Petition gegen neues Gewerbegebiet
Ob Absicht oder Zufall? Der 22. Mai passte für die Übergabe einer Petition der Bürgerinitiative (BI) wie die Faust aufs Auge. Das Datum ist der Internationale Tag der Biodiversität, und die Petition ist überschrieben: Stopp! Kein neues Gewerbegebiet bei Münchholzhausen und Dutenhofen. Die beiden ehemaligen Dörfer sind in die Stadt Wetzlar eingemeindet, also fand die Übergabe im Neuen Rathaus an den Oberbürgermeister, den Stadtverordnetenvorsitzenden und den Baudezernenten statt. Gegen ein neues Gewerbegebiet haben 1414 BürgerInnen unterschrieben. Das ist recht viel, da nur in den unmittelbar betroffenen beiden Stadtteilen gesammelt wurde. Etwa 40 BI-Mitglieder waren bei der Übergabe im Rathaus dabei, sie trugen Transparente mit Aufschriften wie „Schluss mit dem Flächenfraß“.
Lerch und Nachtigall
Einige Tage vor diesem 22. Mai fand ein ‚Warm Up‘ statt, zu dem sich über 100 BürgerInnen auf dem gefährdeten Stück Natur versammelten. Bei diesem Ortstermin habe ich mich unsterblich in die von Wald umgebenen Wiesen und Äcker verliebt, die zwar nahe bei einem Autobahnanschluss liegen, aber noch recht intakt erscheinen. Ich hörte eine Lerche singen und sah sie sogar in den Himmel steigen. Ich sah die Kornblumen und den Klatschmohn im Getreidefeld und atmete den Duft der Blumenwiesen mit ihrem Sum-Sum. Aus meinem Fenster höre ich nachts weit entfernt eine Nachtigall, sie muss auch hier wohnen. Wie lange noch? Schon kauft die Stadt Wetzlar Grundstücke auf, um die Pracht der Natur unter Beton zu begraben.Das geplante Gewerbegebiet soll Arbeitsplätze schaffen und den Stadtsäckel füllen. Man hört zwar, dass das neue Ikea kaum Steuern an die Stadt entrichtet, aber das hindert nicht daran, überdimensional zu denken. Leider in die falsche Richtung.
Umdenken ist angesagt
Die BI hat nichts gegen neue Arbeitsplätze, ein Vertreter machte bei der Übergabe der Petition darauf aufmerksam, dass in den schon existierenden Gewerbegebieten viele freie Flächen sind, etwa in dem hässlichen Anhängsel von Dutenhofen mit dem überholten Namen „Rübenmorgen“. Aber das bringt ja den Kommunalherren keinen Nachruhm. Und so jagt eine Gemeinde der anderen potentielle Investoren ab, indem sie ideale Bedingungen präsentiert. Es ist ja nicht so, dass interessierte Betriebe Schlange stehen würden. Nein, man will sie erst anlocken, durch Infrastruktur. Neben Autobahnanschluss und Landstraßen satt ist sogar ein Flughafen nebenan, fernab der romantischen Altstadt, in der einst Goethe spazierte,
Die Natur zieht da den Kürzeren. Auch der Stadt Wetzlar dürfte bekannt sein, was der BI-Vertreter hervorhob: Täglich wird in Deutschland die Fläche von gut 100 Fußballfeldern versiegelt. Und das ursprüngliche Ziel, die Klimaerwärmung bei 1,5 % zu stoppen, ist längst als unrealistisch aufgegeben. Was nützt es, wenn man das Klima auf internationaler Ebene planen möchte, wenn das nicht auf den unteren Ebenen, also den Kommunen umgesetzt wird? Was nützt es, wenn Naturschutzverbände das drohende Aussterben von Lerchen, Rebhühnern und anderem Getier beklagen, wenn auf der unteren Ebene im alten Stil weitergedacht und -gehandelt wird?
Ein Umdenken ist nötig. Auch wenn das noch nicht von allen BürgerInnen verstanden wird, zumindest nicht von denen, die fleißig neue SUVs kaufen. Wenn unsere kommunalen Repräsentanten insgeheim hoffen, sich mit dem luxuriösen Verbrauch von Boden einen Nachruhm zu sichern, so wird es anders kommen. Schon unsere Enkel werden nicht verstehen, dass wir ihnen eine Betonwüste hinterlassen und Lerchen nur noch im Internet vorkommen. Die Erde ist eine endliche Fläche, und die Naturzerstörung ist nicht beliebig zurückzudrehen. Deshalb trifft das Vorhaben der Stadt Wetzlar nicht nur die EinwohnerInnen der beiden Stadtteile, die ein Naherholungsgebiet verlieren würden. Es ist ein Puzzlestück der weltweiten Naturzerstörung. Wer sich heute den Ruhm von morgen sichern will, muss der Natur eine Überlebenschance geben und nicht nur in Festtagsreden von ihr und unserer Heimat schwärmen.
Das „Gewerbegebiet“ darf natürlich nicht Wirklichkeit werden, die Zusammenhänge -Natur und Wirtschaft- sowie die wahre Interessenlage hat die Autorin Ursula Wöll sehr genau erkannt und klar dargestellt. Eine bissige Bemerkung sei mir erlaubt: Selbstverständlich würden mit der Einrichtung und Realisierung dieses Gewerbegebietes schon „Arbeitsplätze“ für die Enkel geschaffen, sie können die Betonwüsten wieder renaturieren.