Der 1. Mai

Einst Hoffnung – heute Routine?

Von Ursula Wöllmai

„Zeit für mehr Solidarität“, unter diesem Motto ruft der DGB Frankfurt am Main zur Demonstration am 1. Mai 2016 auf. Landbote-Redakteurin Ursula Wöll blickt zurück auf die Geburtsstunde der Maidemonstration und fragt: „Einst Hoffnung – heute Routine?“

In Chicago fing alles an

In Amerika, wo die Ausbeutung der Arbeiter extrem war, fing alles an. Hier war Chicago die Stadt mit dem größten Elend und die eigentliche Geburtsstätte des 1. Mai.  Ohne die Arbeiterdemonstrationen von 1886 auf dem Haymarket, bei denen die Polizei Demonstranten erschoss und in deren Folge sieben mai2unschuldige Sozialrevolutionäre zum Tod durch den Strang verurteilt wurden, wäre die weltweite Tradition des 1. Mai nicht entstanden. Bereits 1884 hatten die amerikanischen Gewerkschaften beschlossen, am 1. Mai 1886 für den Achtstundentag auf die Straße zu gehen. Doch erst die Justizmorde und die durch sie ausgelöste weltweite Empörung sorgten dafür, dass der Internationale Arbeiterkongress vom 14. bis 21. Juli 1889 in Paris beschloss, ab 1890 den 1. Mai zu einem internationalen Kampftag für kürzere Arbeitszeiten zu machen. Der Kongress, aus dem die Zweite Internationale hervorging,  begann am Jahrestag des Sturms auf die Bastille. Seine 400 Delegierten bezogen sich mit ihrem Beschluss ausdrücklich auf die Chicagoer Haymarket-Tragödie.

Große Hoffnungen

In den ersten Jahrzehnten war der 1. Mai mit großen Hoffnungen verbunden. Man fühlte sich stark, weil weltweit gleichzeitig die gleichen Forderungen nach humanen Arbeitszeiten erhoben wurden. „Aus mehreren tausend Kehlen erklang die Arbeitermarseillaise. Begeisterung ergriff die Massen, als sie in ein vom Genossen Neumann ausgebrachtes Hoch auf die internationale Verbrüderung einstimmten. Jeden Denkenden durchzuckte eine mai3Ahnung von einer nicht mehr fernen gerechteren und besseren Zukunft.“ So schildert eine Zeitung die Maidemonstration von 1891 in Elberfeld.  Stattdessen dann 1914 der 1. Weltkrieg, in dem die Brüder aufeinander schossen. 1891 ahnte niemand, wieviel Enttäuschungen zu verkraften waren.

Zwei Oberhessen unter den Gehängten
August Spies

August Spies war einer der Gehängten. Er hatte recht behalten, als er noch unter dem Galgen rief :“Bald wird unser Schweigen im Grab mehr bewirken als all unsere Reden.“ So steht es zumindest in seiner von Heinrich Nuhn aus Rotenburg 1992 veröffentlichten Biografie. Wie ein weiterer Gehängter, Georg Engel aus Kassel, war August Spies Oberhesse. Er war 1855  in Friedewald bei Bad Hersfeld geboren und dort aufgewachsen. Die Gemeinde hat ihm dort 1993 einen Gedenkstein gesetzt.Nachdem sein Vater verstorben war, wanderte August 1872 mit 16 Jahren aus. So wie viele andere auch, allein in diesem Jahr verließen 125650 Menschen das junge Kaiserreich. Die meisten gingen wie Spies nach Amerika. Neben einer materiellen Verbesserung träumte er vom Land der Freiheit und Gerechtigkeit. Als Sohn eines Försters hatte August  eine relativ gute Schulbildung. Als Tramp lernte er zunächst die Neue Welt kennen,  Ende 1873 ließ er sich dann in Chicago als Polsterer nieder. 1876 holte er seine Mutter und die vier jüngeren Geschwister nach.

Seine Erwartungen entlarvten sich schnell als Mythos. In der Boomtown am Michigansee waren die Arbeits- und Wohnbedingungen der Lohnarbeiter besonders mies. August kam gerade rechtzeitig, um am 22. Dezember 1873 die Brotdemonstration von 20000 hungernden Arbeitslosen zum Rathaus zu erleben. Die Stadt  war als Eisenbahnknotenpunkt in wenigen Jahren um das doppelte gewachsen. Sie zählte nun 600000 Einwohner, so dass Menschen im Überfluss verfügbar waren. Sie wurden als Lohndrücker und Streikbrecher benutzt  Um noch schneller noch reicher zu werden, beschäftigten die Bosse sogar Kinder. 11 Stunden Arbeit und mehr waren die Regel, übrigens auch im Kaiserreich. Noch 1903/04 streikten 8000 TextilarbeiterInnen im sächsischen Crimmitschau 22 Wochen lang für den Zehnstundentag. In seinem Roman „Der Dschungel“ vermittelt Upton Sinclair einen realistischen Eindruck von dem Arbeiterelend im Chicago jener Jahre.

Riesige Demonstration für den Achtstundentag
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Der Haymarket in Chicago, der Schauplatz der Tragödie am 1. Mai 1886 wurde.

Der schreiende Gegensatz von reich und arm politisierte den jungen Einwanderer August Spies, der schließlich Chefredakteur der sozialrevolutionären „Arbeiter-Zeitung“ und ein gefragter, weil glänzender Redner wurde. Kurz, ein Dorn im Auge des herrschenden Filzes aus Wirtschaftsbossen, Polizei und Justiz. Am 1. Mai 1886 fand auch in Chicago ein riesiger Demonstrationszug für den Achtstundentag mit 80000 TeilnehmerInnen statt, und zwar ohne Zwischenfälle (da samstags gearbeitet wurde, mussten die Demonstranten streiken). Erst am Montag, dem 3. Mai und am Dienstag, dem 4. Mai entwickelte sich, was als Haymarket-Tragödie in die Geschichte einging. Am 3. Mai schossen Polizei und Pinkerton-Detektive auf Kundgebungsteilnehmer, die sich mit Streikbrechern vor der Erntemaschinenfabrik McCormick stritten. Sie töteten etliche Arbeiter, was zu einer neuen Manifestation am 4. Mai führte. Auf ihr redete auch August Spies.  Als sich diese Veranstaltung bereits friedlich auflöste, wurde eine Bombe in die Reihen der Polizisten geworfen. Von wem, ist bis heute unbekannt.

Die angeklagten Sozialrevolutionäre konnten es nicht gewesen sein. Manche ihrer Entlastungszeugen wurden vom Gericht gar nicht zugelassen, denn der Prozess suchte nicht die Wahrheit, sondern verurteilte die zum Anarchismus tendierende Gesinnung der Männer. Sekundiert wurde Richter Gary dabei von hetzerischen Artikeln der  „Chicago-Tribune“. Man wollte der erstarkenden Arbeiterbewegung den Garaus machen. Am Ende wurden sieben Männer zum Tode verurteilt und am 11. November 1887 vier von ihnen gehängt:  August Spies aus Friedewald, Redakteur und Herausgeber der „Arbeiter-Zeitung“. Der in Amerika geborene Albert Parsons, Redakteur und Herausgeber  des englischsprachigen „Alarm“. Der 1834 in Kassel geborene Georg Engel, Redakteur des „Anarchist“. Der aus Bremen stammende Adolph Fischer, der als Schriftsetzer bei der Arbeiter-Zeitung arbeitete. Louis Lingg, aus Mannheim stammend, der fünfte zum Tod Verurteilte, brachte sich vor dem Erhängen qualvoll in seiner Zelle um. Zwei der sieben Verurteilten wurden zu lebenslangem Zuchthaus ‚begnadigt‘.

Nur Jahre später wurden die Urteile durch den neuen Gouverneur als Justizmorde anerkannt, die toten Opfer rehabilitiert und alle weiteren Gefangenen entlassen.

Warum sind die Gewerkschaften so schwach und leise?

Doch welche Moral ziehe ich aus der Geschicht‘? Werde ich weiterhin eher routinemäßig, aus Tradition, an Maifeiern teilnehmen? Mit Bekannten während der Reden schwätzen? Diesmal heißt ihr bundesweites Motto: „Zeit für mehr Solidarität“. Schön, aber doch allgemein. Wo bleibt die Solidarität, wenn immer aufs neue Prozentforderungen gestellt werden, wie jetzt die 6 Prozent im Öffentlichen Dienst? Wäre es nicht solidarischer, lineare Forderungen zu stellen bzw. nur die unteren Gruppen und die Hartz-4-Bezüge stärker anzuheben, damit die Lohnschere nicht immer weiter aufgeht? Und müssten die Gewerkschaften nicht viel deutlicher auf die Bedrohung unseres Lebens durch die Zerstörung des Planeten hinweisen, anstatt das Mantra des Wachstums mitzubeten? Bei den kürzlichen Demonstrationen in der Stahlindustrie  kritisierte die IGM gar die Absicht der EU, klimaschonendere Veränderungen im Emissionshandel zu beschließen. „Wir sind für Umweltschutz, aber…..“  Und warum sind die internationalen Gewerkschafts-Organisationen in Zeiten der Globalisierung so schwach und so leise? Das sind so meine Fragen. Vielleicht sollte man nach den Kundgebungsreden den TeilnehmerInnen neben dem obligatorischen Musikprogramm auch Gelegenheit für Diskussionen geben? Etwa im Gewerkschaftshaus in Frankfurt.

Die 1.Mai-Demonstration 2016 in Frankfurt/Main beginnt um 9.30 Uhr am Günthersburgpark und führt zum Römerberg, wo um 11 Uhr die Kundgebung startet. Hauptredner ist Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie. Außerdem sprechen Harald Fiedler (DGB Frankfurt-Rhein-Main), Frankfurts Oberbürgtermeister Peter Feldmann (SPD), Vanessa Pruß (IG BCD-Jugend) und Martion Teschendorf (EVG-Jugend).

Einen Überblick über  die Veranstaltungen am 1. Mai in Hessen gibt es hier hessen-thueringen.dgb

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