Russische Soldaten am Telefon
von Michael Schlag
Der ukrainische Geheimdienst hat Tausende Telefongespräche russischer Soldaten abgehört. Diese Anrufe von der Front nach Hause sind ein grauenhaftes Zeugnis des Krieges.In aller Rohheit
Zu den Mitschnitten der Telefongespräche stellt die Filmemacherin Oksana Karpovych die Bilder der Zerstörung in der Ukraine, angerichtet von eben diesen Soldaten, meist ganz junge Männer. Sie standen bei der Invasion an vorderster Front, auf der Tonspur hört man, was die Angreifer ihren Familien über den Alltag im Krieg berichten. Man erfährt ihre Sicht ungefiltert und authentisch in all ihrer Rohheit. Dazu sieht man Alltagszenen der ukrainischen Bevölkerung, wie sie versucht, dem täglichen Terror standzuhalten und trotz allem ein halbwegs normales Leben zu führen – während im Hintergrund ein russischer Soldat seiner Mutter erzählt, wie sie Wohnungen und Geschäfte plündern: „Ich habe Parfum geklaut und Sneaker Größe 38“. – „Guter Junge, nimm mit, was Du kannst“.
Und die jungen russischen Soldaten selber? Man hat den Eindruck, sie wissen überhaupt nicht, was sie hier sollen. Ihre Stimmen sind oft angespannt, sie pendeln zwischen Propaganda und völliger Desillusionierung, zusätzlich aufgehetzt von ihren Verwandten in der Heimat. Der Film zeigt das ganze Ausmaß der russischen Aggression als menschliche Tragödien. Mancher hierzulande nimmt den Ukrainekrieg bei all den täglichen Nachrichten ja nur noch am Rande wahr. Wenn man diesen Film 90 Minuten ertragen hat, weiß man wieder aus erster Hand, was für ein Verbrechen gerade in der Ukraine geschieht.
Abgehört, ARTE France 2024
In der Arte Mediathek verfügbar bis 8. Januar 2025 arte.tv/de/videos