Kein Zugriff auf alte Regierungsakten
Historiker bekommen keinen Zugriff auf die alten ysenburgischen Regierungsakten in Büdingen. Das entschied das Verwaltungsgericht in Gießen. Das Archiv befinde sich im Privatbesitz. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.Ysenburger Historie bleibt Privatsache
Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Gießen wies im Dezember 2023 die Klage der Vereinigung für Heimatforschung ab. Die dort organisierten Historiker hatten vom Land Hessen Zugang zu Teilen des Rentkammerarchivs Büdingen gefordert.
Bei der Rentkammer handelte es sich vor den Weltkriegen um eine amtliche Stelle, die hauptsächlich für die Finanzverwaltung des Grundherrn in der Region Büdingen zuständig war.

Es sei nicht einmal sicher, ob das Archiv überhaupt noch existiert, heißt es in der Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts. Vom Land Hessen verlangt der Heimatforschungsverein Zugang zu den landeseigenen Teilen des Rentkammerarchivs. Diese Unterlagen müsse das Land Hessen als Eigentümer von dem aktuellen Besitzer herausverlangen und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Doch das wies die Einzelrichterin ab.
Denn das Archivrecht gewähre lediglich ein Nutzungsrecht von öffentlichem Archivgut. Hier befinde sich das Rentkammerarchiv indes in einer privaten Sammlung und sei gerade kein Archivgut.
Zudem habe das in Anspruch genommene Land Hessen auch keinen Zugriff auf das betreffende Rentkammerarchiv und sei auch nicht verpflichtet, diese Unterlagen zu beschaffen.
Klageführer Christian Vogel von der Vereinigung für Heimatforschung will sich mit dem Richterspruch nicht abfinden. „Unmittelbar im neuen Jahr wird in Gießen eine Gehörrüge eingereicht, da unser Vortrag schlicht nicht zur Kenntnis genommen wurde.“ Die Sache werde dann eine Instanz höher beim Verwaltungsgerichtshof in Kassel verhandelt.
Im Übrigen bliebe die Sache ohnehin offen, da wegen der vom Gericht allgemein vertretenen Rechtsansicht Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe anhängig sei.
In Wirklichkeit handele es sich bereits jetzt um einen ersten
Teilerfolg der Vereinigung für Heimatforschung. Das Gericht habe nämlich nicht über Zugang zu den Rentkammerarchiven selbst entschieden. „Es hat nur entschieden, dass die Kläger nicht berechtigt sind, vom Land Hessen zu verlangen, für diesen Zugang etwas zu unternehmen.
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Die bisherige Linie, dass die Rentkammerarchive einschließlich der in ihnen liegenden staatlichen Unterlagen Privatunterlagen von Privatpersonen seien und daher andere keine Ansprüche stellen
könnten, konnte das Land Hessen (…) nicht aufrechterhalten. Dementsprechend hat auch das Gericht nur darauf abgestellt, dass das Land nicht verpflichtet sei, sich diese Unterlagen zu verschaffen oder auch nur Zugang zu ihnen zu ermöglichen. Das ist neu.“
Geschichte in Privatbesitz
Konkret verlangen die Forscher um ihren Wortführer Christian Vogel den Zutritt zum Bandhaus neben dem Schlosspark in Büdingen. In dem baufälligen Sandsteingebäude aus dem Jahre 1572 lagern wahre Informationsschätze, vermutet Vogel.
Eine adlige Familie darf nach seiner Ansicht nicht Regierungsakten einschließen, die ihre Vorfahren als Landesherren anlegten. Auch 300 Jahre alte Regierungsakten seien Staatsbesitz und müssten für Forscher zugänglich sein. Doch die Schlossherren wollen sie nicht herausrücken.

Wie kamen eigentlich die Herrnhuter anno 1738 nach Büdingen? Sie gründeten mit Erlaubnis der Ysenburger Herren auf dem Herrnhaag eine lutherisch-pietistische Großkommune. Details darüber schlummern wahrscheinlich in den Folianten des Ysenburgischen Rentkammerarchivs im Bandhaus neben dem Büdinger Schlosspark.
Informationen über 50 Dörfer seit 1680
Vielleicht können die Akten auch mehr über die Zerstörung der Burg Hardeck zwischen Calbach und Lorbach berichten. Auch die Geschichte von mindestens 50 Dörfern zwischen den Jahren 1680 und 1830 könnte nach Auswertung der alten Regierungsakten genauer beschrieben werden, meinen die Historiker.

Seit Jahren versuchen sie laut Vogel, Einblick zu bekommen. Doch sie dürfen es nicht. Die Akten seien Eigentum der Ysenburger – und die lassen keine Fremden darin lesen, sagte Dr. Klaus-Peter Decker im Jahr 2017 auf Anfrage. Er war früher Archivar des ysenburgischen Fürstenhauses und verwaltete bis zu seinem Tod ehrenamtlich das Uralt-Archiv des Adelshauses mit Regierungsakten bis zum Dreißigjährigen Krieg.
Die Ysenburger hatten seit dem 14. Jahrhundert bis 1918 Regierungsgewalt in der östlichen Wetterau und angrenzenden Gebieten. Die Herrschaftsakten der ersten Jahrhunderte liegen als Besitz einer Stiftung im Brauhaus neben dem Schloss und sind für Forscher laut Decker zugänglich. Nicht aber die „neueren“ Akten aus den Jahren ab 1690, die im Bandhaus liegen. „Warum auch?“ verteidigte Decker die Ysenburger. Die Akten dort seien Privatbesitz. Christian Vogel und seine Freunde hätten die Ysenburger seit Jahren mit einer regelrechten Kampagne „belästigt und beleidigt“.
Gemeint ist wohl der Vorstoß des in Assenheim lebenden Christian Vogel, die Akten der einstigen Landesherren in den Besitz des Landes Hessen zu überführen. „Das sind unveräußerliche Staatsunterlagen, die da in Büdingen herumliegen“, schimpfte schon vor acht Jahren der jetzt 83-jährige Geschichtsforscher aus Assenheim, der unter anderem mit einer Dokumentation der napoleonischen Eroberungszüge in der Wetterau um 1795 bekannt wurde. Die Rentkammerarchive müssten ins Hessische Staatsarchiv überführt werden.

Doch die Wissenschaftsminister Eva Kühne-Hörmann und später auch Boris Rhein weigerten sich, das alte Papier in Staatsbesitz zu nehmen. Mehrere Anfragen der SPD-Landtagsabgeordneten Lisa Gnadl liefen ins Leere. Alles sei in Büdingen bestens verwahrt, meldete Kühne- Hörmann 2013 und 2015 auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Tauber nach dem Besuch des Archivs. Laut Kühne-Hörmann lagen damals die Unterlagen „im Erdgeschoss des Gebäudes in Archivkartons in Regalen … unter archivfachlichen Gesichtspunkten in einwandfrei konservatorischem Zustand“.

Daran bestehen Zweifel. Wer sich im Jahr 2015 das Bandhaus näher anschaut, sah an mehreren Stellen des Sandsteingebäudes fingerdicke Risse in den Mauern. Dachziegel fehlen, an einer Stelle lag der Dachstuhl auf morschen Balken. Durch verstaubte und teils zerbrochene Fensterscheiben waren bei einer Vor-Ort-Recherche im Jahre 2015 Folianten auf schiefen Regalen zu sehen. Gegenüber der Ministerin hatte Wolfgang-Ernst Fürst zu Ysenburg und Büdingen zugesagt, dass er Rentkammer-Akten „im Rahmen seiner Möglichkeiten“ gestatten werde. Doch davon ist laut Christian Vogel keine Rede. Schriftlich hätten er und andere Historiker in zahlreichen Briefen um Einsicht in Rentkammer-Akten gebeten. Doch man habe nicht einmal eine Antwort bekommen.
Das Informationsfreiheitsgesetz soll helfen
Zuletzt hoffte Christian Vogel auf das seit 2015 geltende Informationsfreiheitsgesetz. Das verpflichtet staatliche Stellen, in bestimmte staatliche Vorgänge Einsicht zu gewähren. Die Regierungsakten der Ysenburger seien eindeutig staatlich, meint Christian Vogel. Das hat eine Verwaltungsrichterin nun anders gesehen.
Die Entscheidung (Urteil vom 8. Dezember 2023, Az.: 4 K 877/23.GI) ist noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten können dagegen binnen eines Monats die Zulassung der Berufung beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel beantragen.