Rüstungsausgaben steigen
Von Ursula Wöll
Die USA allein geben so viel fürs Militär aus wie die 10 folgenden Länder zusammen, einschließlich Russland und China. Für das laufende Jahr sind es 690 Milliarden Dollar, für 2019 sollen es 26 Milliarden m e h r sein. Auch unser Wehretat wird ansteigen, von 39,5 auf etwa 41,5 Milliarden Euro. Eine Kürzung dieser gewaltigen Ausgaben könnte dem Klimaschutz zugute kommen und weltweit eine Spirale der Abrüstung in Gang setzen. Dagegen führen immer höhere Summen unweigerlich zu einem Wettrüsten und zu mehr Krieg. Am 1. September 2018, dem Antikriegstag, werden Menschen auf zahlreichen Veranstaltungen für Abrüstung demonstrieren. In Darmstadt erinnern sie überdies an die Deserteure der Hitler-Wehrmacht. Das Denkmal „Der unbekannte Deserteur“ wird an einem neuen Ort installiert, damit es andere Passanten erreicht.
Deserteure – Der lange Weg der Rehabilitierung
Am 1. September 1939 überfiel die Hitler-Wehrmacht Polen. Mit einer Lüge rechtfertigte der Diktator den Überfall. Mit ihm begann der Zweite Weltkrieg, der 55 Millionen Menschen das Leben kostete. Auch das meines Vaters. Meine Mutter erzählte, dass er als Soldat an Weihnachten 1944 Urlaub hatte. Ich war ein Baby und krank, so dass der Arzt ins Haus kam. Er beschwor meinen Vater; „Der Krieg ist bald aus, verstecken Sie sich!“ Ein mutiger Mensch, denn allein so ein Satz hätte ihn den Kopf kosten können. Mein Vater jedoch fuhr in Richtung Ostfront, kam nur noch bis Posen und fiel. Ich weiß nicht, wie ich an seiner Stelle gehandelt hätte. Auf Desertion stand ja die Todesstrafe. Im Zweiten Weltkrieg wurden 23000 Deserteure von der NS-Militärjustiz zum Tode verurteilt und geköpft, erhängt oder erschossen. 4000 als Deserteure Verurteilte überlebten das Kriegsende. Zu ihnen gehört der 1921 geborene Ludwig Baumann, der als der letzte noch lebende Deserteur vor wenigen Wochen verstarb.
In seiner Autobiografie „Niemals gegen das Gewissen“ schildert er seine Desertion, die ihm 10 Monate an Händen und Füßen gefesselt in einer Todeszelle einbrachte. Er erinnert sich auch, wie scheel Deserteure noch nach 1945 angesehen wurden. Während die Offiziere des 20. Juli seit Mitte der 50iger Jahre endlich als militärische Widerständler gefeiert wurden, blieben der Mut der einfachen Soldaten noch lange unbeachtet. Ja, sie wurden weiter als Fahnenflüchtlinge oder Vaterlandsverräter stigmatisiert, und sie blieben vorbestraft. Während es der NS-Marinerichter Filbinger trotz seiner Todesurteile zum Ministerpräsidenten brachte, mussten Leute wie Baumann lange um eine kleine Wiedergutmachung kämpfen. Erst 2002 rehabilitierte der Bundestag die Deserteure des 2. Weltkriegs mit der Erweiterung des Gesetzes von 1998 zur Aufhebung der NS-Unrechtsurteile.
Erste Deserteur-Denkmale
2009 wurde dann in Köln ein erstes Deserteur-Denkmal im öffentlichen Raum errichtet, und zwar am zentral gelegenen Appellhofplatz. Es hat die Form einer Pergola von 8 mal 4 Metern. Um die Schrift zu lesen, muss man nach oben in den Himmel blicken. Die bunten Buchstaben sind eine Hommage an die Soldaten, die sich weigerten zu schießen, zu töten. zu foltern, zu denunzieren und an alle, „die Solidarität und Zivilcourage zeigten, als die Mehrheit schwieg und folgte“. 2012 beschloss dann die Hamburger Bürgerschaft (das Parlament) einstimmig, den Deserteuren ein Denkmal zu setzen. Es wurde 2015 am Dammtorplatz eingeweiht. Das dreieckige Gehäuse ist ebenfalls filigran und transparent. Es besteht aus Buchstaben, die Sätze aus Helmut Heißenbüttels ‚Deutschland 1944‘ formen. Eine Wand listet die 227 bekannten Hamburger Opfer der NS-Wehrmachtsjustiz auf. Bonn dagegen wollte eine Skulptur aus weißem Carrara-Marmor nicht aufstellen, man gab sie an die Partnerstadt Potsdam. Ihre Inschrift zitiert ein Gedicht Tucholskys von 1925: „Uns fehlen andere Tafeln / uns fehlt diese eine / Hier lebte ein Mann / der sich geweigert hat / auf seine Mitmenschen zu schießen / Ehre seinem Andenken.“ Der Weg war also lang, bis die Deserteure positiv in das kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik eingingen. Das war in früheren Zeiten anders.
Historischer Exkurs
Damals halfen die Einwohner den Deserteuren weiter, auch wenn solche Unterstützung hart bestraft wurde. Alle hatten sie selbst zum Militär gepresste Söhne, denn nicht nur die absolutistischen Herrscher in Kassel und Hanau, sondern auch in Braunschweig, Waldeck, Ansbach oder Zerbst „vermieteten“ ihre Soldaten an England, um ihr Luxusleben zu finanzieren. Die Unglücklichen wurden von Porthmouth aus über den Atlantik gesegelt. Allein das dauerte meist über drei Monate und machte viele krank. Dann mussten sie für England im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg von 1776 bis 1783 kämpfen. Damals hatte die Grafschaft Hanau 11500 Untertanen, doch der Erbprinz unterhielt 2400 Soldaten, weil sie ihm gutes Geld brachten.
Um die Gelegenheiten zum Desertieren gering zu halten, wurden viele der ins Heer gepressten Männer auf Schiffen über Main und Rhein nach Holland befördert. Der Landweg in Richtung Bremen war einfacher, aber mit hohen Verlusten verbunden. Und das, obwohl auf Desertion ‚Gassenlaufen‘ oder Erhängen stand. Am 24. März 1777 etwa schreibt der englische Aufkäufer Faucitt aus Bremenlehe: „Die Gräben der Stadt sind gefroren, es ist also große Gefahr der Desertion vorhanden“. Immer wieder berichten Offiziere an ihre Fürsten, dass Soldaten entwichen, trotz einer beidseitigen Eskorte auf dem Marsch, die besondere Treueprämien erhielt. Damals rissen die durch Werber zu den Waffen gepressten Bauernsöhne wohl weniger aus, weil sie die Unabhängigkeit der amerikanischen Kolonien gut fanden. Sie wollten heimkehren, um ihre Felder zu bestellen.
Das Darmstädter Deserteurs-Denkmal
Bereits 1987 installierten die 25 Mitglieder der Gruppe ‚Reservisten verweigern‘ und die Darmstädter ‚Friedenshetzer‘ ein Denkmal mit der Aufschrift „Dem unbekannten Deserteur“. Anfangs stand es auf privatem Grund, und zwar im Garten der Martinsgemeinde. 1989 zog es in die Lautenschlägerstraße um, also in einen öffentlichen Bereich. Dort ist es rechts neben der Georg-Büchner-Buchhandlung bis heute zu sehen. Es besteht aus zwei Stahlplatten von 1,20 x 0,80 Metern und zeigt oben fünf salutierende Soldaten, darunter die Widmung. Unbekannte haben es mit Graffiti „verschönert“. Die Denkmalgestaltung finde ich wenig aussagekräftig. Wäre da nicht die Widmung, würde ich es missverstehen. Doch die Absicht, durch Anbringung an verschiedenen Orten mehr Passanten zu erreichen, gleicht dieses Manko wieder aus. Am Antikriegstag, dem 1. September nun wird das Denkmal nach einer Demonstration an einem neuen Ort angebracht, und zwar auf dem Hiroshima-Nagasaki-Platz.
Die Demonstration beginnt am 1. September um 14 h am Luisenplatz. Sie geht über Karolinenplatz, Marktplatz, Ludwigsplatz, Kapellplatz zum Hiroshima-Nagasakiplatz, wo gegen 17 Uhr das Denkmal neu eingeweiht wird. Am Vorabend, 31.8., um 19.30 Uhr, wird Erich Schaffner im Theater HoffART, Lautenschlägerstraße, Lieder und Texte gegen Krieg und Militarismus vortragen (Eintritt frei, Spenden erwünscht)
Weitere Termine: friedenskooperative.de
Ein sehr wichtiger Tag ! Deserteur ist nicht das beste Wort, denn es ist vom Standpunkt des Militärs aus gesehen! Besser ist Flüchtling vom Militär. Wahren Helden.