Geschichte in Privatbesitz

Klage auf Akteneinsicht

Von Klaus Nissen

Die Geschichtsforscher haben die Faxen dicke. Sie gehen jetzt zum Kadi. Demnächst wollen einige von ihnen beim Verwaltungsgericht Gießen den Zugang zu den Rentkammerarchiven der Fürsten zu Ysenburg erzwingen. Konkret: den Eintritt ins Bandhaus neben dem Schlosspark. In dem arg baufälligen Sandsteingebäude aus dem Jahre 1572 lagern wahre Informationsschätze, vermutet der Historiker Christian Vogel.

Geschichte in Privatbesitz

Darf eine adlige Familie Regierungsakten  einschließen, die ihre Vorfahren als Landesherren anlegten? Natürlich nicht, meint Christian Vogel. Der Vorsitzende der Vereinigung für Heimatforschung und andere Historiker begehren Einsicht in die Rentkammerarchive derer zu Ysenburg und Büdingen. Auch 300 Jahre alte Regierungsakten seien Staatsbesitz und müssten für Forscher zugänglich sein. Doch die Schlossherren wollen sie nicht herausrücken.

Das Bandhaus neben dem Schlosspark beherbergt Unterlagen über die Geschichte der Region Büdingen seit etwa 1690. Das Land Hessen stuft sie als Privatbesitz der Familie zu Ysenburg und Büdingen ein. Fotos: Nissen

Wie kamen eigentlich die Herrnhuter anno 1738 nach Büdingen? Sie gründeten mit Erlaubnis der Ysenburger Herren auf dem Herrnhaag eine lutherisch-pietistische Großkommune. Details darüber schlummern wahrscheinlich in den Folianten des Ysenburgischen Rentkammerarchivs im Bandhaus neben dem Büdinger Schlosspark. Vielleicht können die  Akten auch mehr über die Zerstörung der Burg Hardeck zwischen Calbach und Lorbach berichten. Auch die Geschichte von mindestens 50 Dörfern zwischen den Jahren 1680 und 1830 könnte nach Auswertung der alten Regierungsakten genauer beschrieben werden, meinen die Historiker.

Ein Blick durchs verstaubte Fenster des Bandhauses ins Rentkammerarchiv. Das Dach ist undicht. Archivfotos: Nissen

Seit Jahren versuchen sie laut Vogel, Einblick zu bekommen. Doch sie dürfen es nicht. Die Akten seien Eigentum der Ysenburger – und die lassen keine Fremden darin lesen, sagt Dr. Klaus-Peter Decker auf Anfrage. Er war früher Archivar des ysenburgischen Fürstenhauses und verwaltet nun als Rentner das Uralt-Archiv des Adelshauses mit Regierungsakten bis zum Dreißigjährigen Krieg. Die Ysenburger hatten seit dem 14. Jahrhundert bis 1918 Regierungsgewalt in der östlichen Wetterau und angrenzenden Gebieten. Die Herrschaftsakten der ersten Jahrhunderte liegen als Besitz einer Stiftung im Brauhaus neben dem Schloss undsind für Forscher laut Decker zugänglich. Nicht aber die „neueren“ Akten aus den Jahren ab 1690, die  im Bandhaus liegen. „Warum auch?“ verteidigt Decker die Ysenburger. Die Akten dort seien Privatbesitz. Und am Bandhaus müsse demnächst das Dach repariert werden. Außerdem hätten Christian Vogel und seine Freunde die Ysenburger seit Jahren mit einer regelrechten Kampagne „belästigt und beleidigt“.

Gemeint ist wohl der Vorstoß des in Assenheim lebenden Christian Vogel, die Akten der einstigen Landesherren in den Besitz des Landes Hessen zu überführen. „Das sind unveräußerliche Staatsunterlagen, die da in Büdingen herumliegen“, schimpft der 76-jährige Geschichtsforscher aus Assenheim, der unter anderem mit einer Dokumentation der napoleonischen Eroberungszüge in der Wetterau um 1795 bekannt wurde. Die Rentkammerarchive müssten ins Hessische Staatsarchiv überführt werden. Doch die Wissenschaftsminister Eva Kühne-Hörmann und später auch Boris Rhein weigerten sich, das alte Papier in Staatsbesitz zu nehmen.  Mehrere Anfragen der SPD-Landtagsabgeordneten Lisa Gnadl liefen ins Leere. Alles sei in Büdingen bestens verwahrt, meldete Kühne- Hörmann 2013 und 2015 auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Tauber nach dem Besuch des Archivs. Laut Kühne-Hörmann lagen damals die Unterlagen „im Erdgeschoss des Gebäudes in Archivkartons in Regalen … unter archivfachlichen Gesichtspunkten in einwandfrei konservatorischem Zustand“.

Das Brauhaus neben dem Schloss enthält alte Regierungsakten – zum Beispiel Protokolle der Büdinger Hexenprozesse. Sie gehören einer Stiftung und können eingesehen werden.

Daran bestehen Zweifel. Wer sich das Bandhaus näher anschaut, sieht an mehreren Stellen des Sandsteingebäudes fingerdicke Risse in den Mauern. Dachziegel fehlen, an einer Stelle liegt der Dachstuhl auf morschen Balken. Durch verstaubte und teils zerbrochene Fensterscheiben waren bei einer Vor-Ort-Recherche im Jahre 2015 Folianten auf schiefen Regalen zu sehen. Gegenüber der Ministerin hatte Wolfgang-Ernst Fürst zu Ysenburg und Büdingen zugesagt, dass er Rentkammer-Akten „im Rahmen seiner Möglichkeiten“ gestatten werde. Doch davon ist laut Christian Vogel keine Rede. Schriftlich hätten er und andere Historiker in zahlreichen Briefen um Einsicht in Rentkammer-Akten gebeten. Doch man habe nicht einmal eine Antwort bekommen.

Das Informationsfreiheitsgesetz soll helfen

Nun sollen Richter den Zugang erzwingen. Vogel hofft auf das seit 2015 geltende Informationsfreiheitsgesetz. Das verpflichtet staatliche Stellen, in bestimmte staatliche Vorgänge Einsicht zu gewähren. Die Regierungsakten der Ysenburger seien eindeutig staatlich, meint Christian Vogel. Unklar ist, ob der Verwaltungsrichter das auch so sieht. Das Informationsfreiheitsgesetz bezieht sich auf Unterlagen des Bundes. Bislang gibt  es noch keine hessische Version dieses Gesetzes. Mittelbar sei im Bundesgesetz aber die Informationsfreiheit in Landes-Belangen eingeschlossen, meint der Verfasser des Wikipedia-Artikels zum Informationsfreiheitsgesetz.

Das klingt nicht nach einer sicheren Bank. Gut möglich, dass die Rentkammer-Akten weiter gemeinsam mit dem Bandhaus in Büdingen verfallen. Die Heimatforscher werden das Thema im September bei ihrer Jahrestagung in Nidda wieder auf die Tagesordnung setzen.

 

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