Anschläge spielen Assad in die Hände
Die Anschläge von Paris haben dem tyrannischen Herrscher BasharAl-Assad in Syrien in die Hände gespielt und die Ziele der demokratischen Revolution in den Hintergrund gedrängt. Zu diesem Schluss kommt der regimekritische syrische Schriftsteller Mikhael Saad in einem Artikel, den Fidaa Dahoud exklusiv für den Landboten übersetzt hat.
Flucht vor dem Krieg des Herrschers
Fida Dahoud beobachtet für den Landboten die arabische Presse, insbesondere regimekritische Autoren. Während für die europäische Öffentlichkeit die Bedrohung durch den Islamischen Staat (IS) in Vordergrund steht, ist der Blick der Syrer selbst vollkommen anders: Der Aufstand, der vor vier Jahren begann, richtete sich gegen das Regime von Bashar Al-Assad und die Menschen fliehen vor allem vor dem Krieg des Herrschers gegen sein Volk. Eine Sicht, die der Westen, so scheint es, aus den Augen verloren hat. Wir entsetzen uns vor den Anschlägen des IS, Assad scheint uns nicht zu betreffen, dieser mordet ja nur sein eigenes Volk. Und so befördern die Anschläge in Paris das eigentliche Anliegen der syrischen Revolution weiter in den Hintergrund und spielen vor allem dem tyrannischen Herrscher in die Hände. Und die Geschichte dieser Unterdrückung geht viel länger zurück, schreibt der syrische Schriftsteller Mikhael Saad in der Internetzeitung Zaman Al-Wasel. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors:
Assads blutige Botschaft an sein Volk
„Die Terroranschläge von Paris erinnern mich an ein lange zurückliegendes Ereignis, das sich tief in meine Erinnerung eingegraben hat: das Massaker von Hama im Jahr 1982. Schon in dem offenen Krieg, den Hafez Al-Assad (Anm. d. Red.: Vater des heutigen Machthabers Bashar Al-Assad) damals gegen sein Volk führte, wurde er von allen Ländern der Welt unterstützt, unter dem Vorwand, gegen den islamischen Terrorismus zu kämpfen. Mit der Zerstörung der Stadt Hama 1982 schickte Hafez Al-Assad eine blutige Botschaft an sein Volk, aber nicht mit seinem eigenen Blut unterzeichnet, sondern mit dem Blut der Syrer und mit deren Leben.
Nach dem Tod von Hafez al-Assad glaubten manche Syrer an eine neue Ära, die mit seinem Sohn Bashar beginnen würde, und sie hofften auf eine Zukunft ohne Blutvergießen. Niemand wagte zu sagen, dass jene blutigen Botschaften doch zu den Gründen gehörten, dass Bashar al-Assad überhaupt die Nachfolge seines Vaters antreten konnte. Die Revolution von 2011 und ihre Forderung nach Freiheit rief das Assad-Regime, seine Sicherheitskräfte und Armeeführer auf den Plan. Junge Syrer hatten offenbar die Angst vergessen, die Zerstörung von Hama, auch die Morde im Lager von Lager von Tal Al-Zaatar sechs Jahre zuvor (siehe Infokasten). Ein „Frühling“ drückte ihre Sehnsucht nach einem Leben ohne Angst vor Gefängnis und Unterdrückung aus – also mussten sie noch einmal erinnert werden an die Blutströme von Al-Assad, an das Morden ohne Einschränkung. Es begannen Massaker in fast schon fanatischer Weise, in allen Gebieten von Syrien wurden Wohngebiete bombardiert, Städte zerstört, um die Revolution des syrischen Volkes zu zerschlagen.
Fast fünf Jahre Mord, Hunger, Vertreibung
Und der Rest der Welt bombardiert jetzt ebenfalls Syrer unter dem Schlagwort des “Kampfes gegen den Terrorismus” – es ist dieselbe Überschrift, die schon Assads Vater Hafez in den späten 70er Jahren und Anfang der 80er benutzt hat und die sein Sohn jetzt wieder aufgreift. Und nun sehen wir fast fünf Jahre Mord, Inhaftierung, Hunger und Vertreibung von Millionen Syrern. Ein Junge, der zu Beginn der Revolution 13 Jahre alt war, ist heute 18 Jahre alt, ohne Schule, Wohnung, Kleidung, Nahrung, ohne Verbundenheit zu seinem Heimatland. Was soll er eigentlich tun? Millionen von Syrern haben sich entschieden, bis Europa zu kriechen, in der Hoffnung, hier ein besseres Leben zu finden.
Für das Regime wurde es Zeit für eine neue blutige Botschaft, diesmal an die Europäer und an den Rest der Welt und diesmal unterzeichnet mit dem Blut der Franzosen. Assad hat das Massaker von Paris nicht selbst verübt, aber er trägt die Verantwortung für alle Faktoren, die dahin führten. Der IS hat seine Unterschrift dazu getan, indem er die kriminelle Aktion übernommen hat. Indem er die Welt und speziell Europa in Angst und Schrecken vor dem “sunnitischen Terrorismus” versetzt, hat er Assad einen großen Gefallen getan und zur selben Zeit auch der Europäischen Rechten, die keine Einwanderung von Muslimen will und nach Gründen sucht, die Flüchtlinge wieder auszuweisen.
Die Folgen spüren wir selbst in Kanada, wo ich heute lebe. Als Resultat des Terrorismus in Paris haben Zehntausende kanadische Bürger eine Petition an die Regierung unterzeichnet, keine 25.000 syrischen Flüchtlinge aufzunehmen, wie die Regierung es zugesagt hatte. Die Begründung: ernste Sicherheitsbedenken, die durch deren Anwesenheit in Kanada entstünden. Doch zum Schluss des Artikels möchte ich auch eine andere Reaktion darlegen auf das, was in Frankreich passiert ist. Jüngst sagte ein junger Kanadier syrischer Herkunft, der aber Syrien selbst nicht kennt: „Es ist wahr, in Paris ist ein großes Verbrechen passiert, 150 Personen sind gestorben. Aber warum sehen wir nur diese und verschließen die Augen vor dem Tod von 150 Syrern an jedem Tag?“
Mikhael Saad ist syrischer Schriftsteller, geboren 1949. Er ist Absolvent der Universität Damaskus, Fakultät für arabische Sprachen. Saad wurde mehrfach in Syrien verhaftet, Freunde verhalfen ihm 1989 zur Flucht nach Kanada, wo er politisches Asyl erhielt. Seit Beginn der syrischen Revolution veröffentlicht er auf Facebook und arbeitet im Syrian Revolution Network.
Mikhael Saad bei Facebook: facebook.com/mikhael.saad
Zaman Al Wasel ist eine Internetzeitung, mit täglichen Nachrichten über Syrien. .zamanalwsl.net/
Fidaa Dahoud stammt aus Tartus in Syrien, einer Hafenstadt am Mittelmeer. Vor ihrer Flucht aus dem Bürgerkrieg studierte sie Journalismus. Jetzt lebt sie als Asylbewerberin bei Darmstadt. .
Hintergrund
Das Massaker von Hama war die größte Militäraktion des syrischen Regimes gegen aufständische Moslembrüder. Es begann am 2. Februar 1982 mit Luftangriffen und Granatenbeschuss auf die Stadt in Mittelsyrien. Die Machthaber erließen eine Nachrichtensperre, weder in Syrien selbst noch im Ausland gab es Informationen darüber, bis 2011 die syrische Revolution begann. Das Massaker von Hama gilt bis heute als das gewalttätigste und blutigste in der Geschichte von Syrien.
Das Massaker von Tal Al-Zaatar fand am 12. August 1976 in der Zeit des libanesischen Bürgerkriegs statt. Tal Al-Zaatar war ein Flüchtlingslager im Norden von Beirut mit über 30.000 Palästinensern und muslimischen Libanesen. Dem Massenmord durch die syrische Armee und christliche libanesische Milizen fielen Tausende zum Opfer.