Demokratischer Aufbruch

Blick auf menschenfeindliche Regime

„Hinschauen: Demokratischer Aufbruch in vergessenen Regionen!“ ist das Thema einer vierteiligen Film,- und Vortragsreihe im Junity in Friedberg, die von der Antifaschistischen Bildungsinitiative (Antifa-BI) organisiert wurde. Die Reihe startet am 27. November 2022 und blickt auf brutale Diktaturen außerhalb Europas.

Deutsche Hilfe für Diktaturen

„Während ganz Deutschland gebannt auf den Ukrainekrieg blickt, erinnern die mutigen Proteste im Iran daran, dass es auch außerhalb Europas brutal vorgehende, frauen- und minderheitenfeindliche Regime gibt“, schreibt die Antifa-BI in der Ankündigung der Reihe. Vielen sei nicht bekannt, dass sich diese Staaten auf politische und wirtschaftliche Hilfe deutscher Firmen, Politiker und Parteien stützen. „Wer hat mitbekommen, dass ein deutscher Politiker Wahlergebnisse eines anderen Landes annulliert hat, deutsche Banken über die Wahl von Rechtsextremisten jubelten, deutsche Behörden von Geflüchteten verlangen, sich in die Hände ihrer Verfolger zu begeben, deutsche High-Tech-Firmen Technik lieferten mit deren Hilfe Akteure und Akteurinnen überwacht und verfolgt werden?“, fragt die Antifa-BI. Mit ihrer Vortragsreihe will sie einen Blick auf einige dieser Regionen werfen und erklären, wie aufgeklärte, emanzipatorische Politik vor Ort aussieht. „Die Vorträge beschreiben daher zunächst die agierenden Kräfte und anschließend deren deutsche Beteiligung, um sich der Antwort zu nähern, welches die demokratischen Akteure und Akteurinnen sind, wofür sie kämpfen und wie sie unterstützt werden können“, erläutert die Antifa-BI.

Der lange Arm der Mullahs


Die Reihe startet mit dem Vortrag „Der lange Arm der Mullahs – Irans Einfluss in Deutschland“ am Sonntag, 27. November um 15 Uhr. Nach dem die iranische Kurdin Jina Amini im September an den Folgen der Misshandlungen durch die Moralpolizei starb, begann in Iran eine Protestwelle bisher ungekannten Ausmaßes: Hundertausende Iraner fordern seither trotz massiver Repression das Ende der „Islamischen Republik“. Die schiitische Theokratie unterdrückt nicht nur brutal alle Freiheitsbestrebungen im Inneren, sondern hat – besonders nach dem weitgehenden Wegfall der Sanktionen im Zuge des Abschlusses des sogenanntn „Atom-Deals“ 2015 – ein massives Expansionsprogramm in der Region gestartet. Nicht nur unzählige Iraner haben deswegen ihre Heimat verlassen müssen, auch die Flucht vieler Syrer, Iraker und Kurd ist die Folge ihrer Politik.

Doch der lange Arm der Mullahs reicht auch bis nach Deutschland. Dass Menschen selbst im Ausland nicht vor dem Regime sicher sind, ist keine Seltenheit. Iran unterhält ein internationales Netzwerk von Gruppen und Organisationen, die versuchen in den jeweiligen Gesellschaften Einfluss zu nehmen und gleichzeitig Geflüchtete und Oppositionelle unter Druck setzen und bedrohen. Bijan Hassan Pour-Razavi wird seinen im kürzlich veröffentlichten Sammelband „Endlich in Sicherheit? Bedrohung von Geflüchteten in Deutschland durch transnationale Netzwerke“ erschienenen Beitrag vorstellen und einen Überblick über (pro)iranische Netzwerke in Deutschland geben. Der Band wird außerdem von der Herausgeberin Randi Becker vorgestellt werden. Bijan Hassan Pour-Razavi hat Politik und Geschichte studiert und arbeitet im Kompetenznetzwerk Antisemitismus sowie freiberuflich in der politischen Bildung vornehmlich zu Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus. Er gehörte zu den Mitgründern des Vereins an.ge.kommen e.V. in Gießen und leitete dort mehrere Jahre die Unterstützungssprechstunden und Begleitungen für Geflüchtete. Mit der Green Party of Iran und der Initiative „Free Iran Now“ Kassel setzt er sich für die Aufklärung über die Situation in Iran ein.

Film „Persepolis“

Der Film „Persepolis“ ist am Mittwoch, 30. November, um 18.30 Uhr zu sehen. Basierend auf den gleichnamigen, kultverdächtigen Comic-Romanen, handelt der Film von der Lebensgeschichte der jungen Iranerin Marjane Satrapi und wirft zugleich eine humorvolle und sehr kritische Betrachtung auf die jüngste Historie Persiens. Marjane ist acht Jahre alt, als der Schah aus dem Iran vertrieben wird und die Mullahs die Macht an sich reißen. Fortschritt und Freiheit bleiben auf der Strecke, als im Zuge der Islamischen Revolution Tausende im Gefängnis landen und Frauen gezwungen werden Kopftücher zu tragen. Doch die rebellische Marjane denkt gar nicht daran, sich dem rigiden Regelwerk zu unterwerfen. Viel lieber entdeckt sie Punk, ABBA und Iron Maiden und macht erste Erfahrungen mit Jungs. Sie ahnt nicht, dass ihr spielerischer Protest gefährlich ist – nicht nur für sie selbst, sondern auch für ihre Familie. Doch spiegeln sich in ihrer kindlichen Naivität auch die Hoffnungen des ganzen Volkes. Als ihr Onkel wegen seiner kommunistischen Vergangenheit von den neuen Machthabern hingerichtet wird und Teheran im Golfkrieg gegen den Irak bombardiert wird, beschließen Marjanes Eltern, sie ins Lycée Français de Vienne nach Österreich zu schicken. Der Film hat mehrere Filmpreise gewonnen, unter anderem den Preis der Jury bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes, bei denen Persepolis uraufgeführt wurde. Stilistisch sind Comic und Film von dem US-amerikanischen Zeichner Art Spiegelman und seinem bekanntesten Werk Maus geprägt.

https://www.youtube.com/watch?v=tJzA334RfFE
Im Balkan nichts Neues

Mit dem Vortrag „Im Balkan nichts Neues“ wird die Reihe am Freitag, 2. Dezember, um 18 Uhr fortgesetzt. „Demokratie, die. Substantiv, feminin. Politisches Prinzip, nach dem das Volk durch freie Wahlen an der Machtausübung im Staat teilhat. Regierungssystem, in dem die vom Volk gewählten Vertreter die Herrschaft ausüben.“ – das sagt zumindest der Duden. Demokratie als Staatsräson gilt als des Westens höchstes Gut. Und doch scheinen EU, und Deutschland im Besonderen, manche Demokratien für mündiger als andere zu halten; Staaten als souveräner als andere. Was passiert eigentlich, wenn westlicher Paternalismus und vermeintliche Pulverfässer aufeinandertreffen? Der Südwestbalkan könnte hierzu einiges berichten – nur seit 30 Jahren wenig Neues. Höchste Zeit, sich diese nur vage definierbare Region näher anzusehen und westliche Einflüsse kritisch zu hinterfragen. Die Refentin Pina Heinen studierte Soziologie und Gender Studies in Frankfurt. Dort schloss sie ihr Studium mit einer empirischen Untersuchung über Geschichtsmythen im kroatischen Bildungssystem ab. Daneben ist sie für die Jugendbildung der BS Anne Frank zuständig und referiert zu Themen wie Antifeminismus, Antisemitismus und Autoritarismus mit den Schwerpunkten Popkultur, Internet und Südosteuropa.

Brasiliens Zerreißprobe

Ana Graça Correia Wittkowski referiert schließlich am Freitag, 9. Dezember, um 18 Uhr über „Brasiliens Zerreißprobe – Klima und Demokratie“. Als das größte Land in Lateinamerika ist Brasilien auch eine der größten Demokratien der Welt. Das Erbe des Kolonialismus spielt dennoch eine große Rolle in der brasilianischen Politik und ist auch ein Grund für den Zerfall der Demokratie durch die Ausbreitung von religiöser Intoleranz und Diskriminierungen. Das zeigt sich sowohl in den Favelas, als auch den Verheerungen durch die Coronapandemie und den Auseinandersetzungen um die Präsidentschaft, in der totgeglaubte Ideologien wieder Morgenluft witterten und sich anschicken den Staat an sich zu reißen. Doch: Die Zivilgesellschaft ist nicht ohnmächtig, sondern zeigte bei mehr als einer Gelegenheit, dass sie bereit ist, erkämpfte Erfolge zu verteidigen und begonnene Kämpfe zu gewinnen.“ Die Referentin Ana Graça Correia Wittkowski studierte portugiesische Sprache und Literatur in Brasilien und Ethnologie und Lusitanistik in
Mainz. Seit 2015 ist sie Interkulturelle Pädagogische Fachkraft und seit 2018 Elternbegleiterin/Beraterin. Außerdem arbeitet sie als Referentin zu Themen wie Kolonialismus und Diskriminierungsformen und ist Gründerin des deutsch-brasilianischen Kulturvereins BrasilNilê
e.V.. Vor Kurzem hat sie mit dem Schwarze Frauen Kollektiv das Buch „Wo wir sprechen“ von Djamila Ribeiro auf Deutsch herausgegeben.

Alle Veranstaltungen sind im Jugendzentrum „Junity“ in der Burgfeldstraße 19, 61169 Friedberg. Die Veranstalter behalten sich gem. § 6 VersG vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die neonazistischen Organisationen angehören oder der extremen rechten Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch antisemitische, rassistische oder nationalistische Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren.

Titelbild: Szene aus dem Zeichentrickfilm „Persepolis“

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