Ausstellung über den Mathematiker
von Jörg-Peter Schmidt
In den kommenden Monaten wird die Ausstellung in Gießen, die den Maler Albrecht Dürer (1471 – 1528) als Mathematiker vorstellt, großes Interesse verzeichnen. Bereits bei der Eröffnung fanden sich im Mathematikum in der Liebigstraße zahlreiche Besucher ein. Einige von ihnen wagten sich gleich an die spannenden Experimente an den „Basteltischen“, die Professor Albrecht Beutelspacher zusammen mit seinen Mitarbeitern auf der Basis der Veröffentlichungen des Künstlers und Wissenschaftlers über Mathematik initiiert haben.Für die Ausstellung im Rahmen des 550. Geburtstag des einstigen hochbegabten Allrounders wurde der deutsch-fanzösische Fernsehsender arte als Medienpartner gewonnen, berichtete Beutelspacher. Der Gründer und Leiter des seit 19 Jahren bestehenden Mitmachmuseums unterstrich: Zwar ist Dürer als Maler, Zeichner und Grafiker weltbekannt und geschätzt; dass er hervorragende Kenntnisse beispielsweise in der Geometrie hatte, ist nicht überall bekannt.
Rätselhafter Stich „Melencolia“
Die Schautafeln, Abbildungen und Tische mit Anleitungen zum Experimentieren bieten den Gästen des Mathematikums, sich auf die Spuren der mathematischen Fähigkeiten und Erkenntnisse Dürers zu begeben: Beispielsweise, indem man sich die Abbildung des rätselhaften Kupferstichs mit dem Titel „Melencolia I“ aus dem Jahr 1514 anschaut.
Besonders Magisches Quadrat
Auf dem mit vielen Symbolen versehenen Bild sieht man eine verträumt, nachdenklich anmutende Gestalt mit Flügeln, die einem Engel gleicht. Neben ihr sitzen ein Knabe und ein Hund. Dürer hat in sein Bild noch Gegenstände des Handwerks und der Kunst eingestreut, aber auch Mathematisches hineingepackt.
Tafeln unter der Kopie des Stichs beschreiben, was man als Betrachter vielleicht nicht auf den ersten Blick sieht: beispielsweise einen Zirkel, eine Kugel als Modell für den perfekten geometrischen Körper. Und ein Magisches Quadrat: Hier ist die Summe der Zahlen aller Zeilen, der Diagonalen, der Spalten, Quadranten und Ecken gleich. In diesem Fall handelt es sich um die 34. Zudem ist die Jahreszahl 1514 eingebaut, in der ja das weltberühmte Werk entstand. Auch sieht man auf dem Stich ein rätselhaftes Polyeder, ein dreidimensionaler Körper, der für die Ausstellung nachgebaut worden ist.
Dürer publizierte Mathematik-Bücher
Bei der Ausstellungseröffnung erfuhr man noch weiteres Wissenswertes über Albrecht Dürer: Er hat eine wegweisende, fortschrittliche Schrift veröffentlicht. Titel: „Underweysung der messung mit dem zirckel und richtscheyt in Linien ebnen unnd gantzen corporen“. Dort berichtet er beispielsweise über die Muschellinie, Kegelschnitte und eine logarithmische Spirale.
Dürer, der seiner Zeit als Wissenschaftler und Künstler weit voraus war, hat noch weitere mathematische Veröffentlichungen verfasst. Er hat auch erläutert, wie perspektivisches Zeichnen funktioniert und ist der erste gewesen der geometrische Körper nicht dreidimensional als Ganzes, sondern als flaches Netz abgebildet hat. Ein solches Netz sieht aus wie ein Bastelbogen, so Albrecht Beutelspacher. Überhaupt: Wer die Ausstellung besucht, wird noch mehr Achtung vor der Lebensleistung Dürers gewinnen.
Auch Leben als Künstler wird gewürdigt
Die Schautafeln im Mathematik informieren auch über Dürers Leben und Wirken als Maler und Zeichner: Phantastische Werke wie „Die vier Apostel“ versetzen jeden Betrachter ins Staunen. Bevor Prof. Beutelspacher die Gäste einlud, sich in aller Ruhe umzuschauen und zu experimentieren, dankte er seinem Team, das die Ausstellung vorbereitet hatte, darunter Melanie Blaschko und Laila Samuel. Nicht zu vergessen: Auch die wertvolle Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Werkstatt wurde gewürdigt.
Weitere Führungen vorgesehen
Die Ausstellung ist über 2021 hinaus zu sehen. Neben dem normalen Eintritt entstehen keine weiteren Kosten. Eine vorherige Anmeldung ist über das Buchungssystem erforderlich. Führungen im Rahmen der Ausstellung: 12. Dezember 2021 und 16. Januar 2022, jeweils 15 Uhr. Am 20. Januar 2022 (18 Uhr) spricht Prof. Anja Grebe (Donau-Universität Krems) über Dürers Ruhm als Mathematiker. Weitere Informationen unter der Adresse www.mathematikum.de
Der Giessener Bastelbogen mit einem Zentriwinkel von 73° ist unzutreffend. Denn das ergibt gegenüber dem Dürer-Original im B74-Kupferstich ein deutlich zu schmächtiges Polyeder.
Die Zentriwinkel der von Dürer erstmalig nördlich der Alpen erfolgten zentralperspektivischen Konstruktion betragen 78° und 78,4° und ergeben ein Polyeder, das mit dem Dürers von 1514 nahezu vollständig übereinstimmt, (siehe: rekonstruktion dürer-polyeder, 2019, S.30, Fig.8 ).