Wo Beckett Wein las
Mal ehrlich: Wer hat denn schon Samuel Beckett gelesen? Das war doch der Nobelpreisträger mit „Warten auf Godot“? Stimmt. Vor seinem Ruhm, enthüllt Johannes Winter, war der Literatur-Titan ein Flüchtling in prekärer Lage.
Flucht ins nazifreie Südfrankreich
Johannes Winter erzählte auf Einladung der Landbote-Redaktion am 4. Dezember 2015 im Friedberger „Pastis“ von seinen Recherchen. Im provencalischen Weingut Bonnelly stieß der frankophile Journalist und Schriftsteller aus Frankfurt nicht nur auf einen leckeren Rotwein – sondern auch auf die Spuren von Samuel Beckett. Die Seniorchefin des Weinguts Domaine de Coulet Rouge konnte sich noch an den mageren Iren erinnern, der im Herbst 1942 mit seiner Freundin Suzanne Dumesnil aus Paris ins noch nazifreie Südfrankreich geflohen war. Beckett hatte Angst. Und er brauchte dringend Geld. Er durfte bei der Weinlese mitmachen. Und schrieb im Winter, als es keine Arbeit gab, an dem Roman „Watt“. Das Haus in dem Beckett damals lebte, ist äußerlich noch unverändert.
All das ist keine Sensation. Aber interessant. Und es rundet unser Weltwissen wieder ein Stückchen ab. Johannes Winter hat in seinem Buch „Mit Künstlern unterwegs“ noch weitere Episoden aus lang vergangener Zeit recherchiert. Gebannt lauschte das Publikum im Bistro, wie es Pablo Picasso im Sommer 1906 erging, als er zum ersten Mal Geld in der Tasche hatte und aus Paris kommend mit seiner Freundin Fernande Olivier im kleinen Pyrenäen-Dorf Gósol bei Andorra abstieg, wie besessen malte und sich als Holzschnitzer versuchte. In seinem Notizbuch findet sich auch ein Rezept für Laudanum – eine Droge, die man selbst herstellen kann. Möglicherweise war der künftige Malergott damals drogenabhängig, vermutet Johannes Winter. Und hoffte, im abgelegenen Dorf Abstand von der Sucht zu finden. Was vielleicht nicht funktionierte. Am Ende floh das Paar mit einer Mulikarawane in Richtung Frankreich, die Kunstwerke in den Satteltaschen. Sie wären von den Schmugglerpfaden damals beinahe in den Abgrund gestürzt. Die Männer von Gósol ernährten ihre Familien damals mit Schmugglerei, fand Johannes Winter und sicher auch Pablo Picasso heraus. Im damals schon als Freihandelszone florierenden Mini-Staat Andorra kauften sie kiloweise Tabak, den die Frauen von Gósol im Winter zu Zigaretten drehten und später auf den Straßen von Barcelona verhökerten.
Landbote serviert Landbrote
Ja mei, dieses potthässliche Andorra war schon vor 110 Jahren ein Schnäppchenparadies? Wieso und seit wann eigentlich? fragte ein Gast während der Lese-Pause, während die Landbote-Redakteure Landbrote servierten. Das finden wir heraus, versprachen sie. Voilá: Der Staat, der etwa so groß ist wie die westliche Wetterau, existiert seit 1278. Landesherren sind seither der Bischof von Urgell und der jeweilige französische Staatschef. Seit den 1730er Jahren galt in Andorra der Sentencio Manutencio – ein Abkommen, das alle andorranischen Waren vom spanischen Einfuhrzoll befreite. Außerdem ist Andorra schon lange ein Steuerparadies. Erst seit Anfang 2015 wird dort überhaupt Einkommensteuer fällig. Die Umsatzsteuer beträgt paradiesische 4,5 Prozent. Für Touristen und Geschäftsleute lohnt es sich also immer noch, in Andorra einzukaufen.
Das Buch von Johannes Winter „Mit Künstlern unterwegs“ ist bei Brandes & Apsel erschienen. Es hat 184 Seiten und kostet 20 Euro. Das Geld ist gut angelegt.