beobachten. Schüsse lockten Wölfe eher an, weil sie sich bei einer Jagd leichte Beute erhofften, für sie selbst sind die Jäger ja keine Gefahr. Gänzlich absurd werde es, wenn ein verwundeter oder hilfloser Wolf aufgefunden wird. Dann komme ein Meldesystem durch die Zuständigkeiten in Gang, es sei „der reine Wahnsinn“. Pfannenstiel berichtete, einmal habe man den Berliner Ring gesperrt, weil ein verwundeter Wolf auf dem Mittelstreifen lag. Nach drei Stunden schließlich habe ein Tierarzt den Wolf einschläfern dürfen, „ein Jäger hätte das Notwendige in einer Sekunde erledigt.“ Und das alles für ein Tier, dessen Art – betrachtet man es für ganz Europa – gar nicht gefährdet sei.
Andere EU-Staaten hätten bereits bessere Lösungen gefunden, Pfannenstiel nannte insbesondere die drei baltischen Länder. Hier ist der Wolf in der Kategorie V eingestuft und „die jagen pro Jahr etwa 300 Wölfe, völlig planmäßig.“ Allein in Estland werden um 100 Wölfe pro Jahr erlegt; die Zahl der Wolfsrudel bleibt dabei konstant, was zeige: „Die planmäßige Bejagung schadet dem Wolf als Art überhaupt nicht.“ Auch andere Länder haben Grenzen ihrer Wolfsbestände festgelegt, für Frankreich etwa gelten 500 Wölfe, für Schweden 300. Auch die Bundesregierung müsse endlich nach Brüssel melden, dass der Wolf in Deutschland den günstigen Erhaltungszustand erreicht hat. Dann könne er von der Schutzkategorie IV nach Kategorie V wechseln und anschließend dem Jagdrecht unterliegen.