Biotop statt Mülldeponie
Wildbienen schweben summend von Blüte zu Blüte, wo vor Jahren noch Spezial-Planierraupen abgelagerten Müll verdichteten. Wenn es nach dem Willen von Thomas Euler geht, wird diese kleine biodiverse Vision auf der ehemaligen Kreisabfalldeponie in Gießen-Allendorf/Lahn im Frühjahr 2021 bereits Realität.Stadtteil litt unter der Deponie
Der langjährige Ortsvorsteher treibt das Artenvielfalt-Projekt voran, den hohen Hügel in eine Wildblumenwiese zu verwandeln. Nachdem der Kreistag sich per Beschluss dafür ausgesprochen hat, übergab nun Hans-Peter Stock als hauptamtlicher Kreisbeigeordneter und beim Landkreis verantwortlich für Abfallwirtschaft den Antrag an Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich. Demnach soll die finale Rekultivierungsplanung für das Projekt geändert werden. Das Regierungspräsidium Gießen (RP) ist letztlich für die Genehmigung zuständig, erläutert die Pressestelle der Behörde.
„Allendorf hat früher schon unter der Deponie gelitten“, berichtet Thomas Euler auf dem Aussichtsgipfel mit herrlicher Weitsicht über Mittelhessen, trotz trübem Herbstwetter. Oft hatte es während der Zeit des aktiven Betriebes von der offenen Halde herüber gestunken; Plastikmüll blies der Westwind bis in den Ort und die Straßen des Gießener Stadtteils wurden durch die schweren Müllfahrzeuge beschädigt – bis zur Schließung vor 27 Jahren. Heute ist alles fachgerecht abgedichtet und begrünt. An die Deponie erinnern nur noch über den Hügel verteilte Gasbrunnen sowie ein Zaun. Die Kreisverwaltung als Deponiebetreiber und das RP Gießen als abfallrechtliche Überwachungsbehörde kontrollieren die stillgelegte Deponie. Vier Sitzbänke und vier Schautafeln vom „Rundwanderweg Allendorf/Lahn“ weisen stattdessen auf dem Aussichtsgipfel in alle Himmelsrichtungen – ebenfalls ein früheres Projekt, das der langjährige Ortsvorsteher vorangetrieben hatte. „Wir wollten als Ortsgemeinschaft auch den Rekultivierungsplan mitgestalten.“
Hilfe für die Insekten
Dass das Vorhaben „Wildblumenwiese“ realistisch ist, zeigt eine kleine Anschauungswiese, die von Ortsbeirat, Vereinsgemeinschaft, Grundschule und NABU im Mai 2019 auf dem öffentlich zugänglichen Bereich der Deponie eingesät worden ist. Die Freiwillige Feuerwehr hatte die Bewässerung übernommen. Die Versuchsfläche inklusive Informationstafeln und einem Insektenhotel hatte der Landkreis und das RP Gießen zuvor genehmigt. Mit Erfolg, denn die wilden Insekten nahmen Speiseangebot wie Frühblüher, Sonnenblumen, Lavendel, oder Löwenzahn dankbar an.

„Das Insektensterben und auch das Vogelsterben hat mittlerweile ein Maß erreicht, das uns alle aufrütteln muss“, erklärt Thomas Euler. In diesem Fall gibt es aus seiner Sicht nur Gewinner: „Den Bienen wird geholfen, der Blick vom Aussichtsgipfel wird nicht beeinträchtigt und von unten sieht es sicher auch wunderschön aus .“8,5 Hektar – also rund zwölf Fußballfelder – voll mit Blütenpracht, wo ansonsten eine stillgelegte Fläche ist: Eine Idee, die aus Sicht des Artenschutzes verlockend ist. „Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihre Verwaltung dieses Projekt unterstützen könnte“, sagt der Abfalldezernent Hans-Peter Stock während der Übergabe der Antragsunterlagen. Dabei erläutert er auch das Mähkonzept, das zwischen Juli und Ende September pausiert: „In der Zeit hat die Natur genügend Zeit, Samen zu verbreiten.“
Idee findet große Resonanz
Die Initiative der Ortsgemeinschaft stößt bei Regierungspräsident Ullrich auf offene Ohren, denn seine Verwaltung ist sowohl die Aufsichtsbehörde für die frühere Kreisdeponie als auch die Obere Naturschutzbehörde. „Zunächst einmal bedanke ich mich für das Engagement aller Beteiligten“, sagt er. „Auch bei uns im Regierungspräsidium spielt das Thema Biodiversität eine sehr große Rolle.“ In der Nachsorge, ja selbst stillgelegt sind Mülldeponien jedoch weiterhin an strenge rechtliche Voraussetzungen gebunden. „Wir werden das prüfen und wenn dem nichts entgegensteht, wird dieses vorbildliche Projekt von uns befürwortet und ermöglicht.“ Am Ende des Ortstermins trägt Thomas Euler noch einen lang gehegten Wunsch vor: Die hölzernen Zaunpfosten im Aussichtsbereich sollten – wenn möglich – um 30 Zentimeter gekürzt werden: „Dann würde der Stacheldraht wegfallen, der hat etwas Bedrohliches und die Gäste auf dem Allendorfer Aussichtsgipfel sollen sich ja nicht bedroht, sondern wohl fühlen.“
Titelbild: Mülldeponien sind oft mit Umweltbelastungen für die Nachbarschaft verbunden. So war es auch in Allendorf. (Symbolfoto: Wikipedia, Ropable)