Frühe Früchtchen mit Biogas
Bei kaum einem anderen Obst legt der Verbraucher solch einen Wert auf Regionalität wie bei den Erdbeeren. Bisher beherrschen im Frühjahr noch die Erdbeerimporte aus Spanien den deutschen Markt. Für den Erdbeeranbauer Maximilian Reuhl aus Münzenberg/Gambach sind sie jedoch keine Konkurrenz mehr. Seit Anfang April erntet Reuhl mit einem neuartigen Anbaukonzept die ersten hessischen Erdbeeren aus dem Folientunnel – eine Biogasanlage macht es möglich.
Morgens im Folientunnel
Im Folientunnel ist es schon früh morgens, wenn geerntet wird, angenehm warm. Während draußen noch frostige vier Grad herrschen, ist es drinnen zwischen den Erdbeeren schon zehn Grad wärmer. Aufgeheizt wird der Tunnel von der benachbarten Biogasanlage der Betreibergemeinschaft „ZiWiRe“ (Zimmer, Winter, Reitz) auf dem Lindenhof in Nieder-Weisel bei Butzbach. Das Kühlwasser, das bei der Stromproduktion im Verbrennungsmotor entsteht, fließt durch einen Röhrensystem von insgesamt 18 km Länge an den Erdbeeren entlang und schafft schon im Winter beste Wachstumsbedingungen. In den Tunneln wachsen zurzeit auf einem knappen ha etwa 75 000 Pflanzen. Im August vergangenen Jahres wurden die Frühsorten Darselect und Clery gepflanzt und selbst angezogen.
Von der Idee zum fertigen Projekt
Seit Anfang Januar wird das Wachstum der Erdbeeren durch die Abwärme aus der Anlage unterstützt, damit erreicht Maximilian Reuhl eine Ernteverfrühung von acht Wochen – lange vor der Haupternte im Juni ist er mit vollreifen Früchten auf dem Markt. „Die Heizung läuft auch jetzt noch mit, sodass die Pflanzen immer ein optimales Klima bekommen“, so der 26-Jährige. Wärmer als 25 Grad soll es aber nicht werden, sonst stellen die Erdbeeren ihr Wachstum ein. Die Idee, Biogas und Erdbeeren zu verbinden, entstand spontan während eines Skiurlaubs mit seinem Freund und Kollegen Jan Winter (26). Dieser suchte einen Weg, die Abwärme seiner Biogasanlage besser zu nutzen (Die Anlage ist nach EEG 2009 gebaut, sie hat damit Anspruch auf den KWK-Bonus). „Warum produzieren wir nicht Erdbeeren mit der Wärme?“, erinnert sich Maximilian Reuhl. Nach der Rückkehr entwarf ein Heizungsingenieur aus der Verwandtschaft das Leitungssystem. Einschließlich der Heizung für Wohnhaus und Stall erreicht die Biogasanlage – bis auf die Sommermonate Juli und August – heute eine Wärmenutzung von fast 100 Prozent.
Auch ein Vorteil: die ergonomische Pflückhöhe
Im Winter haben die Erdbeeren Präferenz: Gibt es ein Frostproblem, schaltet die Software auf die Tunnel um, damit die Erdbeeren heil über den Winter kommen. Eine weitere Besonderheit des Systems: Die Erdbeeren wachsen nicht auf dem Boden, sondern auf 1,20 m hohen Stellagen in Pflückhöhe. „Die Höhe schafft für die Pflücker gute Arbeitsbedingungen und auch eine höhere Pflückleistung, 50 Prozent des Preises sind Pflückkosten“, sagt Reuhl, „Es bringt auch eine bessere Qualität, das ist eigentlich das Entscheidende“. Hängend und trocken wachsend ist der Pilzbefall gering, chemischer Pflanzenschutz kaum nötig. Bestäubt übrigens wird mit Hummeln, diese sind wesentlich robuster als Bienen, denn sie sind bereits bei 12 Grad im Februar aktiv. Bienen fliegen erst ab 17 Grad.
Qualität aus der Region, direkt vor der Haustür
Verkauft werden die Erdbeeren ab jetzt in eigenen Verkaufsständen und über die Organisation „Landmarkt“ im örtlichen Einzelhandel unter dem Label „Wetterauer Früchtchen“. Der Preis für die 250-Gramm Schale beträgt 2,70 Euro. Und die Konkurrenz aus Spanien, die es auch schon beim Discounter gibt? „Mit denen haben wir eigentlich nichts zu tun“, sagte Reuhl. Das sei ein ganz anderer Markt. „Wer unsere Erdbeeren möchte, der kauft auch unsere Erdbeeren“. Am 10. April eröffnete die Gambacher Erdbeerkönigin Angelika 1. die diesjährige Erdbeersaison auf dem Lindenhof und freute sich über bereits schmackhafte „Wetterauer Früchtchen“ aus regionalem Anbau.