So tickt „der Holsteiner“
Von Klaus Nissen
Neun Landtagsabgeordnete wählten die rund 250 000 Wahlberechtigten am 8. Oktober 2923 aus den drei Wetterauer Wahlkreisen. Drei von ihnen stellt die AfD: ihren Anführer Andreas Lichert aus Bad Nauheim, Christian Rohde aus Karben und Johannes Marxen aus Schotten-Rudingshain. Lichert agitiert seit Jahren rechtsaußen in Wiesbaden und der Wetterau. Doch wer sind die beiden anderen? Eine Spurensuche.Biobauer für die AfD im Landtag
Die Wetterau ist ist recht stark im neuen Landtag vertreten. Drei Frauen und sechs Männer haben das Mandat für die nächsten sechs Jahre ergattert. Bisher waren es drei Frauen und vier Männer. Nicht mehr im neuen Landtag sind die altgedienten CDU-Granden Lucia Puttrich aus Nidda und Norbert Kartmann aus Butzbach. Auch der FDP-Abgeordnete und Ex-Minister Jörg-Uwe Hahn aus Bad Vilbel ist ins politische Altenteil gewechselt. Der pensionierte Kriminalbeamte und AfD-Mann Klaus Herrmann aus Butzbach verlässt den Landtag ebenfalls zum Jahresende.
Einige der neuen Landtagsabgeordneten sind da schon länger: Tobias Utter (CDU) und Kathrin Anders (Grüne) aus Bad Vilbel, Lisa Gnadl aus Altenstadt, Andreas Lichert (AfD) aus Bad Nauheim. Erstmals nach Wiesbaden geht der CDU-Mann Patrick Appel aus Büdingen. Der 34-Jährige war bisher Lehrer. Über den SPD-Landeslistenplatz 16 rutscht noch der in Gießen wohnende Gewerkschaftssekretär Matthias Körner für den Wetterauer Wahlkreis 25 in den Landtag.
Johannes Marxen? Nie gehört
Neu schicken die Wetterauer auch zwei AfD-Leute nach Wiesbaden: Christian Rohde aus Karben und Johannes Marxen aus Schotten.
Johannes Marxen? Nie gehört. Viele, die sich in der Wetterauer Politszene gut auskennen, haben den Mann vor der Landtagswahl nicht auf dem Plan gehabt.
Doch nun kommt er groß raus. Das Direktmandat im Wahlkreis 26 für Schotten und den östlichen Wetteraukreis holte zwar Patrick Appel von der CDU. Er bekam 33,4 Prozent der Wählerstimmen. Nur acht Punkte dahinter – mit 25,5 Prozent – folgte Marxen. Der 68-jährige gebürtige Schleswig-Holsteiner ließ die langjährige SPD-Landtagsabgeordnete Lisa Gnadl mit knapp 16 Prozentpunkten weit hinter sich.
Marxen ist also ein Nobody, der ein Viertel aller Wählerstimmen bekam, während altgediente Kommunalpolitiker wie der frühere Büdinger Bürgermeister Erich Spamer (FWG) mit 9,7 und der Niddaer Grüne Marcus Stadler mit 8,1 Prozent ins politische Aus katapultiert wurden. Warum das Volk einem unbekannten Ultrakonservativen so einen Vertrauensvorschuss gibt, ist die eine Frage.
Ausländer-Hasser mit grünen Ideen
Die andere Frage ist: Wen haben die Wetterauer und Schottener da gewählt? Schauen wir nach. Das Design der Homepage von Johannes Marxen (pferdevomholsteiner.de) stammt sichtbar aus den Anfangszeiten des Internets. Er nennt sich darin „der Holsteiner“. Nördlich der Elbe wuchs Marxen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren als Sohn eines Bauern auf. Den Wehrdienst leistete er in einer Reiterkompanie der Bundeswehr ab. Danach verdingte er sich bei einem bayrischen Pferdehalter und baute für ihn das Gestüt „Jägerhof“ bei Aschaffenburg auf.
Inzwischen führt Marxen einen eigenen, 70 Hektar großen Biohof im Schottener Stadtteil Rudingshain. Er züchtet Pferde und hält auf den selben Weiden Rinder, deren Fleisch er vermarktet.
Auffallend ist, dass Marxen ein Grüner wäre, wenn er nicht eine ausgeprägte Angst vor Menschen nichtdeutscher Herkunft hätte. Die ist eklatant und bringt ihn nah an den Straftatbestand der Volksverhetzung. „Wir können uns einfach nicht gefallen lassen, dass Ausländer und Straftäter hier frei rumlaufen“, sagte Johannes Marxen im Jahr 2018 bei seiner damaligen Bewerbungsrede für einen Landtags-Listenplatz bei der hessischen AfD. Das Zitat ist auf Youtube abrufbar.
Ausländer will er einsperren
Marxen will also alle Ausländer einsperren. Die hält er offenbar sämtlich für kriminell – vom Baby bis zum Greis. Man könnte hier von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sprechen – also von Rassismus.
Fleißig verbreitet Marxen über seinen Facebook-Account weitere fremdenfeindliche Parolen – meist in Form weitergeleiteter Schlagzeilen der Bild-Zeitung. Rund 440 Facebook-Freunde goutieren das.
Humor hat der Pferdezüchter auch. Er zielt dabei gern unter die Gürtellinie. So postete er ein Oktoberfest-Foto der Grünen-Politikerinnen Claudia Roth und Ricarda Lang in Dirndln mit Bierhumpen. Und dem Kommentar: „Mythos Frauen schön trinken – Alkohol stößt erstmals an seine Grenzen.“ Für so einen Kalauer wäre sich wohl selbst Fips Asmussen zu schade gewesen.
Die zahlreichen Facebook-Botschaften von Johannes Marxen zeigen, dass er wie viele AfD-Wähler und -Politiker die Grünen als Feinde ansieht, die das Land ruinierten, weil sie nach einer Strategie für das 21. Jahrhundert suchen – während die AfD-Klientel doch viel lieber in den Siebzigerjahren leben würde.
Seinen Hass auf die Grünen drückt Marxen in offensichtlich unsinnigen Behauptungen aus. Beispiel: „Liebe Erstwähler! Alles, was ihr heute an Luxus zur Verfügung habt, verdankt ihr euren Eltern. Hätten eure Eltern damals die Grünen gewählt, hattet ihr heute gar nichts!“
Wenn ihn dieser überbordende Ausländer- und Grünenhass nicht plagen würde – dann wäre Johannes Marxen wohl selber ein Grüner. Bei seiner Bewerbungsrede für den AfD-Listenplatz anno 2018 beklagte sich „der Holsteiner“ über die vielen Maisfelder im Land, die Insekten keine Nahrung böten und viel zu viel Nitrat in den Boden sickern ließen – wo es das Trinkwasser vergifte. Genau wie die Grünen wetterte Marxen in seiner Sieben-Minuten-Rede auf dem AfD-Parteitag gegen das Unkrautgift Glyphosat. Er beklagte sich über viel zu viele Tiere in den Schweine- und Hühnerställen und forderte, dass männliche Eintagsküken nicht mehr getötet werden dürften. Dafür bekam Marxen auf dem AfD-Parteitag sogar dünnen Beifall.
Die neuen Abgeordneten bekommen 8785 Euro im Monat
All diese grünen Forderungen nahm die hessische AfD natürlich nicht in ihr Parteiprogramm auf. Im Gegenteil. Zur Landwirtschaft finden sich darin nur zwei Sätze. Einer davon lautet: „Die AfD lehnt die von der EU vorgeschlagenen Richtlinien zum Verbot von Pflanzenschutzmitteln in sogenannten „empfindlichen Gebieten“ und zum verminderten Einsatz von Düngemitteln ab.“ Glyphosat findet die Partei also toll.
Johannes Marxen, der Mann mit den grünen Ideen und dem Ausländerhass, nahm es hin und machte eine kleine Politkarriere. 2018 kam er vom Landeslistenplatz 68 noch nicht in den Landtag. Doch drei Jahre später wählten ihn die Vogelsberger in den Kreistag und ins Schottener Stadtparlament. Nun rutschte „der Holsteiner“ vom Landeslistenplatz 16 direkt in den Hessischen Landtag. Dort kann der 68-Jährige fortan ex cathedra gegen alles Nicht-Biodeutsche wettern und dafür eine monatliche Abgedordneten-Entschädigung in Höhe von 8785 Euro plus 996 Euro Bürokostenpauschale einstreichen.
Christian Rohde ist ein Fan von Robert Blum
Das gleiche Geld erhält der ruhiger wirkende Neu-Abgeordnete Christian Rohde aus Karben. Der 1988 geborene AfD-ler sitzt auch im Stadtparlament und im Wetterauer Kreistag – er hält nun also drei Mandate. Politisch exponiert er sich nicht besonders. Im Karbener Stadtparlament stellte er im September gar den Antrag, den Paulskirchen-Demokraten Robert Blum im Bürgerzentrum mit einer Gedenktafel seiner Petterweiler Rede von 1848 zu würdigen.
Als Student war Rohde noch aktivistischer, berichtete 2018 das Beobachterportal rechter Netzwerke stadtlandvolk.net: „Im Jahr 2017 wurde Rohde in den damaligen Landesvorstand der Jungen Alternativen gewählt. Er trug bei dem Kongress der JA ein Foto von Björn Höcke am Jackett. Zu diesem Zeitraum beteiligte sich Rohde unter anderem an einer Flugblatt-Aktion an der Goethe Uni Frankfurt. Auf den Flugblättern wurde dazu aufgerufen linke oder auch nur kritische Wissenschaftler*innen zu melden. Ähnlich zu vielen anderen Personen aus seiner damaligen rechten Clique kurbelte er mit solchen Aktionen seine Parteikarriere an und konnte eine Beschäftigung bei der hessischen Bundestagsabgeordneten Mariana Harder-Kühnel erwirken.“