Wie rechter Mob funktioniert
Der rechte Populismus hat Konjunktur, wie die Bundestagswahl einmal mehr belegt hat. Das Buch „Populismus, Paranoia, Pogrom“ aus dem Verlag Brandes & Apsel kommt da gerade richtig. Es zeigt auf, wie die Erregungsmechanismen aus der Zeit des deutschen Faschismus von den rechten Populisten heute wieder in Szene gesetzt werden. Die Autoren analysieren die Propaganda von Akteuren der AfD, Pegida und von Neonazi-Gruppen wie HoGeSa.
Populismus, Paranoia, Pogrom
Benjamin Hirsch hat als Sechsjähriger zusammen mit seinem Freund Arno erlebt, wie 1938 die Synagoge in der Friedberger Anlage in Frankfurt/Main von den Nazis zerstört wurde. „Verwirrt und mit äußerster Bestürzung beobachteten wir wie die Rowdies, manche in HJ-Uniform, in die Synagoge hinein und aus der Synagoge heraus rannten. Hinein rannten sie mit Brandsätzen, die Molotowcocktails ähnelten, und mit denen sie versuchten, das Gebäude in Brand zu setzen. Heraus brachten sie die silbernen Schmuckgegenstände der Synagoge, darunter Toraschilde und die Torakronen“, schreibt Hirsch in seinem Beitrag „Die Zerstörung der Synagoge in der Friedberger Anlage“. Das Publikum reagierte unterschiedlich: „Ich war sprachlos. Die Mehrzahl der Zuschauer, so stellte ich es mir vor, war es auch. Bewaffnete Polizisten waren anwesend. Aber wir begriffen schnell, dass sie nicht gekommen waren, um irgendjemanden zu schützen – von den Rowdies abgesehen, die versuchten, die Synagoge zu zerstören. (…) War es einerseits irgendwie tröstlich zu sehen, dass etwa die Hälfte der Zuschauer genauso betäubt zu sein schien wie Arno und ich, so war es zugleich beängstigend, dass die andere Hälfte die Rowdies anfeuerte – wie auf einem Fußballplatz“, schreibt Hirsch.“
Eine Szene, wie sie ich heute gut vor einer Flüchtlingsunterkunft abspielen könnte. Elf Autoren untersuchen in dem knapp 190 Seiten dicken Buch, wie es dazu kommt, dass sich die Pogrom-Mechanismen aus der Nazi-Zeit heute wieder gegen Minderheiten und Schwache wiederholen können. Wolfgang Leuschner kommt in seinem Beitrag „Verfolgungswahn, Zerstören und Totschlagen – zur Psycho- und Soziogenese rechter Gewalt“, zu dem Schluss: „Tatsächlich geht die Bedrohung aller Menschen heute von einem Weltwirtschaftssystem aus, das in großen Teilen der Erde Hunger produziert, Lebensgrundlagen, Wohnstätten und Arbeitsmöglichkeiten vernichtet, mit Waffenlieferungen Kriege anheizt und Menschen in die Flucht treibt. Spaltung ist Wesen des Kapitalismus, er hetzt die Menschen gegeneinander auf. Kapitalismus ist organisierte Demütigung. Teilen gehört nicht zu seinem Geschäft. Aber nicht von ihm sehen sich die Rechten und Populisten bedroht, ihr ‚Sozialismus‘ war und ist niemals ernst gemeint, ihr Klassenkampf verschoben, aus ‚Furcht vor der Freiheit‘ (Fromm 1966). Alle Gefährdungen sehen sie von dessen Opfern ausgehen. Dessen Outcasts und Flüchtlinge machen sie zu Urhebern drohenden eigenen Abstiegs, darauf aus, die Deutschen aus ihrem Land zu vertreiben, ‚umzuvolken‘, ihre Identität, ihre Geschichte, ihre staatlichen Ordnungen zu vernichten, sie verhungern zu lassen und dergleichen mehr.“
Wie „das Volk“ bewegt wird
Jan Lohl seziert in seinem Beitrag eine Rede des thüringischen AfD-Politikers Björn Höke, die der vor einer Demonstration im September 2015 in Erfurt vor mehreren Tausend Menschen gehalten hat. Höcke die Demonstranten zum Symbol des „deutschen Volkes“, das „den Charakter eines an die ZuhörerInnen adressierten Erlebnisangebots“ habe, „sich dem als großartig und geschichtsmächtig entworfenen ‚deutschen Volk“ auf eine emotional intensive Weise zugehörig fühlen zu können. Ohne dass Höcke rationale Argumente oder positive Ziele formuliert, scheinen die Teilnehmer dieses Angebot begeistert anzunehmen, und lassen Höckes Konstruktion als kollektive Selbstrepräsentanz emotional wirksam und damit real werden“. Flüchtlinge macht er zu Feindbildern. Lohl: „Höcke legt nahe, dass selbst lange in Deutschland lebende MigrantInnen es nicht schaffen, richtig Deutsch zu lernen und für ihren Lebensunterhalt nicht selbst sorgen können.“ Höcke schüre Neid auf die Flüchtlinge, und „Neid gehört zu den häufigsten Ursachen individuellen und kollektiven Hessen“, so Lohl.
Herausgeber des Buches sind Kurt Grünberg und Wolfgang Leuschner, beide Psychoanalytiker in Frankfurt/Main, gemeinsam mit der Initiative 9. November. Die Initiative ist 1988 anlässlich des 50. Jahrestages des Novemberpogroms aus Frankfurter Erinnerungsprojekte hervorgegangen. Ein Jahr zuvor waren die Fundamente der Judengasse am Börneplatz von der Stadtregierung dem Bau der Maingaswerke geopfert worden. Die Initiative 9. November bemüht sich deshalb, Ort und Geschichte der Synagoge an der Friedberger Anlage, diesen authentischen Gedenkort mit seinen vielschichtigen Bedeutungen endlich bekannt zu machen“. Auf den Fundamenten der zerstörten Synagoge ließen die Nazis 1942/43 von Zwangsarbeitern einen Hochbunker errichten.
Eine wirkliche Alternative formulieren
Und „Was tun?“ heute angesichte „angesichts nicht enden wollender Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland, angesichts gewalttätiger Übergriffe auf Arbeitsemigranten in England, angesichts der Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien überall in Europa“, fragt Thomas Gebauer. Es sei „höchste Zeit für die Formulierung einer Alternative, die überzeugend darlegt, wie die globalen Verhältnisse menschenwürdige gestaltet werden können, antwortet er. Die „Formulierung der Alternative“ dürfe keineswegs „den Le Pens und Petris dieser Welt überlassen“ werden, die hätten nämlich keiner wirkliche. Denn: „Rechtspopulstische Bewegungen bedienen nur die Sehnsucht der Leute nach Veränderung, um darauf eine rückwärts gerichtete Politik aus wirtschaftlicher bzw. identitäter Abschottung zu grünen“, so Gebauer.
Kurt Grünberg/Wolfgang Leuschner/Initiative 9. November (Hrsg.): Populismus, Paranoia, Pogrom – Affekterbschaften des Nationalsozialismus“, Brandes & Apsel, Paperback Großoktav, 15,5×23,5 cm, 184 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-95558-200-5