Einspruch, wenn Blödsinn geredet wird
Von Klaus Nissen
Nicht die üblichen Autos, sondern gut 800 Menschen mit Schildern bevölkerten am Freitagabend, 9. Februar 2024 den Altstadtparkplatz in Büdingen. Sie hörten Blues, sangen einen Kanon und applaudierten vielen Rednern, die der AfD eine wachsende Ähnlichkeit mit der NSDAP bescheinigten.Gut 800 kamen zur Demo in Büdingen
Der Schreck über die Potsdamer Vertreibungsphantasien von Martin Sellner und anderen Rechtsextremen scheint tief zu sitzen. Junge Familien mit Kindern, viele Paare mittleren Alters und alte Menschen kamen mit selbstgemachten Pappschildern zur Kundgebung des Büdinger Bündnisses für Demokratie und Vielfalt.
Weit mehr als zwei Stunden lang hörten sie sich auf dem recht finsteren Platz kämpferische Manifeste von 16 Rednern an, die eine Botschaft variierten. Boris Winter drückte sie so aus: „Lassen wir nicht zu, dass man uns die Demokratie wegnimmt. Denn wenn die Demokratie schläft, wacht die Diktatur auf!“
Demokratie ist anstrengend
Das demokratische Austarieren von Interessen sei ja „super anstrengend“, räumte die Erste Stadträtin Katja Euler auf der Anhänger-Bühne ein. „Aber es gibt kein besseres System.“
Übrigens sei man nicht, wie von AfD-Politikern behauptet, von der Regierung zum Demonstrieren herbestellt. Es gehe darum, Extremisten auszubremsen. „Ich bin hier auch, wenn es gegen Linksradikale, Antisemiten und jede gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit aufzustehen gilt.“
Die Rechtsextremen übernähmen immer mehr die Sprache der Nazis, meinte Euler. „Es beginnt mit der Sprache und endet mit Morden“, ergänzte die SPD-Landtagsabgeordnete Lisa Gnadl aus Altenstadt. Martin Sellner hatte laut Correctiv-Recherche im Potsdamer „Haus Adlon“ im November die Vertreibung von gut 25 Millionen Nazigegnern und deutschen Staatsbürgern mit migrantischen Wurzeln propagiert.
Rassistische Sprüche im persönlichen Umfeld
Diese Idee gab es schon 1925, erinnerte in Büdingen der evangelische Pfarrer Andreas Weik. „Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist“, zitierte er aus dem Programm der NSDAP. Mit der harmlos klingenden „Remigration“ sei die systematische Vertreibung von Millionen Deutschen gemeint.
Auch im persönlichen Umfeld höre er Rassistisches, sagte Pfarrer Weik am Mikrofon. „Wenn ich mit Freunden im „Stern“ sitze und einer aus unserer Runde ruft einem anderen zu: ,Schön in Deutschland, gell?` – nur weil der eine dunkle Hautfarbe hat – ich kann das nicht mehr ertragen!“
Manche demokratische Politiker suchen mit rassistischen Parolen Anschluss an den Erfolg der AfD, meinten mehrere Redner in Büdingen. Andreas Weik erinnerte, dass der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz die Trachten-Bayern auf dem Gillamoos-Volksfest als wahre Deutsche bezeichnete, die Kreuzberg-Bewohner dagegen nicht. Dabei sei jeder gleich – „Rassen gibt es bei den Kaninchenzüchtern.“ Das bekräftigte Ilhami Erel, der Imam der deutsch-türkischen Islam-Gemeinde Büdingen. Die Muslime erlebten wie die Juden in Deutschland zunehmend ein Klima der Ausgrenzung und des Misstrauens.
Bettina Müller: AfD arbeitet nicht für ihre Wähler
Der AfD trauen viele Menschen offenbar eine Rettung vor der unübersichtlichen Weltlage zu. Aber diese Partei führe gerade ihre Wähler ins Verderben, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete Bettina Müller. Die AfD wolle das Rentenalter anheben und Sozialleistungen abschaffen. „Im Bundestag kämpft sie gegen den Mindestlohn. … Die AfD wirkt gegen die Interessen der arbeitenden Bevölkerung – das muss jedem bewusst sein, der sie wählt!“
Die Warnung vor einem neuen 1933 und das trotzig wirkende Bekenntnis zu einer vielfältigen Gesellschaft wiederholten all die anderen Redner: Bürgermeister Benjamin Harris, die Gymnasiums-Schulsprecherin Vicki Klein, Alex Schopbach von „Hand aufs Herz Gelnhausen“, der CDU-Landtagsabgeordnete Patrick Appel, Andreas Balser von der Antifa-BI. Tine Lott hellte zwischen den Reden die Stimmung mit einem Blues-Stück und „Bella Ciao“ auf. Der Gederner Peter Lindenfels sang zwei Balladen. Und Katharina Padrock von der Musik- und Kunstschule übte mit den Zuhörern den Kanon „Wehrt euch, leistet Widerstand“.
Weitere Demos am 17. und 24. Februar
Aber wie? Julia Hott empfahl den demokratischen Politikern: „Hört auf, populistische Parolen in euren Wortschatz zu übernehmen.“ Sven Müller-Winter vom Vielfaltsbündnis Altenstadt bat alle: „Erheben Sie Einspruch, wenn blödes Zeug geredet wird!“ Junge Leute sollten aktiv werden, wenn sie auf Tiktok rechtsextreme Botschaften entdecken. Und weiter demonstrieren – das geht auch. Am17. Februar 2024 wird um 14 Uhr auf dem Kurt Schumacher-Platz in Hanau an den Amoklauf vor vier Jahren erinnert. Am 24. Februar um 11 Uhr eröffnet Friedbergs neuer Bürgermeister Kjetil Dahlhaus vor dem dortigen Landratsamt eine weitere Demo mit dem Motto „Nie wieder ist jetzt.“