Die tägliche Angst, nach Hause zu müssen
Immer wieder transportieren Medien und soziale Netzwerke die Debatte über Abschiebungen afghanischer Flüchtlinge nach Kabul. Sie macht den Betroffenen große Angst. Dieser Text erzählt von einer jungen Familie aus Afghanistan, die seit Oktober 2015 in der westlichen Wetterau lebt. Wo genau, wird wie auch die richtigen Namen nicht verraten. Die Familie möchte nicht erkannt werden.
Afghanische Flüchtlinge
Morgens um neun klingelt es an der Haustür. Draußen steht Murad. Es dauert eine Weile, bis er am Esstisch des ehrenamtlichen Flüchtlingshelfers mit dem Grund seines Besuchs herausrückt. Er könne nicht schlafen, sagt er. Er mache sich Sorgen. Denn jetzt hat er mitbekommen, dass Afghanen abgeschoben werden. Zweimal schon ist ein Flugzeug von Frankfurt nach Kabul geflogen. Mühsam sucht Murad nach Worten: Er könne doch nicht mit seiner Familie zurück. „Die Taliban haben meine Mutter erschossen. Die Taliban sind überall“, sagt Murad. Wenn dies hier sein Heimatdorf wäre, dann stünden die Gotteskrieger in allen Nachbardörfern. Und nachts gebe es Überfälle. Um keinen Preis will Murad mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern zurück. Das dritte wächst gerade im Bauch seiner Frau einer ungewissen Zukunft entgegen.
Besonders ängstigt ihn, dass er bei der Friedberger Ausländerbehörde ein neues Ausweisdokument mit einem roten Schrägbalken bekommen hat. Darauf steht: „Kein Aufenthaltstitel! Der Inhaber ist ausreisepflichtig. Die Duldung erlischt mit der Bekanntgabe, dass ein Ausreisedokument vorliegt.“ Das gilt auch für die Kinder des Paares.
Murad ist verwirrt. Denn er war zwar im vorigen Herbst bei der Asyl-Anhörung in Büdingen, doch bisher hat er keinen Bescheid bekommen. Weder positiv noch negativ. Vielleicht deshalb nicht, weil die Familie umziehen musste und die neue Adresse nicht beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) angekommen ist? Auf jeden Fall weiß Murad, dass die meisten anderen afghanischen Flüchtlingsfamilien, die im Umfeld leben, inzwischen die gefürchteten gelben Briefe vom BAMF bekommen haben. In vielen Fällen mit der Ablehnung ihres Asylantrags. Die ehrenamtlichen Helfer haben ihnen eingeschärft, dann sofort einen Anwalt zu suchen, der Widerspruch gegen den Bescheid einlegt. Die Juristen verlangen von den abgewiesenen Flüchtlingen eine Monatspauschale von 50 bis 150 Euro. In Frankfurt soll ein Anwalt allerdings gleich 2500 Euro Anzahlung kassiert haben.
Der ehrenamtliche Helfer versucht, den jungen Familienvater an seinem Esstisch zu beruhigen. Die Abschiebe-Flüge brachten nur ein paar ledige junge Männer nach Afghanistan zurück. Familien werden auf keinen Fall in dieses gescheiterte Land zurückgeschickt, hat der Rechtsanwalt Christof Momberger bei einem Treffen von etwa 80 Flüchtlingshelfern in Friedberg gesagt. Abschiebungen in umkämpfte Gebiete seien in Deutschland politisch nicht durchsetzbar, glaubt der auf Asylrecht spezialisierte Jurist. Der Paritätische Sozialverband und viele andere Organisationen fordern, weitere Abschiebeflüge auszusetzen. Weil es dort keine sicheren Zonen gebe.
Murad hat trotzdem tiefe Sorgenfalten auf der Stirn. Jeder Brief mit amtlichem Absender versetzt ihn und seine Frau erneut in größte Furcht. Denn beide können kaum lesen. Ihr ehrenamtlicher Betreuer erklärt den Inhalt der Briefe – es sind meist Aufforderungen, sich zu einer Prüfung der Sprachkompetenz in einem Büro einzufinden. Oder zu einer Vorstellung bei der Arbeitsagentur – um zu klären, ob der Flüchtling irgendeine berufliche Qualifikation hat, die in Deutschland brauchbar wäre. Sowohl zur Sprache als auch zur Berufsausbildung ist es noch ein langer Weg. Auch weil Afghanen momentan keinen Anspruch auf Deutschunterricht haben. Sie gehen trotzdem zu Kursen, die von den Volkshochschulen, anderen Organisationen oder privat von Ehrenamtlichen gegeben werden.
Die afghanischen Familien müssen nicht verzweifeln, sagt Anwalt Momberger beim Treffen der Flüchtlingshelfer in Friedberg. Die Verwaltungsgerichte brauchen etwa drei Jahre, bis ein abgelehnter Asylantrag rechtskräftig wird. Während des Verfahrens dürfen sie nicht abgeschoben werden. Diese Zeit müssten die Flüchtlinge nutzen, um möglichst gut Deutsch zu lernen. Und sich in den Schulen und Vereinen ihrer Wohnorte bekannt zu machen und um möglichst viele Kontakte zu Deutschen zu knüpfen. Dann nämlich könne er als Anwalt vor Gericht beweisen, dass die Flüchtlinge integriert sind.
Dazu gehört auch ein eigenes Einkommen. Lageristen und Lkw-Fahrer würden gerade gesucht, hatte Bernhard Wiedemann vom Wetterauer Jobcenter jüngst am Runden Tisch von Flüchtlingshelfern und Behörden in Friedberg gesagt. Es gibt jetzt viele Förderprogramme. Wer Arbeit oder ein Praktikum sucht, muss sich aber zwingend vorher bei Walid Ahmad Kahlon in der Friedberger Arbeitsagentur melden.
All das hat sich Murad am Esstisch seines Flüchtlingshelfers erklären lassen. Er nickt und geht dann mit gesenktem Kopf nach Hause. Er glaubt nicht so recht, dass er in Sicherheit ist. Er hat auch nicht alles verstanden. Murad und seine Frau Aschraf bemühen sich intensiv, die Sprache und die Schrift zu lernen. Wenn man sie lässt, werden sie irgendwann in Deutschland ankommen. Da, wo ihre Tochter Zaida schon ist. Die aufgeweckte Fünfjährige besucht täglich den Kindergarten und versteht sich gut mit den Gleichaltrigen. Und ihr kleiner Bruder Ahmad spricht beim Spielen schon Deutsch, erzählt sein Vater mit Stolz in der Stimme.
Viele Flüchtlinge aus Afghanistan
Nach den Syrern bilden Menschen aus Afghanistan mit Abstand die größte Gruppe der Flüchtlinge, die 2015 in den Wetteraukreis kamen. In jenem Jahr fanden 377 Afghanen Zuflucht im Wetteraukreis. Aus Syrien reisten 984 Menschen ein, die in vielen Fällen inzwischen eine Aufentaltserlaubnis haben. Nach Angaben der Kreisverwaltung lebten im Juli 2016 rund 3600 Menschen aus etwa drei Dutzend Ländern in Wetterauer Gemeinschaftsunterkünften. Die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Büdingen beherbergte weitere 356 Menschen.
Die Anerkennungsquote für Flüchtlinge aus Afghanistan liegt viel niedriger als bei den Syrern. Die aktuelle Diskussion um Abschiebungen nach Kabul ängstigt diese Menschen. Bei den Treffen mit ehrenamtlichen Helfern kommt das Thema immer wieder zur Sprache. Eine freiwillige Rückehr mit einer Starthilfe in Höhe von 500 Euro pro Erwachsenem und 250 Euro pro Kind sei für sie keine Option, sagen viele. Denn in Afghanistan sei ihr Leben bedroht.
Afghanistan gehört zum sicheren Herkunftsland, sowie die Politiker reden sind Abschiebungen nach Afghanistan vertretbar dann gehören diese Menschen auch abgeschoben, im Gegensatz zur Syrien, da ist Krieg und alles kaputt.