Achtzehn Windmühlen für die Wetterau
Von Klaus Nissen
Im Januar 2024 werden Techniker auf den Kuppen des Winterstein-Kamms an der Grenze zwischen Hochtaunus- und Wetteraukreis auftauchen. Sie bauen dort Laser-Messgeräte auf. Das ist der erste, noch unauffällige Schritt für eine technische Revolution. Am Ende, ungefähr 2028, werden 18 gewaltige Windmühlen in Betrieb gehen. Sie sollen den Wetterauern gehören und die ganze Region mit Strom versorgen.Windkraft liefert immer mehr Energie
Wir alle verbrauchen unglaublich viel Energie. 1549 Kilowattstunden verheizte, streamte oder verfuhr durchschnittlich jeder Hesse im Jahr 2022, meldet die jüngste Statistik des Wirtschaftsministeriums. Ein Jahr zuvor waren es noch 62 Kilowattstunden weniger.

Öl, Gas und Kohle dürfen diesen Energiehunger nicht mehr stillen. Sonst wird auch die Wetterau wegen des Klimawandels unbewohnbar. Inzwischen kommt mehr als die Hälfte der nötigen Energie aus hessischer Biomasse, Wind- oder Sonnenstromproduktion. Wir brauchen aber noch viel mehr davon.
Eine Windmühle kann 5000 Haushalte versorgen
Nach langer quälender Diskussion setzte sich 2023 die Einsicht durch, dass ein Windpark auf dem Taunuskamm am Winterstein genug Strom liefern kann und muss. Der Flächennutzungsplan erlaubt etwa 18 Windmühlen auf den meist kahlen Kuppen in gut 500 Metern Höhe. Bis zur Rotorspitze wird jeder Mast 261 Meter über den Kamm ragen und bei starkem Wind bis zu 7,2 Megawatt liefern. Übers Jahr ist das genug Strom für jeweils etwa 5000 Haushalte.

Die ersten Windmessungen nach der LiDAR-Technik werden schon im Januar 2024 beginnen, meldet Lena Fritsche von der südhessischen ABO Wind AG. Monatelang werden auf der Kuppe Laserstrahlen in den Himmel geschickt. Empfänger messen das Tempo und die Richtung der von Aerosol-Teichen reflektierten Strahlen und berechnen daraus den besten Standort für eine Windmühle.
Fast eine halbe Million Jahrespacht für einen Windmast
Anfang 2024 will die ABO Wind auch die Verträge mit der Gemeinde Wehrheim und der Stadt Rosbach für die auf ihren Waldgrundstücken geplanten Windmasten unterzeichnen. Die Umweltgutachten für den Genehmigungsantrag beim Regierungspräsidium Darmstadt sind in Auftrag gegeben. Zwischen Juli und September sollen sie zur Baugenehmigung eingereicht werden, so Lena Fritsche.
Der Windpark wird von mehreren Unternehmen zu verschiedenen Zeiten gebaut – die Idee eines einheitlichen „Parklayouts“ mit optimal aufeinander ausgerichteten Windmühlen ist vom Tisch. Der Bundesforst entschied sich für die Entwicklung seines Anteils durch den Anbieter Alterric. Der Hessenforst, die Rosbacher und die Wehrheimer wollen ABO Wind engagieren – denn der bietet viel Geld: 460 000 Euro Pacht pro Jahr und Windmühle, außerdem ein Drittel der Einspeisevergütung für jede eingespeiste Windstrom-Kilowattstunde.

Die Stadt Friedberg zögert noch. Alle warten gerade, welche Empfehlung der neue Bürgermeister Kjetil Dahlhaus nach seinem Amtsantritt am 8. Januar gibt. Die kreiseigene OVAG will den Windpark nämlich ebenfalls bauen und betreiben. Sie bietet 200 000 Euro Jahrespacht pro Windmühle. Die Hälfte des Windparks bietet sie den Kommunen zum Kauf an. Die müssten allerdings Millionen dafür aufbringen und unter der Bevölkerung Anteilseigner suchen. Dafür profitiere Friedberg beispielsweise von der Gewerbesteuer, warb im Sommer Diethardt Stamm vom Energiebildungsverein für das OVAG-Angebot.
Genossenschaft will den neuen Windpark kaufen
Die OVAG hat nach Darstellung ihres Prokuristen Hans-Peter Frank ein faires und lukratives Angebot gemacht, das eine kommunale und eine Bürgerbeteiligung in erheblichen Umfang ermögliche. Die Stadt Friedberg könne damit an den unternehmerischen Chancen teilhaben und würde bei der Annahme eine „maximale Wertschöpfung für die Region“ sicherstellen.
Beim höheren Angebot der ABO Wind sah Stamm Risiken, die ein späterer Käufer des Windparks schultern müsste. ABO Wind will die fertigen Windmühlen an eine hessische Energie-Zentralgenossenschaft verkaufen. Sie muss dann mehr als hundert Millionen Euro aufbringen.
Verdienen am Windpark dereinst wirklich die Genossen und Genossinnen aus der Region – und nicht irgendwelche Finanzinvestoren? „Das kriegen wir hin!“ sagt Jürgen Staab. Der gelernte Banker aus Biebergemünd im Main-Kinzig-Kreis ist Vorstand der Energiegenossenschaft Kinzigtal. Sie betreibt unter anderem in Brandenburg die viertgrößte Foltovoltaik-Dachanlage Deutschlands. Staab ist auch Vorstand der neuen Zentralgenossenschaft aus acht hessischen Energiegenossenschaften. „Das meiste Geld für den Winterstein wird von der Bank kommen“, sagt Staab. Bis zu 85 Prozent. Bei einer erwarteten Rendite von mehr als fünf Prozent würden die Banken Geld geben. Auch die privaten Anteilseigner der Genossenschaften hätten noch „so viel Geld im Umlauf“, glaubt Staab.
Der Friedberger Achim Parbel ist Vorstand der 700 Mitglieder zählenden Mittelhessischen Energiegenossenschaft (MiEG). Und zugleich Aufsichtsratschef der neuen Zentralgenossenschaft. Seit 2011 baute die MiEG vor allem Solardächer auf Wetterauer Schulen und Kindergärten. „Wir wollen jetzt größere Projekte realisieren“, kündigt Parbel an. Im Januar werde die MiEG zu einer Versammlung über den Einstieg in den Winterstein-Windpark laden. Dann werde sie eine Kampagne zur Anleger-Werbung starten. Über die jeweiligen Genossenschaften können dann Privatleute eigenes Geld bereitstellen.
Viel Windstrom für die Wetterau
Obwohl die Wetterau im Windschatten des Taunus liegt, lohnt sich hier der Bau von Windmühlen. Die Kreisverwaltung zählt aktuell 33 Anlagen, die im windschwachen Jahr 2021 zusammen 73,6 Gigawattstunden Strom lieferten – umgerechnet 236 Kilowattstunden pro Einwohner.
Der kreiseigene Stromversorger OVAG baute schon 1990 den ersten Mittelgebirgspark Deutschlands bei Hartmannshain. Er gehört heute zu zehn Windparks der OVAG auf demVogelsberg-Massiv. Die OVAG betreibt derzeit mit Kooperationspartern 81 Windmühlen mit einer installierten Leistung von 164 Megawatt. Prokurist Frank: „Das Jahr 2023 ist noch nicht ganz ausgewertet, aber der Stromertrag daraus wird bei etwa 300.000 Megawattstunden liegen.“

Selbst falls die OVAG beim Winterstein-Projekt nicht zum Zuge kommen sollte, bleibt sie eine wesentlicher Akteurin bei der Windkraftnutzung. Am 11. Dezember meldete Hans-Peter Frank stolz die Inbetriebnahme des neuen Offshore-Windparks „Arcadis Ost 1“. Er besteht aus 27 Windmühlen mit der Maximalleistung von 9,5 Megawatt – mehr kann momentan kein Windrad auf der Welt erzeugen. Die Masten stehen 19 Kilometer nordöstlich von Kap Arkona in der Ostsee. Sie sollen jährlich gut eine Milliarde Kilowattstunden Strom liefern – laut Frank in etwa die Menge, die die OVAG an all ihre privaten und gewerblichen Kunden in der Wetterau, Vogelsberg und im Kreis Gießen liefert. Die Baukosten beziffert er auf rund 800 Millionen Euro.
Haupteignerin des Windparks ist die belgische Firma „Parkwind“. Doch zehn Prozent gehören der in Bad Vilbel sitzenden OstseeWindenergie GmbH, die wiederum je zur Hälfte von den Stadtwerken Bad Vilbel und der OVAG getragen wird. Der Stadtwerke-Geschäftsführer Klaus Minkel hatte schon vor mehr als zehn Jahren die Weichen zum Einstieg der Wetterauer in den Offshore-Windpark gestellt.